Die vom Sozialismus benutzten und stets übel behandelten österreichischen Freidenker hätten zu jenen Professoren der Uni Wien, die das Konkordat von 1855 mit zu Fall gebracht hatten, eine Verbindung haben müssen, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre. Ging es aber nicht, denn wir sind in Wien. Die Wissenschaft war für die österreichischen Freidenker nur eine große Geste und den Intellekt überließen sie - notgedrungen - einem Expriester. Dort war er auf Schlagworte beschränkt. Marx - Feuerbach - Darwin. Eduard Schwella wetterte in einem Vortragssaal in der Wiener Laimgrubengasse gegen Gott und die Welt. Dazu zog er sich die schwarze Soutane an, die er aus seinem Priesteramt herübergerettet hatte und die offenbar in seinen Besitz übergegangen war. Der dänische Immigrant Christian Spanner-Hansen, dessen Bruder bei einem frühen Schottenring-Krawall von den Berittenen beinah getötet worden war, berichtete von Schwella und seinen Gumpendorfer Vorträgen. Er erzählte auch vom Publikum dieses frühen Freidenkers, das aus Handwerksgesellen, engagierten Frauen (sehr wenige) und Arbeitern der Staatseisenbahn-Gesellschaft Simmering bestanden hatte. Diese wurden von einem Oberlandesgerichtsrat namens Holzinger als Anarchisten verfolgt. Die größte Freude dieser jungen, widerständigen Habenichtse, die sich nachts am Wiener Neustädter Kanal (Bahngasse) trafen, war, wenn sie am Sonntag Schwella im Albrecht Dürer Saal über Weltentstehung und Ethik reden hörten.
Der Anfang der österreichischen Freidenkerei liegt nicht im Schoß der Sozialistischen Partei vor 1900 und auch nicht im Umkreis der liberalen (und jüdischen) Professorenschaft in Wien, er bildet sich an einem sozialen Rand. Dadurch war die Außenseiterposition dieser kleinen, aber authentischen und tapferen Gruppe von Anfang an festgeschrieben. Die "Arbeiter Zeitung", damals schon ein großes Medium, benutzte ihre mediale Macht, um den unberechenbaren Schwella aus dieser Gruppe herauszubrechen. Ein anonymer Autor namens "Symmachos", hinter dem die Zeitgenossen und auch Schwella selber Karl Kautsky vermuteten, attackierte den Expriester mit überlegenen Mitteln und machte ihn für das Gros seiner Zuhörer unmöglich. Es bildete sich eine neue Gruppe rund um den Gewerbetreibenden Gustav Häfner, die am 20. Februar 1887 im Hotel "Englischer Hof' in der Lindengasse den "Verein der Konfessionslosen" konstituierten. Angeblich waren 200 Personen anwesend. Der aus Prag stammende, etwas dubiose Dr. Erwin Plowitz, der noch im selben Jahr den Obmann zurücklegte, wurde als Obmann des Vereines präsentiert.
Der ganz junge Georg Schmiedl, der später als Volksschullehrer vom Stadtschulrat drangsaliert und jahrzehntelang auf der niedrigsten Gehaltsstufe fixiert wurde, war bei der Vereinsgründung dabei. Einige Mitglieder der "Konfessionslosen" traten später nahtlos in die Lueger Partei ein, in der nun der Intellekt, die Wissenschaftlichkeit und die Toleranz ganz klein geschrieben waren. Erst Ludwig Wutschel, ein nervenstarker Handarbeiter, beruhigte und proletarisierte in einer 28 jährigen Obmannschaft (bis 1921) diesen für Österreich völlig ungewöhnlichen Verein. Er brachte ihn der SDAP nahe, die ihn dann unter der Leitung des sozialistisch gewordenen Bahnbeamten Dr. Karl von Frantzl, der seinen „Ritter“ noch vom Kaiser erhalten hatte, für ihren teilweise verdeckten Kampf gegen die katholische Kirche einspannte und unter Ronzal fallen ließ.
Franz Ronzal, damals ein junger Mann, schrieb 1927 in einer Festschrift des Vereins folgende bitteren Worte: "Leider müssten wir aber auch erzählen von den schweren Kämpfen, die [...] sozialdemokratische Parteifunktionäre der Werbearbeit des Vereins bereiteten." Bis zu seinem Tod 1961 machte Ronzal immer wieder die gleiche üble Erfahrung, sodass die Freidenker in Österreich daraus lernen sollten. Sie sind in Österreich, was die Klarheit der Antihaltung gegenüber Kirche und Religion betrifft, allein auf weiter Flur.
Martin Luksan
zurück
|