Conchita Wurst landete in Wien Schwechat und erinnerte an Wladimir Putin,
vor laufender Kamera: Ich weiß nicht, ob er zuguckt. Aber falls ja,
sage ich ganz klar: Wir sind unaufhaltbar. (Pressekonferenz am 11.05.14)
Das Interview lobte ein Kenner der Popkultur, er fand es „grandios“:
Sie sagt We are unstoppable und nicht: Gays of the world, we unite
(R. Dolezal am 18.05.14 im Kurier) Und eben dieses, durch sprachliche
Vagheiten geschaffene Rätsel will jetzt ein Profi für Shows, der Unterhaltungschef des ORF, zum großen Wunder machen: Gemeinsam
werden wir erarbeiten, welche Rolle von ihr gut erfüllt werden kann.
(E. Böhm am 17.08.14 in Österreich).
Die Profis empfehlen und reichen weiter. Tom Neuwirth (Conchita Wurst),
ist der – einstweilen – seltene Fall eines jungen Mannes, der seit
Jugendtagen eine Mann-Frau-Rolle glaubhaft spielt. Ist er ein Homophiler,
der sich erst im Rampenlicht richtig spürt? Ist er ein Sänger, der auf
dem Umweg des Besonderen nach oben will? Ist er ein Menschheitsretter,
der sich ausstellt und dabei auf vernachlässigte Werte hinweist?
Antwort: Er ist von allem etwas, man kann ihn eigentlich nicht
definieren.
Familie und Schulklasse waren Tom Neuwirth günstig, so viel Glück
hat nicht jeder Homophile, dass sogar der Pfarrer sein Anderssein
gutheißt und ihn bestärkt. Dann traten die Profis für Öffentlichkeit
auf den Plan, Sendungsmacher bei RTL, bei ORF, und verbesserten die
Auftritte des jungen Transvestiten. Der geistige Background ist hier
pädagogisch wichtig, doch künstlerisch ist er banal: dass sich die Leute Gedanken machen über sexuelle Orientierung … Als Novität wurde
gerade noch bemerkt, dass sich Conchita Wurst wie ein Transvestitit
kleidet, jedoch einen Vollbart aufklebt.
Die wahre Leistung von Tom Neuwirth verrät ein Vorurteil unserer
Gesellschaft, dass nämlich das Natürliche eines Menschen
sogar dort, wo er eine Fantasierolle spielt, von den andern
erlebt werden will. Darin ist Neuwirth überirdisch, er übertrifft zB.
Harald Glööckler, den grellen Modeschöpfer mit dem schlimmen
Elternhaus, der ebenfalls geschminkt und bärtig (hier ist der Bart echt)
in Frauenkleidung auftritt, durch Lockerheit wie von selbst.
Neuwirths Auftritt ist nicht schrill und nicht derb. Conchita Wurst
scheint keine Rolle zu sein, für die er sich täglich vorbereitet, die er
spielt und die er abends, wenn er allein ist und seine Ruhe haben will,
ablegt wie diesen Bart.
Wie wurde früher eine Volkssängerin, die möglichst vielen aus dem Herzen
sang, mit Hilfe von Medien bekannt? Lale Andersen („Lilli Marleen“)
war eine Variete-Sängerin, die erst in jahrelangen Tourneen zu ihrem
Stil fand und dann durch Radio und Film verbreitet wurde. Friedel Hensch
(„Heideröslein“) musste in der Nachkriegszeit zuerst in zerstörten
Theatern reüssieren, ehe sie für Rundfunk und für Polydor in Frage
kam. Es gab keine andere Möglichkeit für massenwirksame Sänger,
sowohl die Musik wie auch den Auftrittsstil durch stetes Singen vor
einem zufällig anwesenden Publikum zu erproben. Sogar die Beatles,
haben zu einer Zeit, wo es Fernsehen schon gab, in Tanz- und in
Nachtlokalen herumprobiert.
Conchita Wurst aber beginnt in einer Art Labor, in der geregelten
Zuschauerwelt einer Fernsehshow, sie greift nach Höherem (bereitet
sich für den Eurosong – Contest vor), wird weitergereicht an einen
anderen Sender, kehrt zum ORF zurück und wird von diesem zum
ESC nach Kopenhagen geschickt. Wir haben mehr als ein halbes
Jahr gebraucht, um den richtigen Songcontest – Titel für sie zu
finden. (E. Böhm am 17.08.14 in Österreich) Aus dem Wissen von
Experten heraus wurde der Auftrittsstil angepasst, das Gros der
Juroren richtig eingeschätzt, der Sieg gleichsam fabriziert.
Der Sieg von Conchita Wurst in Kopenhagen („Rise Like a Phoenix“)
erhielt nun eine politische Dimension, durch einen Synergie-Effekt
von Kultur und Politik, der nur selten gelingt und von dem in Amerika
die Unterhaltungsbranche träumt. Die Dragqueen – Sängerin mischte
nicht nur kleine und engherzige Musikliebhaber auf, sondern sandte
auch ein politisches Signal. Das war wahrscheinlich gar nicht
kalkuliert. Die deutliche Botschaft des bescheidenen Siegerliedes
wirkte nicht nur ins Kulturverständnis hinein, sondern auch in die hohe
Politik. Die Länder Polen, Weißrussland und Russland stiegen voll
in einen Fettnapf hinein, als sie die Siegerin des Song Contests mit
Argumenten eines bleiernen, nationalen Pessimismus kritisierten
(Europa wird dekadent).
Als Antwort auf die russische Kritik antwortet die Siegerin in ihrer
kindlich einfachen, und lehrerhaften Art (sie duzt ihre Feinde):
Ich bin mir sicher, dass es in eurer näheren Umgebung ebenfalls
Menschen gibt, die anders sind. In diesem Sinn kämpfe ich weiterhin
gegen Diskriminierung und für Toleranz. (etwas vereinfacht aus
wickipedia übernommen).
Quelle: Facebook
Trotz dieses unpointierten und flachen Disputs war die politische
Signalwirkung von Conchita Wurst so groß, dass am Ballhausplatz
in Wien über zehntausend Personen mit der Sängerin konzerthaft
interagierten. Conchita sang und sagte: Diesen Pokal haben wir alle
gewonnen. Und der Bundeskanzler wiederholte Worte, die die
Medien schon gesprochen und geschrieben hatten: Conchita steht
für Offenheit, ein Leben in Frieden und für Liebe. (Heute am 19.05.14)
Nahe der Bühne standen Siegfried und Helga Neuwirth, die Eltern.
Einige Fans dort trugen Damenbärte, Regenbogenfahnen wurden
geschwenkt. Dann ging der Kanzler mit der Dragqueen und ihren
Leuten ins Kanzleramt, wo eine Torte übergeben wurde. Mehr als
vierzig Minuten später waren alle wieder auf dem Platz,
Conchita „schmetterte Rise Like a Phoenix“ und im Publikum
schunkelten die Politiker mit (Österreich am 19.05.14).
Der Fall Conchita Wurst gibt gegenwärtig Rätsel auf. Auf der einen Seite
ist die Manipulation so deutlich wie beim Transparent „Queen
of Love + Tolerance“ (klingt wie „King of Smith & Wesson). Und diese
Business Leute, die das Wissen und das Geschick haben, aus einem
Erfolg einen Riesenerfolg zu machen, versuchen gar nicht, ihre
eiskalte Berechnung zu verbergen. Auf der anderen Seite ist ein
junger Mensch im Spiel, der von Gleichaltrigen eine Zeitlang offen
oder latent verachtet wurde und sich sein Ich so geschickt
gemodelt hat, dass er heute ähnlich plausibel und natürlich wirkt
wie eine sogenannte normale Frau oder ein sogenannter normaler
Mann.
Durch die Dauer der Zeit wird sich erweisen, ob diese Dragqueen
historisch bedeutsam und künstlerisch relevant geworden ist oder
ob sie nur der Einfall von Medien und Massen-Unterhaltern war.
Das Magazin Profil hat sie zum „Menschen des Jahres 2014“
ernannt, gemeinsam mit Putin, was für eine Ironie. Man könnte
versuchen, zu verfolgen, wer in der Öffentlichkeit länger im
Gespräch ist.
© M.Luksan, Jänner 2015
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