Sie war eine Redakteurin bei „Rot Weiß Rot“, eine Zeitungs-Korrespondentin in Italien, eine Dramaturgin beim Bayerischen Rundfunk. Ohne ihr Sprachentalent hätte sie nicht schon als junge Frau sowohl Thomas Wolfe aus dem Amerikanischen wie Ungaretti aus dem Italienischen übersetzt. Diese Tochter eines Schulmannes aus dem bäuerlichen Kärnten tat mehr als geistig die Kulturen wechseln, sie sprang weit in die Nachkriegswelt hinein. 1955 nahm sie teil an Henry Kissingers Seminar der Harvard Summer School in Cambridge, USA. Die Losreißkraft der Bachmann, die im Bombenjahr 1944 achtzehn Jahre alt war und sich nachher trotzdem nicht fürchtete, ist nur durch große Energie, die hinter ihrem sanften Äußeren verborgen war, zu erklären.
Den Mythos von der Bachmann als gläsernen Schmetterling trägt derzeit der ORF weiter, indem er den Briefwechsel zwischen Ingeborg und Paul (Paul Celan) 1958-59 in Ö 1 veröffentlicht. Die Künstler sind scheinbar nicht von dieser Welt, sie wagen nicht bestimmte Wörter auszusprechen, aber sie beachten zäh die Auszahlung von Honoraren.
Ingeborg Bachmann griff 1947 als österreichische Studentin unerhört selbstbewusst nach Heidegger als Doktorthema, um anschließend im Büro von „Rot Weiß Rot“ gegenüber den Mauthe, Weiser und Co. ihre intellektuelle Überlegenheit zu verbergen. Sie lächelte oder strahlte beim Zuhören und wirkte nachdenklich, wenn sie selber sprach. Eine zarte Frau, der man in den Mantel half und die Zigarette anzündete, hörte Männern zu, denen sie intellektuell und oft auch künstlerisch überlegen war. Die Männer aber waren „Kulturträger“ mit viel Eitelkeit und wenig Stolz. Sie reichten die Bachmann im Betrieb so schnell herum, dass diese 1968 mit einem relativ schmalen Werk schon alle namhaften Preise erhalten hatte.
Mit dem Ende ihrer Anpassung, die sie freiwillig und erwartungsvoll begonnen hatte, hörte ihr Gehorsam auf. Je genauer sie die elitäre Bussi-Bussi-Gesellschaft des Literaturbetriebs durchschaute, desto selbständiger wurde sie in allen ihren Beziehungen. Nur das Hohelied der Kunst sang sie unkritisch weiter, in „Malina“, in „Fall Franza“ und in jedem ihrer Interviews, in denen sie druckreif zu sprechen suchte. Dabei hätte ihr die Löschung des lyrischen Gebrauchs der Sprache in der Prosa vielleicht ähnlich geholfen wie die Lösung von den Henze und Frisch, denen sie sich anfangs unterworfen hatte. Sie aber übertrug den Lyrismus der Gedichte auf den erzählenden Text, wo er wucherte und dem Text die Wurzeln ausriss. Sie ließ das Wirkliche nur ahnen, statt es zu zeigen, ihr ganzes Erzählen wurde durch Lyrismus erschwert. Sie selbst sprach einmal von der großen Mühe, die ihr der Roman „Malina“ bereitet hatte, ein zwitterhafter Text, trotz ihres Intellekts und ihrer großen Sprachkontrolle. Das weibliche Ich verfolgt im Stadtpark das männliche Ich genannt „Malina“ und betrachtet von rückwärts seine Schultern.
Mit 47 Jahren starb sie einen extremen Tod, der nicht zu ihr passte, weil sie keine Herta Kräftner und keine Sylvia Plath gewesen war. Doch ein Manko hatte sie und das war nicht das Geld, nicht der Sex und schon gar nicht die Kunst, sondern das Verraten-Werden in ihren Beziehungen zu den Lebenspartnern. Die ganze Literaturkritik hat das kaum bemerkt, obwohl die Bachmann kryptisch immer wieder davon schrieb, dass das Entscheidende in ihrem Leben nicht der „Versuch“ war, „des anderen Hand zu erreichen“, sondern die Forderung, dass „wir einander prüfen müssen“, wobei der Austritt aus der Gesellschaft unmöglich war. Und über diese Erfahrung der gegenseitigen Prüfung, bei der sie immer wieder scheiterte und auch verraten wurde, werden wir vor 2032 nichts Neues lesen. Erst dann wird es der Österreichischen Nationalbibliothek gestattet sein, den Briefe-Nachlass von Ingeborg Bachmann zu veröffentlichen. ««
© Martin Luksan, Juli 2009