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Lottogewinne für Handschriften und Typoskripte


Über: Alois Schöpf und sein Buch „Wenn Dichter nehmen“

Die Österreichische Nationalbibliothek kauft den Nachlass zu Lebzeiten von Gerhard Rühm, Jahrgang 1930, für 450 000 Euro. Die Direktorin seufzt über diesen „finanziellen Kraftakt“, doch sie beteuert, wie wichtig er für die Bibliothek sei. Ihr Mitarbeiter legt sich bei der Rechtfertigung des Ankaufs ins Zeug und redet von „vielen Vorstudien und Quellen“, diese „dürften für die Forschung von besonderem Interesse sein“. Ja vielleicht. Vielleicht auch nicht. Handschriften und Typoskripte kosteten jedenfalls viel Geld - 450 000 Euro!

Über diese unbekannten, sogenannten „Vorlass“ – Käufe von Bibliotheken, Museen und Archiven schrieb Alois Schöpf ein scharfes, kleines Buch. Es wird, und das lässt sich nicht vermeiden, den Zartbesaiteten nicht gefallen. Zum ersten wird der normale Prosa-Freund nie vermuten, dass etwa ein Autor wie Peter Handke im Alter kommunales Geld benötigt, aus welchen Gründen auch immer. Zweitens hat der Leser keine Ahnung, dass Kulturpolitiker und Personen des Literaturbetriebs den „Nachlass zu Lebzeiten“ erfunden haben, um Geld für Autoren außerhalb der Sozialfonds zu lukrieren. (Klingt wie ein alter Witz „Nachruf zu Lebzeiten“, ist aber eine neue, ausgabenseitige Sache, die die Budgets stark belastet.) Und schließlich will nicht jeder Leser wissen, warum gerade Alois Schöpf, ein bekannter Journalist und Musiker, die Öffentlichkeit auf diese halb geheime und halb ängstliche Abzockerei bekannter Autoren hinweist.

Schöpf ist der Autor, der das Privileg des Vorlass-Nehmens nicht besitzt und unabhängig davon, wie er selbst als Privilegierter handeln würde, das volle Ausmaß dieser Unverschämtheit sichtbar macht. Es ist angenehm, schreibt er, von einer öffentlichen und dennoch geheimen, also nicht hinterfragbaren Jury weiser Männer bestätigt zu bekommen, dass das eigene Schaffen um das Zehnfache oder gar das Zwanzigfache mehr wert ist als jenes von Kollegen, die für ihre Zettelwirtschaft 5000 Euro oder vielleicht gar nichts bekommen. So öffnet er eine Dimension, die dem Mann vom Rechnungshof, der die Sache nur juridisch sieht, verschlossen ist. Der Vorlass-Ankauf ist aber ein moralisches Problem. Er weist über den – möglichen – Missbrauch von Steuergeld auf Absprachen zwischen Literaturfachleuten, Archivdirektoren, Kulturpolitikern und Autoren hin, die auf dem Boden einer demokratischen „res publica“ keine Regeln für alle mehr erlauben.

Der Aufdecker enthüllt hier eine Art von Konspiration - gegen Fairness, Sitte und Anstand etc. - , wofür er einen katholischen Vorwurf in Kauf nimmt. Er sei missgünstig. Habe Ressentiments. Schöpf will aber den Vorlass nicht als Kavaliersdelikt sehen. Da will er lieber ein falsch verorteter oder sonst irgendwie gestörter Querulant sein. So handelt sein Buch „Wenn Dichter nehmen“ auch vom Neid. Wenn nämlich die Korruption so weit verbreitet ist, dass sich alle konform verhalten und auch die berechtigte Kritik nur als Nörgelei gilt, braucht der Einzelne eine vitale Basis zur Selbstvergewisserung. Und das ist der neidvolle Vergleich, keine zureichende, aber nötige Bedingung für reelles Denken.

Der Vorlass verrät, dass es eine Zweiklassengesellschaft bei den Dichtern gibt, unabhängig vom Markterfolg des Autors. Siehe Gerhard Rühm. Ferner offenbart das Phänomen ein um sich selbst kreisendes Belobigungskartell. Denn es ist nicht damit getan, dass die Gutachter, Freunde des Begutachteten, einem Direktor ihre schönen Befunde vorlegen. Es muss auch bezüglich der Höhe der Ankaufssumme ein von allen akzeptierter Wert, gleichsam ein „Marktwert“ für diese Zetteln, im Raum herumschwirren. Gewiss wird der Direktor bei einem Stadtrat oder einem Minister bezüglich der Höhe der Summe vorfühlen, aber der Politiker wird den Preis nicht nennen und auch nicht wissen. Er wird ihn nur erlauben. Schöpf macht diesen Nonsens klar, dass nur ein Kartell durch gegenseitige Begutachtung Marktpreise definieren kann, deren Fragwürdigkeit darin besteht, dass bei subventionierten und staatlich alimentierten Käufern nicht von einem Markt gesprochen werden kann.

Peter Handke hat acht Vorlässe da und dort verkauft. Da kein Einblick in sie gewährt wird, können Freund und Feind nichts Näheres darüber sagen. Angenommen die Nationalbibliothek hat das Urmanuskript des „Wunschlosen Unglücks“ mit Notizen Handkes zur Zeit der Abfassung erworben, so drängt sich die Wozufrage auf. Wozu benötigt die

Wissenschaft Materialien rund um einen, in kurzer Zeit geschriebenen Text, der mit Recht in viele Sprachen übersetzt ist, wenn der Autor ein Kind des 20. Jahrhunderts ist, über das man viel weiß und dessen Notizen hinter den Sätzen des Meisterwerkes zurückbleiben? Und schließlich will jeder Vorlass den Nachruhm seines Dichters irgendwie beeinflussen. Geht das überhaupt? Wer sagt, dass etwa ein Gerhard Rühm in zwanzig Jahren noch als österreichischer Klub Dada angesehen wird. Vielleicht stellt die Wissenschaft bis dahin fest, dass Dada um 1918 frischer und vielfältiger war als die Wiener Gruppe um 1958? Ein Vorlass ist aber – laut Definition – nur dort sinnvoll, wo kein Wort des Autors verloren gehen darf. Unsere Dichter, sagt Schöpf, die sich an ihren Schreibtischen ein Leben lang aufgeopfert haben, sollen (…) wie auch alle anderen nicht in Armut enden. Ihre Not darf jedoch nicht durch einen illegitimen Zugriff auf die Zukunft, die niemand kennt, gelindert werden. Das ist es.

Alois Schöpf; Wenn Dichter nehmen - Über das Vorlass Kartell. Essay, Limbus Verlag Innsbruck, 2014

Martin Luksan, April 2014


 

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