DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Die Gesellschaftsdeuter


Einst beschrieb ein langhaariger Hochschulsoziologe den Klassenkampf in einem Kapital–Lesekreis. Und in einem Hörsaal diskutierte ein bürgerlich gekleideter Politologe mit Studenten über die Reichweite von Politik. Und fünfzehn Jahre später stellte ein Volkshochschul-Psychologe, der früher Marxist gewesen war, den blauen Führer-Retter aus Kärnten einer „ichschwachen“ Wählerschaft gegenüber. Keiner von den Deutern sagte etwas ganz Falsches über die aktuelle Lage, doch keiner lieferte ein ganzes Bild.

Nun aber sagt der Ökonom Glötzl in Anlehnung an den Ökonomen Flassbeck, dass die EU nicht einmal dazu tauge, die gleiche Inflationsrate bei allen Mitgliedsländern herbeizuführen. Der Euro sei sehr wohl in allergrößter Gefahr und nicht alle Mitglieder Leiter einer Finanzbehoerde in Wien 1968leben finanziell über ihre Verhältnisse. Zum Beispiel Deutschland und Österreich konsumieren und investieren weniger, als sie erzeugen. Das ist nun das Gegenteil von dem, was man täglich in den Nachrichten hört. Die ökonomischen Kapazunder wurden mit solchen Botschaften von der Politik bisher nicht beachtet, sie melden sich in Qualitätszeitungen und im Internet zu Wort, und ihre Mitteilungen wirken kurz angebunden. Sie sind jetzt in die Position der Gesellschaftsdeuter aufgerückt, denn die Politiker erklären sich den ökonomisch unwissenden Bevölkerungen nur noch durch Finanz- Argumente.

Der Ökonom Schachermayer erinnert an eine Banalität der Ökonomie, dass nämlich der Schuldenberg einer Volkswirtschaft nur berechnet werden kann, wenn auf der anderen Als sich die Schulden noch in Grenzen hieltenSeite ein gleich hoher Guthabenberg festgeschrieben wird. Die Schulden eines Landes (die des Staates gegenüber seinen Bürgern und die des Staates gegenüber anderen Staaten) sind extrem angestiegen und gefährden die Volkswirtschaft. Das aber bedeutet, dass ein ebenfalls extremes, gleich hohes Geldvermögen (von namentlich feststellbaren Personen, in Österreich etwa 800.000 Leute) das Land belastet. In einer solchen Situation kann nicht bloß vom Sparen des Staates die Rede sein. Die Ökonomen mahnen hier die Beachtung eines Unterschiedes ein. In einem privaten Haushalt kann durch Verringerung der Ausgaben eine Schuld bezahlt werden, in einer Volkswirtschaft jedoch nicht. Hier bedeutet jede Kürzung der Gesamtausgaben eine Kürzung der Gesamteinnahmen, und Gleichgewicht bleibt nur erhalten, wenn der Schuldenberg mit dem Vermögensberg gleichzeitig abgetragen wird.

Beim Reden über die EU wird die unterschiedliche Inflation nur beiläufig erwähnt. Und das Prinzip der als Buch geführten Volkswirtschaft, dass jede Buchung zu einer Gegenbuchung führt, sodass am Ende der Ausgleich zwischen allen Schulden und allen Vermögen Null Als die Stadt Wien noch für alles hafteteergibt, wird geradezu vertuscht. Ja wieso lässt hier die Öffentlichkeit das Wichtige weg oder stellt es in den Hintergrund der Auslage? Diese Frage drängt sich heftig auf und kann empirisch nicht beantwortet werden. Man kann nur sagen, dass es Personen mit großer „Deutungshoheit“ gibt, die diese Dinge einfach nicht sagen. Man sieht auch andere, die riskanteste Geschäfte diskret durchziehen, während sie die Öffentlichkeit mit Schall und Rauch erfüllen. Und schließlich gibt es jene (die es freilich immer gab), die den Staat direkt plündern, indem sie ihm überhöhte Rechnungen legen. Und der Staat, der für diese ganze Wirtschaft haftet, die von Zeit zu Zeit schwankt, wird in schlechtestes Licht gerückt. Es heißt: er habe sich riesenhaft verschuldet - zwar nicht überall gleich hoch, aber überall verantwortungslos – und er soll sparen. Man will ihn schlanker machen, ohne dass ein Wirtschaftswachstum bevorsteht. Diese Sicht dringt über große Öffentlichkeit in alle Köpfe.

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