Das Ansehen der Politik ist gering, die Wahlbeteiligung sinkt ab, die Wutbürger – Stammtische sind gut besucht – gleichzeitig weiß man aber, dass das Unpolitisch-Werden überhaupt keine Lösung ist. Denn die Politik geht munter weiter, auch wenn das Gemeinwesen von seinen Bürgern nicht mehr beachtet wird. "Wenn Politik nicht mehr durch die Köpfe der Bürger gehen kann (...) dann wird sie nach den Worten der Väter der US Verfassung dem Wesen nach tyrannisch." (Philosoph Stefan Hammer, Wiener Zeitung, 28./29.07.12)
Die Journalisten betonen den Unterschied zwischen Politikverdrossenheit und Widerwillen gegen Demokratie (zB. Gabi Waldner im ORF), doch die Politik generell missachten heißt: parlamentarische Demokratie nicht schätzen. An der Politik regt auf, dass sie die Gestaltung der Gesellschaft fahren ließ und sich – verräterisch genug - nur noch durch Argumente der Finanzwirtschaft rechtfertigt. Die Ökonomie selbst tritt in Gestalt und Gewand von Klaus Liebscher auf ("Die Banken sind der Blutkreislauf der Wirtschaft"), verbirgt ihre Unwissenschaftlichkeit und bietet das Schauspiel uneiniger Experten, die zu ein und derselben Sache konträre Meinungen vertreten. Zur Zeit von Bretton Woods waren das John Maynard Keynes kontra Friedrich August von Hayeck. Heute sind das - zum Beispiel - Max Offe gegen George Soros.
So fundamental und unverzichtbar das demokratische Parteiensystem ist, es zeigt u.a. den lässig - präpotenten Umgang mit dem Recht auf Budget-Hoheit, auf Geldverteilung, das einst ein Königsrecht war. Wer regiert, zweigt automatisch Geld ab, das war zur Figl- und Raab-Zeit wahrscheinlich ebenso gegeben – es war nur weniger Geld im Spiel und es herrschte weniger Transparenz. Die Rolle der Banken als Parteienfinanzierer wurde möglicherweise ausgebaut. "Wenn schon eine Bank mit Steuergeld gerettet wird, so möchte der Bürger auch wissen, welcher Partei sie nahe steht." (Laura Rudas, sinngemäß in einem kryptischen Statement)
Seit etwa einem Jahr zitieren die Zeitungen gehäuft die zynischen Ausdrücke für Machtausübung durch finanziellen Druck, so wie sie vor Gericht oder in raren Interviews plötzlich verwendet werden. "Politischer Spielraum" für die Wirkung von Subvention oder "politische Landschaftspflege" für Schmiergeld in einem schwarz, rot oder blau eingefärbten Bundesland. Das Wort "Malversation" wird gern gebraucht und der aufmerksame Leser hat nun begriffen, dass die "Illegalität" einer Parteifinanzierung immer zwei Straftaten bedeutet. Es genügt nicht, dass man veruntreut, man muss auch an der Macht sein; wenn ferner ein Politiker die Macht missbraucht, so missbraucht er ein Amt.
Zum Souveränitätsgefühl bei der Finanz-Hoheit gesellt sich die Unwissenheit von den wirklichen Sorgen der Wählerinnen und Wähler hinzu. Diese Abgehobenheit ist gravierender als der proporzmäßige Postenschacher (den Alexandra Föderl-Schmid, in: Der Standard, 2.06.12, beklagt), weil sie die Politiker realitätsfern denken und entscheiden lässt. "Hallo, Frau Minister, die Post ist an der Börse", formuliert Christa Nebenführ (in: Der Standard, gleiche Ausgabe), weil die Frauenministerin 30 Prozent ihres kinderlosen Haushaltes selbst besorgt und sich dabei als Vorbild sieht. Politiker behaupten, sie wüssten vom Alltag ihrer Wähler - die Wähler aber sind verdrossen.