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  „Herr Kuhner, wenn Sie Ihre Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken!“
Anonymer Anrufer

 
  Prolog
 
 

Der Prolog ereignete sich in Großmutters Wohnung. Im Anschluss-Jahr 1938, als ich drei Jahre alt war, ereignete sich folgendes bei meiner 83 jährigen Großmutter: Es läutete an der Tür und ich lief hin und öffnete. Zwei Männer in Straßenkleidung traten ein. Ich sehe diese Szene vor mir, als ob sie heute wäre. Einer von ihnen, ich erinnere mich noch genau, trug einen braunen Anzug und hinkte. Der Zweite trug Grau. Der Mann im braunen Anzug stieß die alte Frau von einem Schrank weg und durchsuchte ihn. Und tatsächlich war ihr Haushaltsgeld darin verwahrt.

1939, als ich vier Jahre alt war, verließ ich mit meinen Eltern Österreich, damit uns die Todesmühle nicht zermalmen konnte. Andere Mitglieder meiner Familie blieben zurück und wurden getötet. Meine Großmutter starb an gebrochenem Herzen, wodurch sie einem ärgeren Schicksal entging.

Ich wuchs in den Vereinigten Staaten auf und vollendete dort mein Studium. Dadurch wurde Englisch meine literarische Sprache. 1963 kehrte ich nach Wien zurück, um in meiner Geburtsstadt zu leben. Schon nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, ich sei nie fort gewesen.

Meine Mutter war unter dem Namen Lisa Berling eine bekannte Sängerin. Am 19. September 1924 hatte sie das erste Live-Konzert im Österreichischen Rundfunk gegeben. Sie sah sehr zart aus, aber sie war sehr zäh. Sie war auch 1938 und in den Folgejahren sehr ausdauernd. Sie war sogar kurz vor ihrem Tod völlig ungebrochen. „Gib nicht auf und gib nicht nach“, sagte sie zu mir. Sie starb am 18. September 1979.

Bei unserem Besuch in unserem alten Haus, dort wo wir glücklich gewesen waren, erinnerte ich mich an sie. An einem Sonntag waren wir in die Leopoldstadt spazieren gegangen. Im Prater, bei der Wieselburger Bierinsel, tranken wir eiskaltes Bier und begaben uns dann zu unserem alten Haus, Rueppgasse 16. Da waren wir nun, 31 Jahre später. Wir standen vor dem Haus und gingen nicht hinein. Am Eingang war eine Sprechanlage; wir hätten einen der Bewohner bitten müssen, das Tor zu öffnen. Vielleicht war es besser, dass wir nicht in den ersten Stock hinaufgegangen waren, den einst meine Großmutter und meine Mutter bewohnt hatten; dass wir nicht dort emporgestiegen waren, wo wir im Sommer 39 hatten hinuntergehen müssen. Wir haben jedoch an diejenigen gedacht, die man 1939 gezwungen hatte, über diese Stufen zum letzten Mal zu gehen – an Tante Helene, an Onkel Fritz, an Onkel Heinrich.

1963 kehrte ich nach Österreich zurück.

Durch meine Emigration wurde Englisch meine literarische Sprache. Alle meine deutschen Texte sind Übersetzungen, von mir oder von anderen aus dem Englischen übertragen. Ich als Übersetzer weiß, wie schwer es ist, ein Werk in eine andere Sprache umzusetzen. Durch meine Vertreibung habe ich meine Muttersprache Deutsch verloren und musste sie noch einmal erlernen.

Für manche Künstler ist Österreich jenes Land, das Hans Sachs besingt, doch für andere Künstler ist es eine Wüste.

Ich half zwar mit, österreichische Gedichte weltweit zu verbreiten, aber das hat mir in Österreich nie geholfen. Ich fand in der Wüste keine Oase.

Kulturbetrieb

In this setup, the people you should know
are the people you wouldn’t want to know.

Ohne Kulturbetrieb bist du schutzlos. Freiwild!

Der Kulturbetrieb, ich nenne ihn in Österreich den „Klub“, lehnte mich von Anfang an ab. Ich war in mehrfacher Weise für diese Klub-Mitgliedschaft nicht geeignet. Diese Abneigung war und ist eine gegenseitige.

Einladung

Dr. Wolfgang Kraus1975 wurde meine Einladung zu einem Literaturtreffen in Australien von Dr. Wolfgang Kraus, den Kulturberater des Österreichischen Außenamtes, abgefangen und storniert. Er berichtete: „Herr Kuhner ist ein überaus schwacher Autor, von dem man kaum annehmen kann, dass er Österreich in gutem Sinne vertreten wird.“ Nachdem ich darüber im Londoner Index on Censorship geschrieben hatte, wurde ich 27. Juli 1977 ins österreichische Außenamt zitiert. Diese Zusammenkunft entpuppte sich als ein Verhör, das etwas über zwei Stunden dauerte. Zwei namhafte Beamte, Dr. Woschnagg und Dr. Wilfling, versuchten, mich zu einer schriftlichen Selbstkritik zu bewegen. „Herr Kuhner, Sie haben den Ruf eines Ehrenmanns in österreichischen und ausländischen Zeitschriften befleckt. Wenn sie Manns genug sind werden sie sich bei Dr. Kraus entschuldigen.“

Die Erfüllung dieser Forderung hätte meine Glaubwürdigkeit zerstört. Ich konnte sie gar nicht erfüllen. Dann hörte ich, dass Gerüchte verbreitet worden waren, ich sei ein Spion, über den es einen Akt gäbe. Ich suchte, durch einen Rechtsanwalt Einsicht in den Akt zu nehmen, was mir der österreichische Staat unter Umständen hätte gewähren können. Die Damen und Herren Zuständigen haben es mir verweigert.

Gegen Kraus, der nicht aufhörte, mich als schwachen Autor und Narren zu beschreiben, brachte ich eine Klage ein, die von einem Gericht glatt Auszenministeriumzurückgewiesen wurde. Um eine Klage herauszufordern, schrieb ich einen offenen Brief an den „Hauptverhörer“ Dr. Woschnagg. Zehn Tage später erhielt ich einen anonymen Anruf. Die tiefe Stimme eines routinierten Anrufers versuchte Druck auf mich zu machen: „Herr Kuhner, wenn Sie Ihre Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken!“

Mein Buch „Der Ausschluss“

Emile Capouya, der 1985 bei Schocken Books Austrian Poetry Today/Österrerichische Lyrik heute veröffentlicht hatte, schlug mir vor, einen Roman über meine irritierenden Erlebnisse in Wien zu schreiben. Ich folgte seinen Rat und schrieb: Der Ausschluß: Memoiren eines 39ers. Hier ein Auszug:

Einige der Charaktere in diesem Buch sind Schurken durch und durch. Sie mögen eindimensional erscheinen, aber so sind sie eben. Wenn diese Typen in den Spiegel schauen, sehen sie das Ebenbild eines Feiglings und Lumpen vor sich. Da ihre wahre Begabung im Intrigieren liegt, muss jeder, der fest an den Inhalt seines Werkes glaubt, abgebremst, relativiert und ausgebootet werden. Diese Leute sind sich schon sehr früh im Klaren, dass die üblen Formen der Diplomatie – Verlogenheit und Verschlagenheit - mit voller Kraft eingesetzt werden müssen. Dabei spielen sie ein doppeltes Spiel. Ihr Gespräch dreht sich immer um Demokratie. Sie sind Demokraten dem Namen nach, doch insgeheim sind sie Anhänger totalitärer Grundsätze in Gedanken und in Taten. Sie können heute nicht mehr offen innerhalb der Gesetze töten. Das haben auch ihre Vorgänger in der Vergangenheit tunlichst vermieden. Die Schurken haben Leute fürs Grobe, die die Schmutzarbeit für sie verrichten. Damals wie heute ist eine ihrer Waffen die Verleumdung, doch auch das wollen sie nicht selber tun. Am liebsten lassen sie verleumden.

Der Ausschluss meines Buches

Ich konnte es kaum glauben, als das Wiener Journal einwilligte, mein Buch zu veröffentlichen. Aber gleich danach folgte die Bedingung, dass ich mein eigenes Impressum verwenden und mich um eine Subvention selbst bemühen müsste. Doch es kam anders: Das Wiener Journal erhielt eine staatliche Unterstützung für dieses Buch. Ich wiederum stellte eine Verbindung mit Ariadne Press in Kalifornien her. Aus dieser Kooperation entstand Janko Ferks Buried in the Sands of Time. Dann war das Buch fertig und der Name des Übersetzers – mein Name – war auf dem Umschlag gar nicht zu finden. Man hatte ihn weggelassen, was im englischen Sprachraum völlig unüblich ist und auch anders ausgemacht worden war. Warum hatte man das getan? Als ich mich darüber beim Wiener Journal beklagte, wurden Texte von mir für eine Nummer dieser Zeitschrift (Dezember 89/Jänner 90) gar nicht mehr abgedruckt. Ich hatte außerdem zwei weitere Autoren zum Edition Atelier gebracht für einen zweisprachigen Band. Nun wurden der Mitverleger und ich am Ende unserer Vorarbeiten einfach ausgeschlossen. Überhaupt nichts mehr galt. Nachdem mich darüber beschwert hatte, schlug mir der Chefredakteur des Wiener Journals schriftlich eine Aussprache vor.

Am 14. Februar 1990 rief ich Peter Bochskanl, den Chefredakteur, an und er sagte zur mir am Telefon: „Sie haben ein schlechtes Benehmen. Was Sie machen, ist ekelhaft. Sie, haben einen Verfolgungswahn.“ Ich fragte nach dem Zeitpunkt des Treffens und er gab er mir als Termin den 1. März. Das Gespräch war noch nicht zu Ende. Noch einmal redete er von meinem schlechten Benehmen, das war zu viel für meine Geduld. Er solle bitte selber einen Blick in den Spiegel werfen. Da sagte er „Termin abgesagt“ und legte auf.

Noch am selben Tag verlangte er durch eine Rechnung, dass ich die Subvention, die die Zeitschrift für mich bei einer staatlichen Stelle bewirkt hatte, an die Zeitschrift zurückzahlen sollte. Von der Subvention zog er mein Übersetzer-Honorar für das Ferk-Buch und einen Erlös aus dem Verkauf des Buches Der Ausschluss ab. Etwas mehr als ein Monat später schrieb Rainer Lendl von der Edition Atelie an die Verlagsauslieferung: „Wir streichen aus unserem Verlagsangebot den Titel: Kuhner, Der Ausschluss. Bitte veranlassen Sie, dass alle noch lagernden Exemplare an den Autor zugestellt werden.“

Der Autor „bewaffnet“

Eines Tages sagte Dr. Wolfgang Kraus vor Zeugen (Kurt Klinger, Adolf Opel), dass ich eine Waffe trüge, und er Angst hätte, bei einer seine Veranstaltungen von mir erschossen zu werden (*1). Aber ich besaß keine Pistole. Ich ziehe die Sprache als Waffe vor. Ich bin ein Gegner von Gewalt.

Michael Ley, der Soziologe, schrieb: „Nur einem ausgegrenzten Außenseiter fiel auf, was sich hinter der billigen Floskel „antifaschistische Kunst“ verbarg: Affirmation totalitärer Gewaltverhältnisse, nicht ihre Kritik (*2). Und Fritz Kleibel, der Filmemacher, mein Freund sagte: „Alle, die auf irgendeine Weise Geld in diese Kunst gesteckt haben, werden das weiterhin befürworten.“

Die Revisionisten schätzen die Barbarei der alten Zeit als gering ein und beschreiben sie sogar in rosaroten Farben. Ein Holocaust-Leugner prangert ausschließlich die Gewalt im anderen Lager an, die im eigenen leugnet er. Er äußert sich etwa kritisch über die Gewalt im Vorfeld und im Rahmen des Wiener Aktionismus. Das ist ganz schlimm. Dadurch wertet er den Wiener Aktionismus auf.

Quellen:
(*1) Adolf Opel, Kurt Klinger
(*2) Michael Ley: "Die Würdigung bliebb aus", Illustrierte Neue Welt, April 1995, Wien, S. 21



Fortsetzung folgt

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