In Österreich fehlen die mittleren Kulturbetriebe, die Medien brauchen
zu viel Subvention und der Markt für Geistigkeit ist zu klein (wird klein
gehalten und von Stars dominiert). Doch die Öffentlichkeit soll alles „retten“,
sie ist mehr als der Markt, man will sie positiv sehen. Franz Schuh schreibt:
Der ideelle Grund, aus dem ein freier Schriftsteller (…) sich teilweise vom
Markt abhängig macht, heißt Öffentlichkeit. (F.S., S. 71) Sie ist ein großes, unsichtbares Auditorium, in dem sich viele, kleine Auditorien überschneiden,
die von Presse, Hörfunk, Fernsehen, Internet und Buch konkret geschaffen werden. Franz Schuh mag diesen Ort, an dem die Gedanken ausgetauscht
werden und der zugleich der Austausch der Gedanken ist, denn dort
ist - angeblich – der freie, selbstreflexive Gedanke möglich, der den
Gedanken im privaten Raum mitformuliert. (F.S., S. 72) Zu dieser
Wertschätzung von Öffentlichkeit gelangt hier keine „Ikone des
Journalismus“, auch kein „Nestor aller Zeitungsmacher“, sondern
ein Freelance – Publizist, der seit vielen Jahren eine subtile Österreich -
Aufklärung leistet und sich dabei einen Namen gemacht hat. Franz Schuh.
Zunächst einmal: Wie kommt jemand zum Schreiben? Er entdeckt,
dass er besser formuliert als die Personen seiner Umgebung und wählt
das Schreiben und die Reflexion. Während sich der angehende Autor
das Formulieren selber beibringt, imitiert er den Text eines abwesenden
Großen. Er findet trotzdem zu einer eigenen Sprache. Bei Franz Schuh
ging das ziemlich schnell. In den Anfängen meiner Laufbahn trug ich Artikel,
die mir ein Anliegen waren, an den Schreibtisch des Chefredakteurs eines Nachrichtenmagazins heran. Der Chefreakteur überflog sie, ging mit
ihnen, ich hinterher, ins Vorzimmer, warf meinen Artikel auf den Schreibtisch
seiner Sekretärin und rief mir höhnisch zu: So, wenn die Frau Leibetseder
das versteht, was Sie da schreiben, dann druck ich´ s Ihnen ab. (F.S., S. 67)
Er sah, dass P. M. Lingens brutal an der Reichweite der Zeitschrift
arbeitete, während er, Schuh, darauf bestand, den gegebenen
Sachverhalt in seiner eigenen, abweichenden Sprache zu beschreiben.
Das war ein Grundkonflikt, den er da erlebte, die Unbrauchbarkeit der
eigenen Sprache nicht nur für „Profil“, sondern für jede größere
Institution.
In der Folge ging er nicht den breiten und bequemen Weg der
Anstellung. Er krallte sich nicht im Wissens-, im Verwaltungs- oder
im Medienbetrieb fest, sondern nahm die Laufbahn außerhalb der
kommerziellen, aber auch der voll subventionierten Bereiche.
Dieser Weg ist bei uns etwas gemildert, aber letztlich lebt der
Tapfere von der Hand in den Mund, von Honorar zu Honorar,
von Tantieme zu Tantieme. … Den wirtschaftlichen Aspekt dieses
Autorenlebens hat Schuh von Anbeginn in sein Schreiben
einbezogen, denn er wollte immer Klarheit über seine Lage und
die Mythen des Künstlertums und der Verweigerung waren und
sind ihm nicht geheuer.
Wie sah die Situation eines Schreibenden in den 1970ern in Wien,
Graz aus? Sie war und ist mit der in Paris oder in
New York unvergleichbar. Es gibt die großen Zeitungen und Verlage
nicht, die über die Landesgrenzen hinaus wirken, die vom Fernsehen
unabhängige Filmwirtschaft fehlt, und es gibt die Literatur nicht,
die sich überall kleine Foren schafft. Stattdessen bewachen schwarze und
rote Pfründner verschiedene Literaturhäuser, verlegt ein Staatsfernsehen
seine Produktionen in die Privatwirtschaft, und verzichtet die
auflagenstarke Presse auf geistvolle Literatur. Dazu kommt, dass
von der Universität keine geistigen Impulse ausgehen und die
Galerien nur aufpassen, dass ihre Künstler nicht schwarz verkaufen.
Es gab damals nur die Suche von ein paar Kulturträgern nach
Nachwuchs, was rosig schien, sie erfanden den Bachmann-Wettbewerb
und förderten das Schreiben von Radio-Artikeln, Drehbüchern und
Stücken.
In dieser Welt ging Schuh unbedingt nach außen. Er trat bei
„Wespennest“ ein, dann bei „GAV“ (Grazer Autoren Versammlung“)
und begegnete der Politik. Er benutzte Literatur-Vereine, um
über die Kunst hinaus in die Kulturpolitik hineinzutasten. Mit Hilfe
eines Vereins kann man Isolation durchbrechen und der eigenen
Stimme mehr Gewicht verleihen. Schuh wurde Generalsekretär der „GAV“.
Durch einen Verein öffnen sich ferner die Kanäle, durch die in Österreich
die Subventionen fließen. Durch Projektförderungen, Stipendien und
Preise können sich Autoren lange Zeit halten. Es darf ja in Österreich
niemand hoffen, dass es gleich den Markt für ihn gibt, denn der
Verkauf auf dem Literaturmarkt funktioniert nicht primär über Leistungen,
sondern über Namen und die damit verbundenen Wertungen.
Schon bald hatte Schuh einen guten Namen, aber er hatte keinen
Markt. Dieser hätte ihm die Inhalte und den Stil vorgeschrieben.
So wurde er ein Lebenskünstler zwischen den Betrieben. Er war
Preisträger, Stipendiat, Jurymitglied, Podiumsdiskutant, Rezensent,
Glossist und Feuilletonist. Immer außerhalb der großen Buchtrends,
wo durch künstlich hergestellte Aufmerksamkeit und (!) tatsächlich
erfolgten Absatz das große Geld verdient wird, aber auch stets
außerhalb der subventionierten Betriebe, deren Kulturträger und
Pfründner in den schönen Büros er als Jurymitglied oder
Podiumsdiskutant begegnete. Er durchschaute die ungeschriebenen
Spielregeln dieser wenig produktiven Betriebe, die alle keine große
Zukunft, aber ein großes Bestandsinteresse haben. Er kritisiert
sie, aber nur hintenherum: Die Institutionen, Zeitungen und
Runfunkanstalten haben ein Interesse an den Produkten freiberuflicher
Arbeit, aber sie haben wenig Interesse, den Freiberuflichen (…) den
Status der Zugehörigkeit zu gewähren.(F.S., S. 65) Man könnte
auch sagen: Jeder angestellte Lektor oder Redakteur treibt die
Ausgaben eines staatlichen Betriebes in die Höhe - oder er lässt
den Gewinn eines privaten Betriebes schmelzen.
Franz Schuh
Dass Schuh trotz seines Namens nicht groß verkaufen kann, hängt
mit der eigenen Sprache zusammen. Diese hat er seit den Tagen bei
„Profil“ keineswegs geöffnet und angepasst, sondern im Gegenteil weiter
geschlossen und im Tonfall ganz authentisch gemacht. Er gehört zu
den raren Autoren, die die Implikationen eines Gedanken dazusagen,
auch wenn sie dadurch die eigene Beweisführung gefährden.
„Memoiren“, heißt sein Buch, „Ein Interview gegen mich selbst“. Er
bindet außerdem seine Themen, etwa Glück, Liebe, Freiheit, Endlichkeit,
eng an eigene Erfahrungen an. Das ist der Moralist in ihm, der aus
dem Allgemeinen oder dem Zeitgeschichtlichen sofort immer zu
sich selber kommt.
Seine Literatur hat als Metathema die „jüdische Herkunft“, die er
aber meist nur indirekt behandelt. Man findet sie im Lande Österreich,
das nicht wie andere Länder automatisch an Tradition anschließen kann,
im Sich-Freuen, dass man die Faschismen überlebt hat, im Spüren
einer großen, unguten Verdrängung, die lange Jahre in Österreich
stattgefunden hat, und – sogar - in der Überzeugung, dass Österreich
kulturell umgebaut werden muss. (Diese Erfahrungen und
Überzeugungen hat nicht jeder Nachkriegsautor, was teilweise ein
Manko ist). Schuh wird jedenfalls ein anerkannter Österreich – Kritiker,
der in der Sprache des Boulevards, des Fernsehens und der politischen
Werbung alle Anflüge von Faschismus gleich erkennt.
Wie steht dieser originelle Nachdenkende, der sich seine Distanz zu
den Medien bewahrt und ein kleines Publikum errungen hat, zur großen
Öffentlichkeit in letzter Konsequenz? Wird er uns, wenn´ s nötig ist,
im Fall des Falles, in punkto Botschaft und Auftritt überraschen?
Nein, wird er nicht, doch er hat auch diese Möglichkeit schon
bedacht. Wer öffentlich auftritt, möge unterhaltsam reden und sich
in einer klaren Rolle präsentieren. Das sei man der Öffentlichkeit und
ihrer schönen Wirkung schuldig. Er selbst füllt die Rolle des
selbstironischen und grantelnden Geistesriesen aus. Er schreibt
vom Respekt gegenüber der Öffentlichkeit, dass er sowohl ihre
intellektuellen als auch ihre performativen Ansprüche berücksichtigt.
(F.S., S. 73)
So entzieht er diese ständig neu inszenierte, durch Einflüsse zensurierte
und durch Image-Mythen eingenebelte Öffentlichkeit der Kritik. Jene
ist ihm sogar eine Bedingung für wirksame Gedanken. „Kein Denken
ohne Öffentlichkeit!“, heißt es angeblich bei A. Kluge (was für eine
Überschätzung!). Es gibt genug Denken außerhalb der großen
Öffentlichkeit, so wie es genug Leistung außerhalb der Märkte gibt,
man denke nur an die vielen nichtstaatlichen und nichtökonomischen
Akteure der Zivilgesellschaft. Diese wirken in kleinen Gegen-Öffentlichkeiten, die sich weder dem Markt noch dem Staat verdanken,
sondern einem privaten, initiativen Handeln sowie der Kooperation
von Individuen respektive von Gruppen.
Zitate aus Franz Schuh, Memoiren – Ein Interview gegen mich selbst,
München 2012
© M.Luksan, Februar 2015
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