Ein Student betrachtet ein Objekt aus Sperrmüll drei Minuten lang höchst
aktiv. Dann gibt er es auf, das Objekt steht noch immer da, aber es wirkt jetzt entzaubert und scheint nur noch zu sagen: Ich stünde nicht hier, wäre ich
keine Kunst! ... In einer Gerätescheune oder auf einem Dachboden würde
das besagte Objekt wenig auffallen, doch zwischen den weißen Wänden
einer Galerie ist es herausgestellt wie eine Reiterstatue in einem Park. Die
Galerie hat eine gute Adresse, sie hat einen bekannten Namen und sie stellt berühmte Künstler aus. Also muss auch dieses Werk eines noch nie gehörten Schöpfers einen gewissen Wert besitzen. Diesen Wert kann der junge Betrachter trotz Aufgeschlossenheit und Gutem Willen nicht erkennen. Er sagt aber
nicht „Das ist wertlos“, sondern „Ich verstehe nichts von dieser Art von
Kunst“. Damit übernimmt er die Verantwortung für das Misslingen einer „Kommunikation“.
Die Forschung könnte nun fünfhundert Personen, gut durchmischt, an
das Objekt heranführen und die Erfahrungen mit dem Ding erfragen.
Angenommen, das Gros der Testpersonen gewinnt den gleichen Eindruck
wie der Student, so wird die Frage nach der Bewertung schon sehr
dringlich. Man sieht dann, wie der Wert des Objekts festgestellt wurde
und entdeckt die undemokratische Entscheidungsfindung.
Das wahrlich Unangenehme an moderner Kunst ist folgendes Prinzip:
Ein jeder Einzelne kann Kunst machen, ist aber nicht kompetent, zu
sagen, dass er Kunst produziert hat. Damit fährt hier die Logik auf
zwei Geleisen. Für die Herstellung von Kunst wird grenzenlos Bewusstsein
zugestanden, doch bei der Einschätzung der erbrachten Leistung
ist der Einzelne bewusstlos. Tatsächlich sieht man überall Werke
oder Aktionen, die die Künstler lang und breit begründen, aber
nirgendwo einen Schöpfer, der sich hinstellt und sagt, dass ihm
diesmal etwas Wertvolles gelungen ist. Diese Ahnung – und diese
Gewissheit – haben hier nur Wenige, nur Auserwählte (mit
Geschäftssinn und pompöser Metaphorik), die exklusiv untereinander
vernetzt sind, nur diese Personen wissen, was heute große Kunst
ist.
Damien Hirst hat 2008 diese kleine Gruppe ausgeschaltet, als er
seine Tigerhaie in Formaldehyd und eine Menge anderer Objekte
auf einer Versteigerung bei Sotheby´s verkauft hat, ohne dass
die Londoner Galeristen mit lizitieren konnten. Er verkaufte trotzdem
alles, weil ihm das Auktionshaus und persönlich eingeladene
Superreiche dabei halfen. So hat ein Künstler die Gruppe der
Kunstbewerter selbst bestimmt. Eine Zeitlang sah er wie der ganz
große, unabhängige Künstler aus, der machen kann, was er will,
weil seine Kunst bereits „Markenkunst“ ist (Picasso am Ende seines
Lebens), doch fünf Jahre später war der Wert seiner Objekte
deutlich gesunken und die umgangenen Händler (und Kritiker)
hatten ihn wieder eingefangen.
Dass der Wert eines Malers nicht wie eine Aktie ständig schwankt,
zeigt das Beispiel Egon Schiele. Er erzielte in seinem Todesjahr
1918 und später um 1948 (da war er noch nicht weit bekannt)
keine hohen Preise. Das änderte sich in den 1950 er Jahren
schnell, der Wert seiner Bilder kletterte hoch und höher. Würde heute
ein einzelner Schiele bei einer Auktion „liegen bleiben“ oder hinge
er in einer Galerie unverkauft zwanzig Jahre lang an der Wand,
so würde der Marktpreis von Schiele nicht beeinflusst. Das Gleiche
gilt erst recht für einen Rembrandt oder Rubens. Diese Werke
haben einen Wert in sich, der zB. über das Alter des Werkes,
über die Größe des Bildes und über die Gediegenheit der Arbeit
bestimmt werden kann (ungenügende Bestimmungen, die aber
berücksichtigt werden). Und dieser Kunstwert erscheint nicht nur
einer kleinen Händlergruppe plausibel, sondern auch einem größeren
Publikum, das diese Werke kennt und anschaut (freilich nicht
kaufen kann).
Es ist nur für das Kunstgeschäft, nicht für die Kunst von Vorteil,
wenn es lediglich eines Auktionshauses und dreier Käufer bedarf,
um den Wert eines Künstlers durch ein einmaliges Ereignis
zu bestimmen. Im Fall von Hirst halfen Medien dabei mit, ein
„Marktereignis“ zu suggerieren, doch in Wahrheit wurde nur die
Gruppen-Qualifikation eines Künstlers durch eine Mini-Gruppe
verengt.
In einer Beilage der „Wiener Zeitung“ (27.12.14) hat Anna Soucek
die typische Genese eines heutigen Kunstgenies gut skizziert.
Das Genie ist etwa dreißig Jahre alt, hat in London und in Düsseldorf
studiert und in den USA abgeschlossen. In New York fällt es durch
Wenig Arbeiten und Viel Feiern einem Galeristen, einem Mäzen
oder einem Sammler ins Auge, der Lust verspürt, einen „Kunstgiganten“
zu erschaffen. Er kauft seinem Schützling zwei Dutzend großformatiger
Bilder ab und bewirkt dann durch sein Netzwerk, das das eines
reichen Mannes ist, eine Wertsteigerung der Bilder um viele hundert
Prozent. In nur zwei Jahren. Wenn der Kunstmarkt das „frisst“, hat sich
dieser Spekulant nicht nur durch einen Künstler bereichert, sondern
darf auch mit gewissem Recht als ein Spiritus Rector Neuester
Malerei gelten.
Der Modernen Kunst wird das Schwindlerische schon seit langem
vorgeworfen. ZB. 1915, als sich mitten im Ersten Weltkrieg Kasimir
Malewitsch den Zwängen der Mimesis entzog. Sein „Schwarzes
Quadrat“ ist als das Gefühl der Gegenstandslosigkeit eines Malers
ein Testbild, das nötig war. Es ist das Resultat eines der Reihen-
Experimente der Malerei, durch das sich diese nach dem Ausstieg aus
der Gegenständlichkeit neu begründete. Heute kann sie frei bestimmen,
welche alten Kunstprinzipien sie auf der Basis modernen Wissens
beachten will. Die Künstler selber können den direkten, den
spontanen Zugang zu ihren ästhetischen Objekten erleichtern,
dadurch dass sie mehr sinnliches Material als bisher (in der Moderne)
ins Spiel bringen. Dadurch würden sie die Bedeutung der
„gremialen Kunst“ einschränken und die Kunstgremien blieben
mit ihren Objekten und den wenigen Käufern, die es dafür
gibt, völlig unter sich.
Ein heutiger Maler (Herwig Kempinger), der das Medium Foto in
seine Malerei bedeutungsvoll integriert, erklärte seinen Erfolg in den
USA mit folgenden Worten: Ich habe in den USA ein paar tolle Leute
kennen gelernt, die seither auch gute Freunde geworden sind. Das hat
mir die Tür geöffnet. … Erfolg gab es für ihn dadurch, dass man zufällig
die richtige Arbeit zur richtigen Zeit macht und dass zufällig jemand sie
sieht, der sich dafür interessiert und die entsprechenden Schritte
unternimmt.(H.K. In: Nora Schoeller, Ruth Horak, Betrifft: Fotografie –
21 Reportagen, Wien 2008, S. 65) Diese Abhängigkeit von geballtem
Zufall ist schlecht, es sollte auch anders gehen.
© M.Luksan, Jänner 2015