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Das Manko der Buchkritik
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Auf geduldigem Zeitungspapier wird das Wort eines Kritikers
abgedruckt: Kaum je zuvor hat ein Autor seine Leser so
gerührt und gepackt. In einer anderen Zeitung steht: Der Autor
hat sich eine adäquate, genaue Sprache geschaffen. Faszinierende
Literatur. Große Literatur.
Der Rezensent scheint hier derjenige zu sein, der schon den
Klappentext verfasst hat. Superlative müssen her. Diese passen
zu den freischwebenden Lektoren, die nicht mehr im Verlagshaus,
sondern zu Hause ihre Gutachten schreiben und dann bei der
Lektorensitzung im Verlag die Richtigkeit ihrer positiven
Beurteilung vor einer Gruppe glaubhaft machen. Angeblich denken
sie immer schon an diesen oder jenen Kritiker, dem das neue Buch
- wahrscheinlich – gefallen wird. So viele Bücher werden jährlich
gedruckt und so viele Themen und Stile schwimmen in der dunklen Flut – da müssen die meisten glatt versinken, wenn sie nicht vorher von
der Buchkritik angeleuchtet werden.
Eugenie Kain, die Tochter von Franz Kain, ist eigentlich versunken.
Nur eine ganz kleine Lesergemeinde hat sie sich erobert, mit
Sätzen wie: Als Kind erlebte ich die Sprengung der Wollzeugfabrik
beim Kastanienklauben. Zwei, drei, vier dumpfe Donnerschläge
und die Kastanien im verwaisten Gastgarten des Hotels Achleitner
in Urfahr prasselten von den Bäumen und in Linz an der Gruberstraße
geriet das barocke Gemäuer der Wollzeugfabrik ins Wanken.¹
Oder: Unter der Woche dröhnen die Bagger und Bohrer, Hämmer
und Laster, große Schaufeln und schwere Gewinde wühlen und
schlagen sich mit Getöse und Erschütterung in die Erde. Das gibt
im schalldichten Studio von FRO Erklärungsbedarf: Der Verkehrslärm
im Hintergrund kommt von der Donaulände, weil das eingespielte
Interview im Stifterhaus aufgenommen wurde; die Musikfetzen
kommen vom Urfahraner Markt; und das Kreischen, Gellen und
Wummern von der AEC Baustelle vor dem Haus.¹
Daniel Glattauer, der Sohn von Herbert O. Glattauer, wurde gehoben.
Er ist ein aus dem Journalismus kommendes Talent, für dessen
Erfolg die eine oder andere Zeitung mittrommelte. Er liefert Sätze
wie: Judith führte ein kleines Unternehmen in der Goldschlagstraße
im fünfzehnten Bezirk. Das klang zwar unternehmerischer als es
war, aber sie liebte ihr Lampengeschäft, mit keinem Lokal der Welt wollte
sie es tauschen. Schon in der Kindheit waren dies die schönsten
Räume auf Erden, voll glitzernder Sterne und funkelnder Kugeln,
stets hell erleuchtet, immerzu festlich. In Opas glänzendem
Freilichtmuseum ließ sich täglich Weihnachten feiern.² Oder: Judith ging gern in die Arbeit. Und wenn nicht, wie so gut wie
immer nach Feiertagen, dann betrieb sie jeden nur erdenklichen
Aufwand, es sich einzureden. Immerhin war sie ihre eigene
Chefin, auch wenn sie sich mehrmals täglich eine andere,
nachlässigere wünschte, zum Beispiel ihr Lehrmädchen Bianca,
die nur einen Spiegel brauchte, um vollbeschäftigt zu sein.²
Eine neue Begabung im Bereich der Poesie steht ebenfalls dem
Journalismus nahe: Doris Knecht. Sie beschreibt eine Männerfigur
mit folgenden Worten: Die Vergangenheit riecht nach Schweiß
und trägt jetzt eine Brille, die für ihr Gesicht zu klein ist. Das
Gesicht ist schlecht rasiert und deutlich mehr geworden, die
Wangen sind fleischig jetzt, das Kinn ufert aus. Die Vergangenheit
hat sich verändert: was früher scharf war, ist nun schwammig,
was einmal blond strahlte, ist stumpf und grau jetzt, wo früher
Lücken klafften, sind jetzt Zähne, gelb(…) Die Vergangenheit
ist fahrig und nervös, dann wird sie ungut, dann geht sie grußlos.
Du sitzt hinter deinem Caffe Latte und schaust ihr zu, wie sie mit
einem Ruck aufsteht, wie ihr Stuhl zornig zurückzuckt und
irgendwie verdreht stehen bleibt, zufällig und falsch, wie eine
verrenkte Katze auf der Fahrbahn.³
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Marcel Reich - Ranicki war eine Ausnahme.
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Wenn man dazusagt, dass die Zitate eine durchschnittliche
Qualität der jeweiligen Poesie wiedergeben, und vielleicht noch
anmerkt, dass der gebildete Leser lieber Sätze als Geschichten
liest, sieht man gleich, dass die versunkene Autorin mit Abstand
die beste Poesie liefert. Das ließe sich sogar semiotisch –
quasi-objektiv – zeigen. Eugenie Kain fasst das Geschehen in
Raum und Zeit, sie findet den passenden Klang für ihren Stoff,
sie färbt den Sachverhalt durch die gewählten Wörter rasch ein,
und sie führt den Leser auf seinem Weg; sie stößt ihn nicht auf
eine Spielwiese hinaus, wo er die Sätze alleine zu Ende murmelt,
weil ihre Sprache ohnehin die seine ist. Bei Daniel Glattauer,
dem literarischen Liebling der Massen, fehlen die überraschenden
Wortverbindungen völlig. Eine Frau führt ein Lampengeschäft
als „Unternehmen“, das „unternehmerischer“ klingt, als es ist,
doch es wird „geliebt“, sie will es „nicht tauschen“, es hat die
„schönsten Räume auf Erden“ und gehört dem „Opa“, der das
Dach hat abtragen lassen, denn es ist ein „Freilichtmuseum“.
Der moderne Erzähler erfindet nicht nur eine Geschichte, sondern
er lenkt auch die Konstruktion seiner Bedeutungen durch
inkohärente Wörter. Diese sammelt er auf einem Blatt Papier,
so wie ein Lyriker. Er schreibt nicht das Wort „Unternehmen“
hin und daneben das Wort „unternehmerischer“, denn das
hieße: Null Einfall. Der moderne Erzähler braucht viele Wörter,
nur um einige wenige zu finden. Er kann auch den einfachen
Vorgang nicht verrätseln, umschreiben oder vergröbern, denn
er erhält auf diese Weise keine gute Poesie. Er muss ihn möglichst
knapp sagen, muss die direkteste Beziehung zwischen Wort und
Sachverhalt finden. Damit ist es ihm völlig unmöglich, einen so
faulen Trick wie den von Doris Knecht zu verwenden, die einen
verflossenen Liebhaber mit „sie“ bezeichnet, die Heldin aber mit
„Du“ anspricht, als würde das Du etwa nicht zur „Vergangenheit“
dazugehören. Hier hat sich die Bemühung um poetische
Überhöhung mit schwachem Intellekt offensichtlich vermählt.
Der Kritiker könnte das in seiner Rezension zeigen, dass ein
Schreibtrick als Maschine ohne Energiezufuhr die Sätze des
Textes mitgefügt hat, oder dass die Frischheit der sprachlichen
Bilder einfach nicht vorhanden ist. Stattdessen kündet er meist nur
von seiner Subjektivität, die freilich eine privilegierte ist. Denn
er hat eine Sonderstellung unter den Lesern dadurch erlangt,
dass sein Erlebnis mit dem Buch abgedruckt wird. Natürlich hat
er auch mehr Bücher schon gelesen als der normale Leser und
sich vielleicht auch eine kleine Typologie für all die Bücher schon
zurechtgelegt. Doch die größere Zahl und die paar Etiketten sind
kein Garant dafür, dass er weniger subjektiv verfährt als der
normale Leser. Er bräuchte ein Prinzip, das entweder die Werkstruktur
oder der Stil des Autors ist, um seine eigene Subjektivität
verlässlich einzuschränken.
Reich-Ranicki hatte dieses Wissen von Werk und Stil (das
er leider mit einer scharfrichterischen Diktion verband) und Joachim
Kaiser hatte es ebenfalls. Auch bei Glattauer, der vielen Lesern
offenbar gefällt, oder bei Doris Knecht, die der heutigen Coolness
einen Ausdruck geben will, sollte der Kritiker immer zeigen,
was der vorliegende Stil wirklich leistet. Lädt er nur zum
Überfliegen der Wörter ein? Oder nur zum Mitformulieren des
bereits gedruckten Textes? Tendiert er zur Gebrauchsliteratur?
Oder zum Schreibbaren Text? Oder ist er sprachlich frisch und von
gleichmäßiger Genauigkeit? Das teilt der fähige Kritiker dem Leser
mit, unabhängig davon, was der vorliegende Text an speziellen Stilmerkmalen, die alle sekundär sind, sonst noch leistet.
¹) Aus: Wäscheleinen im globalen Dorf, In: Tarantel 3-4, 2012
²) Aus: Ewig Dein, In: Der Standard – Album, 21. Jan. 2012
³) Aus: Besser, In: Der Standard – Album, 9. März 2013
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