DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Die Gefahr der Wertlosigkeit von Poesie

Mit viel Sprach- und Zeitaufwand hat ein Autor ein Gedicht gefügt. Jetzt ist das Sprachwerk da, aber es lässt gleichgültig, es aktiviert kein Wohlgefallen. Der Autor, der allein steht, laut Gottfried Benn der Stummheit und der Lächerlichkeit preisgegeben (Probleme der Lyrik, In: GB Das Hauptwerk, 1980, S. 340) hat ein Bewusstsein von seinem sprachlichen Bemühen, dazu gehört, dass sein Versuch misslingen kann. Doch Lektoren und Kritiker wollen an diese Möglichkeit gar nicht denken, sie wollen nicht dazusagen, dass Dichten jederzeit misslingen kann, auch bei denen, die sie als Genies entdeckt haben. Sie verharmlosen die poetische Arbeit und vertuschen durch den Kult der großen Namen, dass auch bekannte Autoren mit jedem neuen Werk von vorn beginnen müssen.
Eine unbekannte Autorin, als Beispiel für das ständig drohende Misslingen. Milena Merlak (Detela) in Log 2/1979: Warum bist du so grell lebendig, dass du nicht dunkel leben kannst? Du liebst den fröhlichen Buchstaben o, du willst den großen Buchstaben O, der größer ist als du. Im Rahmen des runden Buchstaben O genießt du zu leben, während dir das kleine goldene Zeichen o den Ringfinger drückt. Wenn du es abnimmst und betrachtest, siehst du, dass du nicht hindurch kannst. Du steckst es wieder an, an den immer gleichen beringten Platz.

Diese Einfälle zum großen und zum kleinen „o“ werden in eine schöne, lesbare, aber völlig nebulose Sprache gefasst. Wenn wir uns Roland Barthes anschließen, so begehrt nicht nur der Leser (manchmal) den Autor (Gestalt, Gesicht, Ausstrahlung, Stimme usw.), sondern auch der Autor (manchmal) den Leser (Witz, Humor, Bildung, Weltanschauung etc.). Der Text ist ein Fetisch, der den Leser begehrt… durch das Vokabular, durch die Bezüge, durch die Lesbarkeit (R. B., Die Lust am Text, 1980, S. 43)

Um die schwachen Bezüge des obigen Textes zu verbessern, schreibt man das Ganze um. Das klingt nun so: Warum bist du so grell lebendig, dass du nicht leben kannst? Du lebst mit dem fröhlichen Buchstaben o, begehrst aber den großen Buchstaben O, der größer ist als du. Im Rahmen des runden Buchstaben O möchtest du leben, während dir das kleine goldene Zeichen o den Ringfinger drückt. Wenn du es abnimmst, siehst du, dass du nicht hindurch kannst. Du steckst es wieder an, an seinen alten Platz. Wirklich klar sind die Sätze dadurch nicht geworden, doch das spürbar Unlogische des Hintergrunds ist eliminiert. Es gibt zB. keinen Ring mehr, der abgenommen wieder zurückgesteckt wird auf den „beringten Platz“.

Spekulation mit dem Geld der ÖBB
Literarischer Minimalismus im Museum, 1982

Ein mit Preisen überhäufter, aber wenig gelesener Autor, Peter Waterhouse, hat in einem Gedicht (Passim, In: gangan viertel 4/ 1987) noch viel vagere Bezüge als Milena Merlak: Wir stehen auf den eigenen Füßen des Sommers/ zu spüren ist/ der Beginn, der alles meint/ im Mund sind wir Kölner/ im Mund geht auch die Birne auf und ab/ und wird zerlegt in alles, was gemeint ist. In diesem Gedicht kann man drei entscheidende Wörter folgenlos austauschen. Man kann „Frühling“ statt „Sommer“, „Linzer“ statt „Kölner“ und „Apfel“ statt „Birne“ sagen, ohne dass die poetische Gebärde des Ganzen verändert wird.... Inhaltliche Beliebigkeit vermindert den Wert schöner Worte. Der Leser trifft nur auf ein oberflächliches Sprachgefühl, das (in einer seltsamen Hybris) die Form absolut setzen möchte, was gar nicht geht, durch Rhythmisierung, Geometrisierung etc., während er die starke, unlösbar mit Inhalt verbundene Form, die eine Tiefenlektüre ermöglicht, gar nicht findet. Autoren, die nur den Nachweis ihrer sprachlichen Selbstkontrolle erbringen und ansonsten die Wirkungslosigkeit ihrer Texte rechtfertigen (Ich habe nichts erlebt! Ich habe nichts zu sagen! Die wenigsten werden mich verstehen!) soll es zwar geben, aber man sollte immer dazusagen, dass sie mit der Gefahr der Wertlosigkeit von Dichtung herumspielen. Durch Minimalismus.

Sogar ein stärkerer Autor, der Erzähler Wolfgang Herrndorf, hat sich in einem Blog- und Tagebuchtext, der täglich zu schreiben war, an manchen Tagen die Beliebigkeit des Inhaltes erlaubt: ich denke an Dürer, der tot ist, warum ausgerechnet an Dürer, ich weiß es nicht, an einen seit fünfhundert Jahren toten Maler, der seine Badefrau gezeichnet hat, der ihr gegenübersaß und sie zeichnete, der mit ihr redete, kein Mensch weiß, worüber, und sie waren glücklich oder unglücklich, verschämt oder aufgekratzt, verliebt oder gleichgültig, für ein paar Minuten oder Stunden, waren einmal reale Wesen in einer realen Welt, was man sich nicht vorstellen kann. Ich kann es mir nicht vorstellen. Und die Absurdität macht mich verrückt. (W.H., Arbeit und Struktur, 2013, S. 160) Vielleicht meinte er, dass der Gedanke, hic et nunc zu leben und morgen tot zu sein, etwas Unerträgliches hat. Dass er ein logischer Skandal ist. Doch das hat er nicht gesagt. Er formulierte nur Sätze, die einander mit Schwung folgen und dann im persönlichen Gefühl versacken. Er kann sich Dürer und sein Modell nicht vorstellen. In Wahrheit leben alle historischen Romane und jeder zweite Spielfilm von genau dieser Fantasie.

Autoren, die in ihrem Schreiben das eigene Gesetz nicht suchen, geschweige denn finden, nur schauen, was die anderen machen, und versuchen, es genauso zu machen (Herrndorf), werden für den Inhalt ihrer Sprachwerke keine Verantwortung übernehmen. Sie werden undeutliche Bezüge zulassen und ihre Einfälle nur formal, nicht auch inhaltlich überprüfen.

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