DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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„Pädophilie“ steht noch nicht in jedem Wörterbuch


Ein seltsamer Spielfilm wurde in den Wettbewerb von Cannes aufgenommen und von der Zeitung „Der Standard“ für gut und wichtig befunden: „Michael“ (von Markus Schleinzer). Ein zehnjähriger Junge wird von einem Erwachsenen gefangen gehalten und – gleichsam in aller Liebe - missbraucht. Obwohl der Rezensent sorgfältig formulierte, verhinderte er nicht, dass er die Dinge plötzlich aus der Täter-Perspektive sah: „Schon eine gewöhnliche Erkrankung des Kindes schafft eine Krise, die alles in Frage stellen kann. Oder ein Unfall Michaels lässt einen um das Wohl des Jungen bangen.“ Was meint denn der Schreiber mit “Krise“? Worin besteht das „Wohl“ eines Kindes, das seiner Freiheit beraubt und sexuell missbraucht wird?

Der Rezensent übertrieb das Verständnis für den pädophilen Mann auf ähnliche Art wie ein Jahr zuvor (2010) Josef Haslinger in der Zeitung „Die Presse“, als er über seine eigene Person als Missbrauchsopfer in einer Klosterschule nachdachte. Fürsorglich, zärtlich, liebevoll … nannte er erwachsene Pädophile, die sich Kindern, deren Sexualität noch nicht voll erwacht ist, mit ihrer verheerenden Begierde nähern. Der an sich propere Haslinger verstieg sich sogar zu der Aussage: „Wenn wir Pädophile mit Kinderschändern und Sexualattentätern gleich setzen (…) geht uns jeder Maßstab für sinnvolle Maßnahmen verloren.“ Das klingt nach Definition und Wissenschaft. In Wahrheit wird niemand der Öffentlichkeit sagen können, wo noch der „liebevolle“ Pädophile am Werk ist und wo der Kinderschänder beginnt?

Pädophilie ist mit Kinderpornografie verbunden. Es gibt daher nicht nur pädophile Täter, die man psychologisch irgendwie behandeln kann, sondern auch Business–Täter, die das Ganze organisieren und profitabel machen. Man erinnere sich an die Peep Shows zu Beginn der 1980 er Jahre, die den sexuellen Voyeurismus des Mannes nicht ohne Einfall ausbeuteten. Rein theoretisch sind auch – softe – Kinderpornos für sensible, zärtliche und wohl verstandene Pädophile denkbar. Zur Zeit ist Pädophilie immer auch ein Verbrechen. Man kann Menschen mit dieser Neigung demoskopisch nicht erfassen, ahnt aber, wo man sie suchen darf, und ist verblüfft über jene Politiker und jene Richter, die sie schützen. Denn es ist unmöglich, „Pädophilie“ ohne das Opfer, das später ein Leben lang die Zeche für all das bezahlen muss, zu denken.

Martin Luksan, Mai 2011

Quellen:
Dominik Kamalzadeh, In: Der Standard, 16.05.11
Josef Haslinger, In: Die Presse, 14.03.10