Gangster und Betrüger geben manchmal ihre Taten augenzwinkernd zu und
machen den Schaden partiell gut. In den USA. Ein Schutzgeld-Erpresser
bezahlt den Spitalsaufenthalt eines Unbeteiligten, den die Schüsse seiner
Bandenmitglieder irrtümlich trafen. Oder ein Firmenjäger an der
Börse richtet einen Kinderhilfs-Fonds ein. Solche Leute werden dann halbe
Lieblinge großer Medien, für kurze Zeit.
Auch der kesse Jordan Belfort, Broker für Ramsch-Aktien, konnte der großen Öffentlichkeit gefallen, obwohl seine Firma in Long Island der New Yorker
Börse und den Medien nicht ganz geheuer war. Er wurde bald des Aktien-
Betrugs (und der Schaffung von Schwarzgeld) überführt, kam ins
Gefängnis und schrieb dann seine Biografie. Er gab diesen Memoiren
den Titel eines Artikels, der über ihn geschrieben worden war, und
selbst diese Überschrift, „Der Wolf der Wall Street“, stimmte nicht. Belfort
hatte, um die eigene Bedeutung zu erhöhen, den Titel für das Buch erfunden
und der Film hat ihn übernommen.
In New Yorks Finanzwelt geschahen und geschehen Dinge, die das amerikanische Publikum wirklich interessieren. Die Welt des Geldes und der Hochfinanz ist
in den USA (verglichen etwa mit der Schweiz) keine vertuschte Welt.
Hollywood stellt die Banken und die Börse nicht ungern dar, von „American Madness“ (1932, Regie: Frank Capra) bis zu „Wallstreet“ (1987, Regie: Oliver Stone) gab es immer wieder gleichsam insiderische Filme, die die Wege zum raschen
und großen Geld zum Thema hatten und dabei die schädliche Handlung
als eine Sonderform des berufsmäßigen Verhaltens darstellten. Das war in
früher Zeit eine Übereinkunft mit dem Zensor, ohne die der Film nicht in die Kinos kam. Sie ist noch heute Hollywoods bequeme und gedankenlose Sicht, auf die jedoch Martin Scorsese in seinem „Wolf der Wall Street“ lobenswerterweise verzichtete.
Er handelt die heutige Anlegerwirtschaft generell ungemütlich ab. Nicht
burlesk-witzig (Capra), nicht melodramatisch (Stone), sondern scharf satirisch, in
der Form von Spott. Der junge Held (Belfort) wird im Hochhaus-Restaurant von einem Chef-Broker belehrt. O - Ton Broker: Regel Nummer 1 in der Wall Street
(…) Niemand kann vorhersagen, ob die Aktie steigt oder fällt oder sich seitwärts im Kreis dreht. Schon gar nicht wir Broker (…) Es ist alles Fliegenstaub, es existiert nicht, es ist nie gelandet, es ist keine Materie, es existiert nicht im Periodensystem. Es ist einfach nicht real. (…) Wir erschaffen den Scheißdreck. Wenn du also einen Kunden hast, der bei 8 eingestiegen ist, und jetzt steht die Aktie bei 16, da ist er verflucht glücklich, er will die Kohle einstreichen. Bares!, Her mit dem Geld und ab nach Hause. Das musst du verhindern, weil ´s dann real würde. Und weiter der entspannte Meister, der immerhin für die Rothschild Bank
arbeitet: Du kriegst eine neue, brillante Idee. Eine andere Situation, eine
andere Aktie, in die er sein Kapital und seinen Gewinn steckt. Und genau
das tut er jedesmal, weil das nämlich verfickte Junkies sind (…) Er glaubt,
er könnte stinkreich werden, was er auch ist, auf dem Papier, aber nur
du und ich, die Broker, wir bringen klingende Münze nach Hause. Wir
kassieren die Provision.
Diese Worte hat ein Skriptschreiber gewählt, als er eine Figur deutlich
machte. Belfort selbst legte diese Worte nahe. Das lässt der Milieukenner
nicht gelten, er zuckt die Achseln und sagt: So reden sie aber an der Börse
nicht. – Er übersieht dabei, dass es hier (wie im guten Kabarett) nicht um das
Erkennen eines äußeren Scheins, sondern um die Logik homologer
Phänomene geht. Natürlich lockt nicht jeder Broker bei Erfolg den Anleger in
eine neue Aktie hinein (wie auch nicht alle Casinos einen Roulette - Gewinner durch Psychologie zum Weiterspielen verleiten), doch die Spiellogik ist
getroffen. So denken die Broker an der Börse, wenn sie zu Ende denken. Die
Logik verlangt das Spiel bis zum Verlust des Einsatzes. Der Spieler/Anleger
muss zuletzt alles verlieren und der Broker/Bankhalter darf nichts verlieren.
Nur so funktioniert das Spiel, anders ist es wirtschaftlich nicht zu machen.
Die kleine wie die große Aktienspekulation lehnt Scorsese ab. Er weist die Börsenwelt generell zurück, nicht erst dort, wo Aktienwerte vorgetäuscht
werden. Das macht er weder mit gutartigem Humor, noch mit Ironie, bei der
es stiller zugeht, noch mit Zynismus, der eine Macht voraussetzt, an der
alle scheitern, er provoziert das anarchistische Lachen. Dazu kommt,
dass er retardierende Szenen einbaut, die im Sekundenstil ablaufen
(Scorseses Rohschnittfassungen sind oft doppelt so lang wie die im Kino
gezeigten Filme), so vertieft er die eine oder andere Figur und setzt
die durchgängige Rasanz des typischen Hollwoodfilmes stellenweise
außer Kraft.
Er leistet sich Slapstick, aber auch psychologische Vertiefung. In einem
Imbisslokal lässt sich der künftige Kompagnon von Belfort den Gehalt-
scheck des Helden zeigen. Jede zweite Figur dieser schwarzen Komödie
ist wild entschlossen, jetzt oder nie ihr Glück zu machen. Der hochperverse
und doch plausible Kompagnon sieht die Ziffer auf dem Scheck, greift
zum Hörer und kündigt augenblicklich seinen Job, nur um für Belfort frei
zu sein. In dieser Szene, während der andere telefoniert, vergrößert
Di Caprio (der den Belfort spielt) sein abgestuftes Spiel um eine weitere
Nuance. Aus der Überfülle des gedrehten Materials schneidet Scorsese
vielsagend die Verkaufsgespräche. Er betont die Gossensprache,
die die Herren im Nadelstreif, wenn sie unter sich sind, verwenden:
Es gibt keinen Grund länger still zu halten, denn unsere Klienten
sitzen schon längst am Telefon. Drei zwei eins. Fickt sie… Es
entsteht eine Welt der steigenden Umsätze (Kokain verbessert das
Telefonieren), in ihr wird öffentlich masturbiert, werden Zwerge durch
Zielscheiben geworfen (was nicht billig ist) und die Führer-fromme
Belegschaft kopuliert mit herbeigeholten Dirnen.
James Monaco, der leider keine Filmkritiken mehr schreibt, hat Scorsese
einst als das „beste Beispiel eines Regisseurs“ bezeichnet, der durch
die Anpassung an das System der Hollywoodproduktionen seine
eigene Kreativität beschnitt (J.M., American Film Now, 1985, S.117).
Heute gehört Scorsese untrennbar zu Hollywood dazu und hat sich
offenbar nach einem Bestseller umgeschaut, der die Börsenwelt dekuvriert.
So stieß er auf die halbehrliche Biografie von Belfort und gestaltete sie als scheußliche Welt mit einem kommoden Helden. Die meisten Szenen prägte
er durch amerikanischen Humor, frei nach der Devise: Noch ein Loser, der
sich für einen Sieger hält.
Weil Scorsese die alte Schelmenroman-Logik in einer heutigen Welt anwendet
(ein Held, der angeblich besser ist als seine Umwelt, obwohl er deren
Schädlichkeit steigert, steigt mit Happy End aus), wird der Film zwiespältig
erlebt. Es gibt keinen Ausweg und keinen klaren Blick auf die Handlung.
Die Botschaft lautet nur: That´ s life. Dass gegen das Scheußliche kein
Kraut gewachsen ist, geht einem Teil der Zuschauer auf die Nerven.
Shit – wieso drei Stunden lang lautet ein Kommentar im Internet. Oder:
Ein langweiliger Film. Satte drei Stunden amerikanischer Schwachsinn.
Während der andere Teil der Zuschauer die virtuose Form deutlicher
erlebt: Fantastischer Film, der die kranke Welt der Wall Street Heinis
mit Nachdruck darstellt. Oder: Sehr viel Sex und Drogen, nichts für
schwache Nerven. Nur eine Bloggerin spricht gezielt die Filmgestalt
an: pointierte Dialoge und lakonischer Voice-Over. Die
Slapstickszene mit dem misslungenen Drogentrip ist einfach zum
Brüllen.
Die Aussage, dass Erfolge auf den Aktienbörsen die Verkäufer geil
machen und deren Büros in Affenhäuser verwandeln, ist für einen
Gestalter wie Scorsese zu wenig. Er verkneift sich die Aussage
eines Costa Gavras: Das muss weg, auch wenn wir nicht wissen, wie. –
Sein Jordan Belfort tritt zum Schluss wieder als Verkaufstrainer auf
und überrascht die künftigen Verkäufer mit dem gleichen Trick,
mit dem er zu Beginn seine Mitarbeiter motivierte: Verkaufen Sie
mir diesen Stift! - Also ist er doch kein Guter, wenn er sein Naturtalent
ewig zur Verführung einsetzt. Geniale Schlusseinstellung von
„Marty“ Scorsese: Die Kamera erfasst die mausgrauen Verlierer-
Gesichter im Saal, die den Worten des Verkäufer-Gurus andächtig
lauschen.
© M.Luksan, Februar 2015
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