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Künstler und Kunstöffentlichkeit in Wien
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Wenn ein Reporter so gut ist wie Gerald Grassl, gibt er Einblicke sogar dort, wo er sich nur lässig erinnert. Padhi ist Spitze, aber er stiehlt; die Öffentlichkeit schließt Padhi aus, doch eines Tages ist er ihr Hit. Diese tiefen Zweideutigkeiten hat Grassl authentisch wider gegeben. Er hat dabei auf Begriffe verzichtet, entlang von Existenz formuliert.
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WAS KUNST DU? Von Gerald Grassl
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Irgendwo in Simmering lebt Padhi Frieberger. Aber wo? Angeblich in einer aufgelassenen Fabrik an der Peripherie. Irgendwelche Leute dürfte er doch in seine Behausung lassen. Dort wurde er fotografiert: Am Eingang eine Grafik von Picasso, darunter der Schriftzug „Was Kunst Du?“, oder er steht vor einem Schuppentor, daneben ist ein Schild befestigt: „Hier arbeitet ein GENIE – und keiner merkts.“ Auf einem dritten Bild ist Padhi in „Padhiland“ zu sehen, einem Wohnraum, der an Kunst-Messies wie Marcel Prawy, Hermes Phettberg oder den Gugginger Künstler August Walla erinnert.
Als ich ihn zuletzt sah, hatten sie ihn zur Ausstellungseröffnung im MAK (Museum für Angewandte Kunst, 2007) im Rollstuhl hineingeschoben. Ich wunderte mich, denn er verabscheute den Kunstbetrieb wie niemand anderer, egal ob es die Galerie-Szene oder all die Museen „für moderne Kunst“ waren (und sind) und sagte in einem Interview: „Ich fühl mich als Künstler – sogar als DER Künstler. Mein Künstlertum ist für mich wesentlich, es ist auch wichtiger, Künstler zu sein, als zu malen. Hätte ich van Gogh im Wald getroffen, wäre ich zu ihm hingegangen, denn Ich hätte sein Genie erkannt (…) Ein Künstler ist auch dann ein Künstler, wenn er seine Vorstellungen nicht zur Ausführung bringt.“
Kaum war Padhi im Raum, gab es ein Gedränge. Alle redeten auf ihn ein, stellten ihm Fragen, baten um Wortspenden. Seltsam, denn ich dachte immer, DER gehört zu denen, die „weltberühmt“ sind – nicht einmal in Österreich, höchstens in einer „Szene“ Wiens, innerhalb einer kleinen, pseudoanarchistischen Clique, die einst gegen das so genannte Establishment rebellierte und sich längst mit ihm arrangiert hat. Und nun endlich wird ER von der Kunstwelt für den ihm so verhassten Kunstmarkt entdeckt. Bei Auktionen erreichen seine früher fast täglich an Freunde versandten MAILART–Karten erstaunliche Preise, und erst recht seine aus Gerümpel gebildeten DADA–Objekte oder auch seine Collagen.
Als ich ihn zuvor das letzte Mal gesehen hatte – es war Sommer auf der Praterstraße – steuerte er mich auf seinem Fahrrad an (er war seit ich ihn kenne / kenne?, nur auf dem Fahrrad unterwegs). Trotz der Hitze trug er einen dicken, weißen Rollkragenpullover, dazu die geschniegelte Jacke eines Schiffsoffiziers, auf dem Kopf eine Kapitänsjacke. Außerdem eine exakt gebügelte, marineblaue Hose. SO hatte ich ihn noch nie gesehen!? Er grüßte kurz und dann kam das Unvermeidliche: „Heast, host an Hundata fia mi? I hob in gonzn Tog no nix gessn...“ Ich musste ihm leider antworten: „Ich bekomm nur die Notstandshilfe, bin auf dem Weg zur Bank, weil ich seit drei Monaten mit der Miete im Rückstand bin, um die zu überreden, ob ich nicht doch ausnahmsweise überziehen kann…“
Normalerweise blieb er bei solchen Begegnungen stehen und ein nicht zu unterbrechender Wortschwall, dem schwer zu folgen war, prasselte auf einen nieder. Diesmal schwang er sich wieder auf sein Rad und rief mir zum Abschied voll Verachtung zu: „Selber schuld, wenn du ein Konto hast!“
Irgendwie lebten und leben Leute wie er. Aber wie sie DAS schaffen? Das bleibt ein Geheimnis, das bleibt eine Ahnung. Als mir die Bank keinen Überziehungsrahmen mehr gestattete, wollte ich das Konto kündigen und ohne Bank leben. Das gelang mir nicht einmal drei Monate lang, denn diese meine kleine Welt ist leider so organisiert, dass sie eine Abhängigkeit zum mir so verhassten Bank-Betrieb geschaffen hat, ohne den ich gar nicht existieren könnte.
Zum ersten Mal sah ich ihn im Rahmen der alternativen Wiener Festwochen-Reihe ARENA in der Nachtbar Casanova in der Dorotheergasse. Eine freie Theatergruppe war angekündigt, doch niemand erschien auf der Bühne. Nach fast einer halben Stunde warten, erhob sich schließlich der Jazzer Uzzi Förster, begab sich auf die Bühne, machte einen Handstand und tapste auf den Händen hin und her, kehrte elegant auf die Beine zurück und fragte ins Publikum: „Was sollen wir jetzt mit dem Abend machen?“ Jemand rief: „Spü wos!“ Er nahm einen Kamm, umwickelte ihn mit Stanniolpapier und begann Melodien zu blasen. Dann kam Padhi mit einem Sessel auf die Bühne und verwendete dessen Sitzfläche als Trommel, nach einiger Zeit folgte Joe Berger: „I hob ma heit a poa Notizen gmocht, de les i eich jetzt vua.“
Später war Padhi in Theos (ein ehemaliger Kellner im Cafe Hawelka) „Kleinem Cafe“ (das sich elementar von der Kommerz–Gastwirtschaft seines Nachfolgers Hanno Pöschl unterschied) Stammgast. Dort war Jazz wie nirgends sonst zu hören. Und wenn eine Nummer Padhi überzeugte, nahm er sofort einen Sessel und klopfte dazu.
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Es war Winter. Ich lebte mit meiner späteren Ehefrau Christine und der Kunststudentin Hilde in einer winzigen Garconniere in der Taborstraße. Ich verdiente als Lehrling im 3. Lehrjahr 900,– Schilling (das wären heute rund 60,– Euro) Tausend Schilling hatte ich als „eiserne Reserve“ in einer Schublade der Kochnische liegen. Wir schliefen auf Matratzen am Boden, umgedrehte Obstkisten dienten als Tische und Bücherregale.
Eines Tages brachte Hilde Padhi als Gast zu uns. Wir tranken Tee, ließen einen Joint in die Runde gehen und Padhi erzählte und erzählte und erzählte. So spannend er auch zu berichten wusste, ich schlief schließlich ein. Um sechs Uhr früh ging der Wecker. Ich musste aufstehen und in die Arbeit. Padhi lag eng an Hilde gekuschelt auf deren Matratze.
Müde von der Arbeit kehrte ich am Abend zu der kleinen Wohnung zurück. Von drinnen dröhnte laut Musik. Ich wollte aufsperren, doch von innen steckte der Schlüssel. Ich klopfte und hämmerte, doch es wurde nicht geöffnet. Ich gab schließlich auf. Auch Christine hatte keine Chance gehabt, in „unsere“ Wohnung hineinzukommen. Wir übernachteten bei Freunden. Am folgenden Tag die gleiche Szenerie. Erst am dritten Abend konnte ich wieder in die eigene Wohnung. Es herrschte eine Unordnung, die selbst für das Dauer-Chaos, das bei uns immer herrschte, ungewöhnlich war. Zum Beispiel lagen mehrere leere Sektflaschen herum, Reste von teuren Wurst-, Schinken- und Käsesorten, die wir uns nie leisteten (der Alltag mit Erdäpfeln und Nudeln war teuer genug!). Außerdem fehlten ein paar Kunstbände und andere Bücher. Der Tausender in der Schublade war weg.
Etwa zwei Wochen später tauchte Hilde wieder auf. Fröhlich wie Je. Wo der Tausender geblieben sei? „Keine Ahnung“, lachte sie. Es verging ein halbes Jahr, und ich traf Padhi auf der Straße. Er schnorrte mich um Geld an. Ich erinnerte ihn daran, wie wenig ich verdiente und an den verschwundenen Tausender. Er war empört, nur daran zu denken, er hätte was mit dem verschwundenen Geld zu tun, beschimpfte mich als „kleinbürgerlichen Spießer“ und ließ mich stehen. Ausnahmsweise war er ohne Fahrrad unterwegs. Es wäre ein passender Halsschmuck gewesen, den ich ihm gerne umgehängt hätte.
Es ist schon seltsam: Padhi hat sich bis heute nicht „verraten“ und sein Werk ist dennoch in der Kunsthalle zu sehen. Der Kunstmarkt braucht neue „Ware“. Da sind dann die Ideale der „Waren“–Produzenten nur noch „Schnee von gestern“ und vielleicht sogar verkaufsfördernd für das Neue.
BILDER
1) P. Friedberger, 2007
2) P. Friedberger, Objektkunst
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