DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

  
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Kunstpolitik vor und nach 1950

Im August und September 1942 gab es im Wiener Künstlerhaus die Ausstellung „Krieg und Kunst“, in der militärische Kampfszenen durch Gemälde idyllisch dargestellt waren. Das könnte die Nachkriegsideologen auf die Idee der Umkehrung gebracht haben. Von nun an sollte Kunst nichts mehr beschönigen dürfen. Dadurch wurde der Schock, ein Bereich außerhalb der Ästhetik, in der Kunst ermöglicht. Der Philosoph Helmut Kohlenberger sagte in dem Film „Das Meisterspiel“ von Lutz Dammbeck, dass die Kunst in unserer Gesellschaft der einzige Bereich sei, wo Destruktion erlaubt und sogar erwünscht ist. Eine interessante Übertreibung. Wenn wir bedenken, dass in heutigen Filmen grausame Geheimdienstmorde bewundert werden und die Naturzerstörung auf der ganzen Welt vom Gros der Bevölkerungen als unumgänglich hingenommen wird, benötigen wir eigentlich die Kunst als das primäre Medium der Darstellung von Destruktion und Zerfall nicht.

Der Aktionismus der Mühl und Nitsch erwuchs aus einer Reaktion der Nachkriegskultur auf die Nazidefinition von Kunst. Die Nazis hatten verlangt, dass Kunst in jedem Fall schön sein und womöglich Idyll zeigen müsse und im übrigen der politischen Ideologie niemals widersprechen dürfe.

Die in Wien von einem katholischen Priester inspirierten und geförderten Aktionisten haben daraus ihren eigenen Schluss gezogen. Der Objektkünstler Padhi Frieberger hat diese neue Ideologie durchschaut: „Die Nazis haben die Kunst von außen zerstört. Die Aktionisten haben sich die Kunst gekrallt und zerstören sie jetzt von innen.“

Die Freiheit der Kunst ist keine Sache von 1954, als Monsignore Otto Mauer die „Galerie Sankt Stephan“ eröffnete, sondern eine Sache des 19. Jahrhunderts. Daniel Bell nennt das Jahr 1850, als an den wichtigsten Universitäten der Welt die Theologen als die Interpreten des Bösen von den bürgerlichen Kritikern nicht mehr ernst genommen wurden (*1). James Webb, nennt das Jahr 1890, das er auch als den „Höhepunkt der okkulten Hysterie im 19. Jahrhunderts“ ansetzt (*2). Wir denken, dass Webb und nicht Bell das richtige Datum nennt und die Freiheit der Kunst im Fin de Siecle beginnt und nicht mit dem „Kulturkampf“ gegen die Katholische Kirche.

Im übrigen kann und sollte man die Frage nach der Freiheit der Kunst mit der Frage nach der Religion gar nicht verbinden. Leidenschaftliche und mythenfreudige Geister aber lieben gerade diese Verbindung über alle Maßen. Sie lieben die Kunstreligion, das Gesamtkunstwerk und andere okkulte Dinge.

Daniel Bell, der konservative Kritiker, sagt: Erst als die Theologen nicht mehr gehört und gelesen wurden, vertieften sich die Künstler in das Abseitige, Hässliche und Scheußliche der Welt. Doch in Wahrheit war die Theologie ohnehin kein Riegel gegen die Exzesse alptraumartiger und romantischer Fantasie.

Klemens Maria Hofbauer, der Stadtheilige von Wien, war einst der Seelsorger für katholische Künstler im frühen 19. Jahrhundert. Und Otto Mauer war der Seelsorger für Nachkriegskünstler nach 1945. Von ihm stammt der überraschend ehrliche und tiefe Satz: „Ein guter Katholik kann kein guter Künstler sein.“

War nun die Kunstpolitik der Alliierten nach 1950 in Mitteleuropa eine Verschwörung? „Verschwörung“ ist meistens schlecht, weil dieses Wort den Einfluss von weniger als 1 Prozent auf mehr als 99 Prozent ausdrückt. Das ist in der Regel gar nicht machbar. Man könnte aber von einer „Quasi-Verschwörung“ sprechen. Führende Kritiker wollten in der Tat die alte Kunstfrömmigkeit und den herkömmlichen Kunstgeschmack der mitteleuropäischen Bevölkerungen erschüttern. Dies geschah nun nicht wie im Dritten Reich durch Direktiven für die einzelnen Künstler, sondern indirekt durch die Frivolität, die Brutalität und die Halbbildung alliierter Kritiker. Und es geschah durch die Selbstverordnung der Kriterien durch Künstler ohne Akademie, ohne Schule, ohne Metier. In diesem Sinne äußerte sich einmal Joseph Beuys in einem öffentlichen Zwiegespräch zu einem seiner Schüler: „Kunst kommt nicht von Können, sondern von Künden.“

Damit sind wir wieder bei der Religion. Otto Mauer verlangte das Ringen des vom Dämon bedrohten Künstlers mit Gott: „Der Künstler ist entweder ein Besessener oder ein Exorzist.“ Tertium non datur. Diese aufregende Metapher nahmen nicht wenige der teils hochtalentierten teils wenig talentierten österreichischen Nachkriegskünstler sehr ernst. Wir werden über ihre Kunst – bei jedem einzelnen – noch nachdenken. ««

*1 Daniel Bell, Die Zukunft der westlichen Welt, 1976
*2 James Webb, Das Zeitalter des Irrationalen, 1973

Martin Luksan