DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Mythos versus Form

Zum Tod von Alfred Hrdlicka

Dass Mythen die geistige Welt der Antike, der Algonkin-Indianer oder des Raumes der Edda geprägt und geformt haben, wird als Feststellung gerne derart apodiktisch in den Raum Alfred Hrdlickagestellt, dass es den Anschein hat, als ob mit der jeweiligen Kultur und den dazugehörigen Mythen auch der Mythos an sich zugrunde gegangen wäre. Gerade an einem Phänomen wie Alfred Hrdlicka kann jedoch das Mythische auch in unserer Zeit „eine Weise des Bedeutens, die Form (1) annehmen, die doch speziell dem Künstler das höchste Ziel sein sollte. Eine hermeneutische Betrachtung der Produkte künstlerischen Schaffens unter dem Aspekt mythischen Potentials ist obendrein jene Zugangsweise, die sich dem politisch denkenden und ästhetisch gestaltenden Künstler am Respektvollsten nähert.

Wenn Michael Zajonz Hrdlicka einen „sensiblen Berserker“ (2) nennt, so leuchten hier Bedeutungen auf, durch die bei näherer Analyse der Formenkanon des Mythenbeschwörers Hrdlicka verständlich wird. Man kann „Sensibilität“ jedem ernstzunehmenden Künstler zugestehen, der eine bestimmte Idee bewusst gestaltet, doch das Wort „Berserker“ ist mehrdeutig. Ist damit der Wüterich umrissen, der Wolf Biermann die Nürnberger Rassegesetze an den Hals wünscht (3), der Agitator, der mit dem oftmaligen Bekenntnis, Kommunist resp. Stalinist zu sein, die eigene Bildhauerei zu konterkarieren scheint, oder ist der „Pate der Linksparteien“ (4) angesprochen, der im Jahr 2000 nach eigener Aussage Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zusammengeführt haben soll? Ist damit der „Großdeutsche“ gemeint, der einem Anschluss Österreichs an Deutschland prinzipiell nicht negativ gegenüberstehen würde, im Ausland jedoch gerne als Österreicher auftritt (5)? Ja, kann aus dem journalistisch-plakativen ein echtes dialektisches Begriffspaar entstehen oder wird hier ein Mythos geschaffen, bei dem der Zusammenhang der Wörter unklar bleibt.

Der adoleszente Hrdlicka findet seine politische Prägung zur Zeit des Bombenangriffs auf Wien, die ihm, dem manichäisch denkenden Jugendlichen, die Russen als Befreier und die Amerikaner als Bombardierer erscheinen ließen. Die Entfremdung von diesem Kommunismus ereilt den dann 28-Jährigen erst nach der Zeit des gescheiterten Ungarn-Aufstands, im Rahmen der Hinrichtung von Imre Nagy und Pál Maleter.

Das nimmt insofern wunder, als gewisse Machenschaften des Sowjet-Regimes für politisch Denkende bereits früh zu erkennen waren. Die Moskauer Schauprozesse 1936-1938 etwa können bereits von den Zeitgenossen durchschaut werden. Schon 1936 kommt in Antwerpen das „Rotbuch über den Moskauer Prozess“ von Lew Lwowitsch Sedow, dem Sohn Trotzkis, heraus, ein Jahr später erscheint Friedrich Adlers Analyse der Moskauer „Hexenprozesse“. Auch die einschlägigen Artikel von Leopold Schwarzschild sind in diesem Zusammenhang zu nennen. (6) Der späte Zeitpunkt der Abwendung vom Kommunismus ist im Fall Hrdlicka daher wohl eher der Person und dem Wirken Stalins geschuldet, dessen politischem Wirken der Bildhauer wohl kaum je hundertprozentige Ablehnung zuteil werden ließ.

Erscheint der Kommunismus im Zusammenhang pubertärer Synapsenvernetzungen als weltanschauliche Hypostase, so verrät das Werk des „sensiblen“ und reifen Künstlers die Brüchigkeit dieser Ideologie. Der „Menschenbildner“, als der sich Hrdlicka gern titulierte (7), verlor den Nährboden einer Ideologie, der das Individuum stets fremd geblieben war. Noch 1966, zehn Jahre nach dem Vieles relativierenden 20. Parteitag sowie der angeblichen „Entfremdung“ Hrdlickas, befragte Maurice Merleau-Ponty den Kommunismus dahingehend, „ob die Gewalt, die er ausübt, revolutionär ist und fähig, zwischen den Menschen menschliche Beziehungen herzustellen.“(8) Kurze Zeit später folgte eines der niederschmetterndsten Eingeständnisse von Adam Schaff, der zwar die der kommunistischen Ideologie inhärente Gewaltfrage ausklammert, jedoch zugibt, dass der Kommunismus die Beschäftigung mit dem Einzelmenschen „nie in seiner ganzen Reichweite gestellt und entwickelt hat.“(9)

Spätestens hier stellt sich die von Hrdlicka immer wieder thematisierte Frage der Form, die unfreiwillig auf das Problematische von Mythos zurückweist. Mythos „schafft die Komplexität der menschlichen Handlungen ab und leiht ihnen die Einfachheit der Essenzen, er unterdrückt jede Dialektik, jedes Vordringen über das unmittelbar Sichtbare hinaus, er organisiert eine Welt ohne Widersprüche, weil ohne Tiefe, eine in der Evidenz ausgebreitete Welt, er begründet eine glückliche Klarheit.“ (10) Deswegen erscheint die künstlerische Gestaltung der Form bei Hrdlicka oft in indifferentem Gewand, das mindestens zweifach gedeutet werden kann. Zum einen könnte der traditionsorientierte Steinbildhauer Hrdlicka im Windschatten des von Bruno Schmitz entworfenen Kyffhäuser-Denkmals am Südrand des Harz stehen, das in seinem Bildprogramm eine recht derbe Ideologie transportiert: Am unterem Ende der Komposition scheint der schlafende Kaiser Friedrich Barbarossa aus der amorphen Steinmasse herauszuwachsen, um das über ihm positionierte Reiterstandbild Wilhelms I. auf seinen Schultern zu tragen. Zum anderen ist ein Vexierbild denkbar, bei dem dieser für Hrdlickas Skulpturen typische Bereich amorpher Kontingenz entweder als inhärenter Teil des Formkonzeptes oder aber als unbeabsichtigte Irritation humanistischen Formwillens auftritt. Vor dieser Irritation flieht Orpheus vom Wiener Albertina-Platz in den Hades, der als unbehauener Stein jenes Moment repräsentiert, das Orpheus hinter sich zu lassen glaubt.

Als bestes Beispiel für diese Dialektik kann die Figur der Maria Restituta in der Barbara-Kapelle des Wiener Stephansdomes gesehen werden. Das schmerzverzerrte Gesicht der 1943 in Wien Hingerichteten scheint ebenso aus einer Formlosigkeit herauszuwachsen, die hier den NS-Terror gleichsam als Dantesches Inferno repräsentiert. Die Figur erhält ihre Einprägsamkeit nicht zuletzt aus der Möglichkeit, dass das Gesicht, nachdem es durch den Schrecken entpersönlicht wurde, in der Amorphität des unteren, die Arme nur andeutenden Bereiches verschwindet. Wie will man das den rechtskatholischen Fanatikern begreiflich machen, die dem „österreichischen Gotteslästerer, Atheisten, Stalinisten und Pornographen“ Hrdlicka vorwerfen, er habe jede Ähnlichkeit mit dem historischen Vorbild peinlich vermieden und eine „Hexenfratze“ erzeugt (11)? Hier bei ist durchaus „christliche Logik“ im Spiel, weil die geistigen Nachfolger von Robert Bellarmin jedwede Darstellung schmerzverzerrter Gesichter ablehnen, sofern diese nicht den „Heiland“ oder sein polytheistisches Gefolge darstellen.
Wir wollen hier jenen Punkt nicht verschweigen, der eine Angriffsfläche für Kritik bietet und auch den Mythos im Sinne von Roland Barthes bestätigt: Der entblößte Busen, der unter der Abstraktion das einzig wirklich grausige Konkretum darstellt, wird unpassend mit den Namen jener Kommunisten versehen, die zusammen mit Maria Restituta am 30. März 1943 hingerichtet wurden.

Bei den vorliegenden Fällen kann die Problematik durch einen Terminus aus der griechischen Philosophie umrissen werde: Der Begriff des Hypokeimenon bezeichnet einerseits das allem Seienden Zugrundeliegende, andererseits jedoch auch das Unterworfene, das durch gewisse Formen von Energieaufwand in die Funktion des „Grundlegenden“ Gezwungene. Die von Hrdlicka mit großer Vehemenz betriebene Ablehnung der Bezeichnung seiner Kunst als „gegenständlicher“ erhält so eine neue Dimension, die wesentlich mehr aussagt als durch das Prädikat „Menschenbildner“.

Nach Hrdlickas eigener Aussage fungiere Kunst als „Zeuge ihrer Zeit“ (12). Das Problem, dass sie durch reine Konzentration auf Zeugenschaft einen naiven und flachen Blick provoziert, hat Hrdlicka offenbar nicht erkannt oder erkennen wollen. Ihrer Interpretation beraubt wird sie so, im Falle der Bildhauerei, am Schrecklichsten durch Hitlers Favoriten Arno Breker und Josef Thorak sowie durch die „Schöpfer“ jener kommunistischen Gebilde, die nach 1989 als Kuriositätenreigen im Budapester Szoborpark aufgestellt wurden, oder, um in die unmittelbare Gegenwart zu kommen, durch die Produkte des polnischen Katholiken Czeslaw Dzwigai. In all diesen Fällen bezeugt die Kunst die Unfreiheit des Geistes ihrer Zeit so vollständig, dass man sicher sein kann, dass Hrdlicka das nicht gewollt hat. Es bleibt, den Verstorbenen mit der Option zu ehren, dass seine Kunst gegen ihre Zeit und in manchen Fällen auch gegen ihren Schöpfer zeugt und aus dieser Intention heraus noch einige Zeit nachwirken kann.

Markus Vorzellner

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1 Roland Barthes: Mythen des Alltags, S. 85
2 Der Polterer. Zum 80. Geburtstag von Alfred Hrdlicka, Tagesspiegel, 27. Februar 2008
3 Alfred Hrdlicka: Offener Brief an Wolf Biermann. In: Neues Deutschland, 24. November 1994
4 Günter Kaindlstorfer im Gespräch mit Alfred Hrdlicka. Im Journal zu Gast, 23. Februar 2008
5 ebda
6 Lew Lwow Sedow: Rotbuch über den Moskauer Prozeß. Dokumente. Editions de Lee, Antwerpen 1936, Friedrich Adler: The witchcraft trial in Moscow. London: Labour Publications Dept. 1936. Für diese Informationen sei Prof. Rudolf Gelbard herzlich gedankt!
7 Günter Kaindlstorfer im Gespräch mit Alfred Hrdlicka. Im Journal zu Gast, 23. Februar 2008
8 Maurice Merleau-Ponty: Humanismus und Terror, 1966
9 Adam Schaff: Marx oder Sartre? Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften 1965, S. 30
10 Roland Barthes: aaO, S. 131
11 http://www.kreuz.net/article.9238.html
12 Ich bin ein Fleischhauer – Alfred Hrdlicka im Portät. ORF „artgenossen“, ausgestrahlt am 18. Februar 2008