Cat Stevens, der 1977 Muslim geworden war und sich seit damals "Yusuf Islam" nennt, wurde nach dem 11. September auf eine Verbotsliste in den USA und im United Kingdom gesetzt. Mehrere große Radiosender verboten seinen Superhit „Morning Has Broken“, als wollten sie im Gegenzug zu den tausenden Toten ein - kleines - Übel über einen Muslim verhängen. Der Sänger hatte dummes Zeug geredet, aber kein Gesetz verletzt - nun fügte man ihm einen Schaden zu. Diese absurde Strafe zeigt, dass eine dritte Instanz den angeblich so freien Markt kontrolliert. Der Anbieter ist von der Macht auch dann abhängig, wenn er sein Produkt gut verkauft. Er kann als Künstler natürlich kein Recht auf Publikumserfolg haben, doch er erwirbt auch keinen festen Anspruch, im Spiel der Öffentlichkeit mitzuspielen, nachdem er einmal lektoriert, redigiert oder im Tonstudio aufgenommen worden ist.
Im Buchgeschäft, wo seit jeher berühmte Schriftsteller auf junge, unbekannte hinweisen, wird durch die Einschaltung großer Medien die Bekanntheit des Neulings über Nacht hergestellt. Das kann gut gehen, aber oftmals geht das schief, wenn nämlich die überstürzte Akzeptanz auf Fehldeutung und Unwissen beruht. Norman Mailer empfahl einen jungen Zuchthäusler, der wenig später als mangelhaft erkannt wurde und seinen zweiten Mord beging. Jack Unterweger erlangte vom Gefängnis aus das Interesse österreichischer Kulturpromis für sich und seine Geständnistexte, er wurde noch während seiner Haft in einem Wiener Theater uraufgeführt und von einem bekannten Rundfunkmann interviewt. In Freiheit versuchte er, für seine neuen Texte neue Fürsprecher zu finden, während er - im selben Zeitraum - eine Serie von Frauenmorden beging. Die großen Medien können einen Künstler genauso wenig wie einen Politiker oder irgendeine andere Person prüfen. Sie können nur eine Aktualität aufgreifen, deren Wichtigkeit aufblasen und Einschaltziffern und Auflagenzahlen erhöhen.
Einen Unterschied zwischen Österreich und den USA wird man nicht bei der Präsentation des Einzelnen, doch aber beim Abbild der Gesellschaft finden. Als die „Washington Post" den Fall Watergate skandalisierte, war jedem Leser klar, dass nicht die US-Nation angegriffen war, sondern der Präsident Nixon, und nicht die Göttin der Gerechtigkeit den Einbruch ins fremde Wahlbüro verfolgte, sondern die demokratische Machtgruppe, die gerade nicht am Regieren war. Als in Österreich Edith Klestil, die Frau des Bundespräsidenten, ihren Mann wegen Eheschädigung klagte, kritisierten die großen Medien Frau Klestil wegen eines Interviews. Sie hätte sich still und heimlich scheiden lassen sollen. Im "Kurier" zeigte sich der Leitartikler entsetzt über den Schaden, den die Nation nicht durch das Verhalten eines Mannes und einer Ehestörerin, sondern einer betrogenen Ehefrau erlitt.
Der österreichische Meinungsmacher ergreift nicht bloß Partei, er ergreift Partei für die Staatsräson und verfehlt dadurch die Darstellung von Konflikt und wirkenden Mächten zugunsten einer erwünschten Einheit und Harmonie. Dieser oder jener Journalist hat heute keine Scheu, in einem Rundfunkporträt oder einem Erinnerungsbuch die Vagheit seiner einstigen Befunde zuzugeben. Er sagt einfach, dass er es für Österreich tat, wenn er in Leitartikeln oder Sendungen seine Parteimeinung und sogar seine persönliche Meinung unterdrückte. Er teilte nie die ganze Wahrheit über das Land mit, sondern retuschierte an einem Österreich-Bild herum, das die jeweilige Regierung glatt übernehmen konnte. Wenn er über den „Kommunistenputsch" von 1950 oder über den Abzug der „Besatzungstruppen", die andererseits „Befreiungstruppen" waren, auflagenstark schrieb oder radioverbreitet sprach, so blies er immer auch Dunst ins Bild hinein. Der friedliche Nebel verhüllte dann die Verhältnisse der Macht im Land und erweckte auch den fatalen Eindruck, dass Gravierendes in Österreich eigentlich nie passiert.
In Österreich scheinen alle bekannten Journalisten einheitlich-konsensual zu denken. Sie kritisieren die Staatsmacht nicht hart, den politischen Gegner nicht hart und die Wirtschaft, das Parlament und die Sozialpartner überhaupt nicht. "Kritik wird nur an den Extremen der Gesellschaft geübt", schrieb Robert Menasse in seinem ersten Buch. Die großen Medien kritisieren das "dritte Lager" nur im Sinne des gewünschten Zweiparteien-Systems. Die FPÖ gilt als abgezählte und versorgte Opposition, aber nicht als salonfähige Macht. Das kann sich noch ändern. Da große Medien die große Koalition nicht ernsthaft kritisieren, werden die wirklichen Verhältnisse im Land nie klar gespiegelt und jeder Bundeskanzler ist als Repräsentant der scheinbaren Einheit für den österreichischen Qualitätsjournalismus unantastbar. A. Gusenbauer fiel bekanntlich durch seine eigene Partei. Was die großen Medien aber doch genau überwachen, ist das korrekte Sprechen über die Verhältnisse im Land.
Auf der ganzen Welt lenken große Medien von politischer und von wirtschaftlicher Macht ab und bestätigen sie zugleich. In den USA aber wachsen solche Medien wild, dort fressen sie einander auf oder verharren in PattsteIlung, während sie in Österreich nur durch Subvention so groß und mächtig sind. Durch verdeckte Förderungen, staatlich vermittelte Inserate oder gar durch ein Rundfunkamt halten sie Ihre Größe und sind als "vierte Macht" im Lande zu vergessen. Sie können nicht die freie Wirtschaft, die gewählte Regierung, das unabhängige Rechtswesen (auch „drei Ideale"!) ungebunden deuten und überprüfen, wenn sie gleichzeitig mit dem Wegfall von Stützungsgeld rechnen müssen... Man will in Österreich die Verhältnisse der 1920er Jahre politisch und journalistisch nicht mehr haben. Man unterstützt darum die kapitalschwachen Eigentümer nicht nur, damit sie ihr Spiel spielen, sondern auch, damit sie sich nicht von jedem reichen Mann Geld holen. Hier darf ein Widerwille gegen journalistische Berichterstattung vermutet werden, der in Österreich nicht neu ist. Die leitenden Journalisten scheinen aber die hiesige Verachtung für Zeitungswesen ungewollt zu bestätigen. Sie wollen in der Regel nie bloße Journalisten sein, sondern immer auch halbe Staatsmänner.
© M. Luksan, Juni 2011
zurück
|