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Dem akademischen Formulierer verdankt die Menschheit eine Überfülle von unlesbarer Literatur in Fächern, die der Sprache verpflichtet sind. Doch der Professor aus England und aus den USA drückt sich meist geschickter aus als der österreichische Kollege. Wie das? Er lernte schreiben. Schreiben ist nicht Vortragen, nicht Frei Sprechen, nicht Einfälle Haschen, nicht Drauflos-Agieren. Nicht dass die Österreicher ungenau forschten oder undifferenziert dächten, sie haben nur nie gelernt, ihre Fakten, Deutungen und Begriffe wirkungsvoll zu vermitteln. Die geschriebene Kultur überlassen sie ihren Dichtern, diese schreiben dann Bücher über Nichts. |
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Erika Weinzierl
Es ist schwer zu sagen, was geschehen wäre, wenn Stauffenbergs Bombe Hitler, wie geplant, getötet hätte. Ein Gelingen und damit ein sofortiger Friedens-Schluss hätten dem Deutschen Reich jedenfalls mehr Opfer an Menschenleben und Zerstörung seiner Städte erspart, als es von Kriegsbeginn 1939 bis 1944 erlitten hatte. Die Ereignisse jenes Tages in Österreich hat Ludwig Jedlicka |
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John Keegan
Doch bis zu seinem völligen Bruch mit der Armee nach dem Juli 1944 war Hitler seltsam nachsichtig gegenüber Erfolglosen und sogar Widerspenstigen. Wie jeder Generalissimus vor ihm – zum Beispiel Joffre im Jahre 1914 – sprach er im großen Umfang Entlassungen aus, wenn die Gefechtstüchtigkeit es verlangte; die „Massensäuberungen“ vom Dezember 1941 zeigte, wie rücksichtslos er vorgehen konnte. |
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Dessen Ergebnisse zusammenfassend, kann gesagt werden, dass verhältnismäßig wenig österreichische Offiziere in den Plan der Männer des 20. Juli eingeweiht waren. Im Wehrkreiskommando XVIII, Salzburg, erfuhr daher das Verhältnis zwischen Wehrkreis-kommando und Gauleitung am 20. Juli auch nicht die geringste Trübung. Dass in Wien dagegen eine teilweise Durchführung des Planes „Walküre“ gedeihen konnte, lag am Zusammentreffen einer Reihe von dafür günstigen Faktoren, in erster Linie aber an der entschlossenen Durchführung der von den in die Verschwörung nicht eingeweihten Offizieren Kodre und Esebeck gegebenen Befehle durch Hauptmann Szokoll. Er, eigentliche Schlüsselfigur der Wiener Ereignisse vom 20. Juli 1944, ist infolge der Verschwiegenheit von Bernardis und Marogna-Redwitz, die am 8. August und am 12. Oktober 1944 in Berlin hingerichtet wurden, und des Zufalls, dass sein Name auf keiner Liste der Männer des 20. Juli aufschien, nicht entdeckt worden. Szokoll war daher auch nach ihrem Scheitern in der Lage, in ihrem Sinn weiterzuarbeiten. |
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Doch obwohl er den Reichstag im April 1942 veranlasste, ihm absolute Vollmachten einzuräumen, bediente er sich ihrer nur sparsam. Hoepner verlor 1942 seine Pension wegen des falschen Einsatzes seiner Panzergruppe. Von Wietersheim wurde wegen Inkompetenz degradiert, von Sponeck zum Tode durch Erschießen verurteilt, weil er die Halbinsel Kertsch aufgegeben hatte (das Todesurteil wurde später in eine Haftstrafe umgewandelt) und Falay und Stumme erhielten die Entlassung infolge von Verletzungen der Dokumentensicherheit in ihrem Befehlsbereich. Bis zur Verschwörung vom Juli 1944 war Hitlers Personalpolitik im Wesentlichen jedoch nicht strikter als die Churchills und weitweniger drakonisch als die Stalins, der 1938 die Hälfte der höchsten Offiziere der Roten Armee ermorden ließ und in der Krise von 1941 keine Bedenken hatte, erfolglose Generale hinrichten zu lassen; mehrere entzogen sich diesem Schicksal und wählten den Freitod. |
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Im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 war es für Österreich von besonderer Bedeutung, dass bei der politisch und personell weitgehenden Vorbereitung der führende deutsche sozialdemokratische Gewerkschafter Wilhelm Leuschner bereits im Frühjahr 1943 mit dem Österreichischen Sozialdemokraten Dr. Adolf Schärf Kontakt aufgenommen hatte. Er stellte Schärf die Revolution gegen Hitler für den Herbst 1943 in Aussicht und drückte die Hoffnung aus, dass der „Anschluss“ Österreichs auch danach aufrechterhalten bleiben werde. Schärf, der bis dahin nicht gegenteiliger Meinung gewesen war, überkam es jedoch nach eigenem Bericht „wie eine Erleuchtung“: „Der Anschluss ist tot. Die Liebe zum deutschen Volk ist den Österreichern ausgetrieben worden!“ Diese Überzeugung war damals bereits bei allen österreichischen Gesprächspartnern der Männer des 20. Juli so stark, dass diese keine Zusage über die Beibehaltung des „Anschlusses“ mehr erhalten konnten, obwohl sie sogar erwogen haben sollen, den ehemaligen Bundeskanzler Schuschnigg als Kultusminister in das geplante Kabinett Goerdeler-Beck aufzunehmen. |
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Speer, der die Vorgänge in Hitlers Hauptquartier als Zivilist beobachtete, äußerte sich sogar erstaunt über den augenscheinlichen Mangel an Respekt, den die Berufssoldaten ihrem Oberbefehlshaber entgegenbrachten: „Ich hatte bei diesen Lagebesprechungen ehrfürchtiges Schweigen erwartet und war überrascht, dass die gerade nicht am Vortrag beteiligten Offiziere sich ungeniert, wenn auch gedämpft, besprachen. Oft nahm man während der „Lage“, ohne auf die Anwesenheit Hitlers weiter Rücksicht zu nehmen, an der Sitzgruppe im Hintergrund Platz. Diese vielen Randgespräche verursachten ein andauerndes Gemurmel, das mich nervös gemacht hätte. Hitler störte es nur, wenn die Nebenunterhaltung zu erregt und zu laut wurde. Wenn er jedoch missbilligend den Kopf hob, sank der Lärm sofort ab.“ |
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Für die Auslösung des österreichischen Aufstandes 1945 wurde das schon vor dem 20. Juli 1944 gewählte Kennwort „Radetzky“ beibehalten. Seit November 1944 hatte Szokoll auch Verbindung zu zivilen Widerstandgruppen, von denen die des schon genannten Dr. Hans Becker gebildete 05 seit Beginn des Jahres eine gesamtösterreichische Widerstandsaktion anstrebte. Bei den dafür notwendigen Koordinierungsaktionen ist dann als Vermittler der junge Fritz Molden besonders in Erscheinung getreten. Der Erfolg seiner Bemühungen ließ nicht allzu lange auf sich warten: Am 18. Dezember 1944 konstituierte sich in Wien das „Provisorische Österreichische Nationalkomitee“ („POEN“). Es bestand zunächst aus Katholisch-Konservativen, hatte aber von Anfang an auch Kontakte zu den Sozialisten, in erster Linie zu Adolf Schärf und zu dem damaligen Kommunisten Viktor Matejka. Außerdem konnte es auch Verbindung zu militärischen und politischen Führungsstellen der Alliierten aufnehmen. |
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Der Verrat der traditionellen Militärschicht im Juli 1944 setzte solcher Ungezwungenheit für immer ein Ende. Fortan kennzeichnete Misstrauen den Umgang Hitlers mit seinen Generälen und weitete sich, während die Flut der Niederlagen das Reich überschwemmte, auf die gesamte Wehrmacht aus. Während des Rückzugs aus Frankreich drohte Hitler Kommandeuren, die befestigte Stellungen aufgaben, mit Sippenhaft. Und in den letzten Tagen des Krieges wurde jede geregelte Bestrafung in den Wind geschlagen: „Fliegende“ Kriegsgerichte verurteilten Soldaten, die der Kapitulationsbereitschaft verdächtigt wurden, und sogar jene, die sich von ihren Einheiten e ntfernt hatten, im Schnellverfahren zum Tode. Es handelte sich um Verzweiflungsmaßnahmen, die in Anbetracht der unvermeidlichen Niederlage ohnehin fruchtlos waren. Aber die Brutalität der Maßnahmen enthüllte |
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Aus: E.W., Widerstand, Verfolgung und Zwangsarbeit 1934 – 1945, Rolf Steininger, Michael Gehler (Hg.); Österreich im 20.Jahrhundert, Bd 1, Wien 1997, 435 f. |
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Aus: J.K., Die Maske des Feldherrn, Reinbek 2000, 467 f. |
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Unterzeichnung der Kapitulation
durch General Jodl 1945 |
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Industrieanlage in Donaustadt
(damals Floridsdorf) 1936 |
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Franz Mathis
Wenn man die säkulare Umgestaltung der österreichischen Wirtschaft und Gesellschaft in ihrem zeitlichen Ablauf nachvollziehen will, bieten sich vorerst zwei, relativ leicht messbare Kriterien an: zum einen der jeweilige Grad der Verstädterung oder Urbanisierung, zum anderen die Struktur der Erwerbstätigen. Je geringer der Anteil der am Landlebenden bzw. in der Landwirtschaft Erwerbstätigen war, umso weiter hatten sich Wirtschaft und Gesellschaft von der traditionellen, vorindustriellen Vergangenheit entfernt. |
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Daniel Bell
Das Verteilerprinzip ist einfach: Der Kopf der Familie trifft die notwendigen Entscheidungen, doch am Tisch wird einfach geteilt. Niemandem wird ein genau nach den Leistungen bemessener Anteil zubemessen (wenngleich der Haushaltsvorstand den Löwenanteil für sich beanspruchen mag). Jeder empfängt entsprechend seinen Bedürfnissen. |
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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten von den 6 Millionen Menschen, die im Gebiet des heutigen Österreich wohnten, rund 58 Prozent in Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern, die in der Statistik vielfach als Grenze zwischen ländlicher und städtischer Siedlung angenommen werden. Demnach wäre damals die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung bereits nicht mehr – wie noch 30 Jahre zuvor - dem ländlichen, sondern bereits dem städtischen Bereich zuzuordnen gewesen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass der allergrößte Teil des relativ hohen Urbanisierungsgrades allein auf die überproportional große Reichshauptund Residenzstadt Wien zurückzuführen war, die damals 29 Prozent der österreichischen Bevölkerung auf sich vereinigte; rund die Hälfte aller in statistischer Hinsicht in städtischen Gemeinden gezählten Menschen lebten in Wien. In den späteren Bundesländern außerhalb Wiens hingegen überwog noch eindeutig das ländliche Element. Lediglich Vorarlberg, Oberösterreich und Salzburg hatten bereits einen Urbanisierungsgrad erreicht, der dem durch Wien atypisch angehobenen, gesamtösterreichischen Durchschnitt nahe kam, während sich die Situation in den übrigen Ländern gegenüber vorindustriellen Verhältnissen nur wenig verändert hatte. |
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Beherrschende Vorstellung ist die der Bedürfnisse. Nach Aristoteles haben die Menschen natürliche Bedürfnisse wie die nach genügend Nahrung, Kleidung und Schutz vor Elementen, Versorgung bei Krankheit, sexuellem Verkehr und Geselligkeit und dergleichen mehr. Diese Bedürfnisse biologischer Herkunft sind jedoch begrenzt und zu befriedigen. Die Kunst der Haushaltsführung in der privaten und politischen Wirtschaft verlangt Beachtung dieser natürlichen Grenzen. Erwerb ist im Umfang begrenzt, hat Grenzen, die von den Zwecken (d.h. den natürlichen Bedürfnissen) des Haushalts festgelegt werden. Unbeschränkter, im wesentlichen auf selbstsüchtigen Geldgewinn abzielender Erwerb ist nach Aristioteles chrematistisch; er sei genau deshalb „unnatürlich“, weil er schrankenlos sei. Es sei hier angemerkt, dass im Griechischen der Wortstamm chremata Dinge bedeutet. In der Marktwirtschaft wird die Produktion durch den Konsens aller konsumierenden Individuen oder Haushalte und in Einklang mit deren Geschmack bestimmt. In einer – privaten oder staatlichen – kapitalistischen Markt-Wirtschaft werden die Profite aus der Produktion nicht für persönliche Zwecke oder persönlichen Luxus ausgegeben, sondern in Produktionsanlagen investiert, um noch mehr und noch billigere Produkte für noch mehr Konsumenten herstellen zu können |
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Ein – was die verzerrende Wirkung der Wiener Verhältnisse anlangt – ähnliches Bild bietet ein Vergleich der Erwerbstätigenstruktur. Geht man von den gesamtösterreichischen Werten aus, wäre das damalige Österreich in den heutigen Grenzen – gemessen am Anteil der in der Landwirtschaft Erwerbstätigen – mit nur 44 Prozent bereits nicht mehr als Agrarstaat, sondern schon als Industriestaat zu bezeichnen gewesen. Ein Blick auf Tabelle 1 zeigt jedoch in unzweideutiger Weise, dass sich auch die Industrialisierung vorerst auf nur wenige Regionen beschränkte, von denen speziell der Wiener Raum dank der überberproportionalen Größe der Kaiserstadt den gesamtösterreichischen Durchschnitt unverhältnismäßig stark bestimmte. |
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Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Marktwirtschaft, auch wenn sie historisch mit der Entstehung des modernen Privatkapitalismus verknüpft ist, als Mechanismus nicht notwendig auf dieses System beschränkt ist. Autoren wie Enrico Barone und später auch Oskar Lange sind der Ansicht, dass durchaus eine sozialistische Marktwirtschaft möglich ist und dass dieser Markt unter sozialistischen Bedingungen leistungsfähiger funktionieren würde als unter dem modernen Kapitalismus, der seine Wirkungsweise ständig durch Monopol oder Oligopol beeinträchtige. |
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Aus: F.M., Die österreichische Wirtschaft. Grundlagen und Entwicklungen, In: Österreich . s.o., Bd 2, 416 f. |
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Aus: D.B., Die Zukunft der westlichen Welt, Frankfurt 1976, 261 f |
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Erika Weinzierl (die verdienstvolle Dame der österreichischen Zeitgeschichte) und John Keegan (der englische Militärhistoriker) berichten über fast den gleichen Sachverhalt. Weinzierl über das Attentat gegen Hitler 1944 und Keegan über Hitlers Verhältnis zu den Generälen. Doch was für ein Unterschied im Text! „Dass in Wien eine teilweise Durchführung des Planes (…) gedeihen konnte, lag am Zusammentreffen einer Reihe von dafür günstigen Faktoren“ Nicht einmal die Zahl der Faktoren hat Weinzierl genannt. Keegan hat nirgendwo eine solche Leerformel geliefert, er hat seine Dinge schon gegliedert, ihre Grenzen schon festgestellt, wenn er das Ergebnis schriftlich fasst. Bei Franz Mathis (dem Wirtschaftsprofessor) wirkt das Nachdenken über Zahlenmaterial mitten im Text wie eine Kabarett-Nummer: „Allerdings gilt es zu bedenken, dass der allergrößte Teil des relativ hohen Urbanisierungsgrades allein auf die Reichshaupt- und Residenzstadt Wien zurückzuführen war“ Daniel Bell (dem ökonomisch gebildeten Philosophen) ist eine solche Geschraubtheit fremd. Bei ihm gibt es keine Antwort, die zugleich eine neue Frage aufwirft, um die sich dann der Autor nicht kümmert. Wo findet Mathis den „allergrößten Teil“ der Urbanisierung und wo den kleinen Rest? Er sagt es nicht. Diese gesprochene, vielleicht sogar diktierte Sprache, die von einer Kanzel herunter vernünftig klingt, ist als Text ein Unding. Eine solche Fachliteratur im Bereich der Human Sciences verrät das Fehlen einer schriftsprachlichen Kultur. Gäbe es diese, wäre die Lektüre leichter und die Relevanz der historischen Forschung größer. |
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