Alles kommt früher oder später raus, aber nicht alles Wichtige ist zeitgleich
da. Warum flogen ausgerechnet die Engländer und die Franzosen Bomben-
Einsätze gegen libysche Truppen und Objekte? Das war während des
Libyen Krieges kein Thema. Erst im Nachhinein, im zeitgeschichtlichen
Rückblick, wurde dazugesagt, dass Gaddafi die Öl-Verträge mit
englischen und mit französischen Firmen gekündigt oder nicht verlängert
hatte. Oder: Beim Bau der Tiefgarage am Neuen Markt (Wien) war
vom Widerstand der örtlichen Geschäftsleute viel die Rede, aber man
erfuhr nichts von den Haus-Eigentümern am Platz, die die Dachstühle
ausbauten und die Wohnungen kombiniert mit den Garagenplätzen
anboten.
Oder (um ein Beispiel aus Wien zu präzisieren) die Erneuerung
des ältesten Streckenabschnitts der U 1, zwischen Reumannplatz und
Karlsplatz, geschah nicht schrittweise und in der Nacht, sodass die
Strecke tagsüber verwendet werden konnte, sondern passierte als
Ho – Ruck – Aktion im Sommer 2012, innerhalb von sieben Wochen.
Die Medien berichteten davon, ein Chef der „Wiener Linien“ beteuerte,
dass alle 35 Jahre diese Arbeit gemacht werden müsse, und die
Medien akzeptierten das und ersparten sich die Frage nach den
Eigentümern der „Wiener Linien“. Diese waren seit 1999 gleichsam privatisiert (genauer: einem anonymen
US Investor in einem CBL - Geschäft überantwortet) und an den Schienen, Weichen und Steuerungen
war von 1999 bis 2012 offenbar Null gemacht worden. Die
Journalisten hätten nach der Finanzierung dieser Reparaturen
fragen müssen, dann hätten sie
Widersprüche bei der U 1 - Erneuerung entdeckt.
Es ist alles so kompliziert, hat einmal ein österreichischer Bundeskanzler
gesagt, doch der Journalist soll Komplexität durchdenken, um jene
Fragen stellen zu können, die sein Gegenüber zur genauen
Erklärung zwingen. Er kann nicht, ohne dass er seinen Beruf
marginalisiert, einen Sachverhalt im Hintergrund oder einen
Aspekt einfach weglassen, nur um sich die Arbeit zu erleichtern.
Einen Grund für die bequeme und feige Zurückhaltung im
Journalismus nennt Amy Goodman, die Gestalterin und Mitbegründerin
von „Democracy Now“ in New York (einer alternativen Nachrichtensendung):
In vielen elitären Medienhäusern passiert es, dass die Journalisten sehr
nahe an die Mächtigen heranrücken, sich an sie anschmiegen
und sich dann nicht mehr trauen, sie wirklich herauszufordern
(Falter 43/14).
Seit den Tagen von „The Brass Check“ (mehr als frei übersetzt: „Der
Sündenlohn“, 1921) von Upton Sinclair, haben sich die Transparenz
und die schnelle Datenverarbeitung so sehr verbessert, dass es
unverständlich ist, warum heute ein Krieg oder ein Bezirkskonflikt
keine umfassende Berichterstattung erhält. Gerade die
weit verbreiteten, die mächtigen Medien sollten ihre behauptete
Objektivität auch durch die Merkmale „Vollständigkeit“ und
„Zeitgleichheit“ definieren. Frau Goodman erzählte von der
Recherche unabhängiger Journalisten, die vierzehn Tage lang
alle Abendnachrichten von NBC, ABS, CBS und des Öffentlich-
Rechtlichen TV in den USA verfolgten. Sie stellten fest, dass von
393 Interviewten nur drei Personen den geplanten Irak-Krieg
nicht befürworteten. Es war aber die Hälfte der USA-Bevölkerung
gegen diesen Krieg. (Falter 43/14)
Zeitungen und Rundfunk verabsäumen es zumeist, den möglichen
Fehler einer herrschenden Gruppe zu beobachten, zu diskutieren
und gegebenenfalls nachzuweisen. Sie brauchen erst die Gegenpartei
dazu oder eine große Bürgerinitiative – auf sich allein gestellt
rühren sie nichts Heikles an. Und heikel ist ein Thema in der Regel
dann, wenn seine Ansicht durch die Macht geregelt ist. Zum Beispiel
gab die Stadt ihr gutes Geld an Wohnbauträger, damit diese bauten.
Der Wiener Wohnbaustadtrat (M. Ludwig, SPÖ) behauptete, dass dies
der beste Weg zur Schaffung von Wohnungen sei. Doch das Wirken
der Wohnungs-Stadträtin in Graz (E. Kahr, von der KPÖ), wo die Stadt
selbst als Bauträger auftritt, erinnerte die Wiener Sozis an ihre
eigene Tradition. Nun verkündete Michael Häupl die Wiener
„Entlastungsoffensive für den Wohnbau“, dass nämlich Wien nach
geraumer Zeit selber wieder Wohnungen baut, damit die Mietpreise
nicht explodieren (Wien.at, 3/15). Über das was sich hier seit
2004 verschlechtert hat, wurde de facto nicht berichtet. Seit mehr
als zehn Jahren unterließen es die Journalisten, über das „leistbare
Wohnen“ in Wien Näheres zu schreiben.
Die größten Medien schweigen am besten. New York
Times
Heute ist zu sehen, dass einige Kampagnen von „campact“ oder von
„openPetition“ nicht nur in die Politik eingreifen, sondern auch eine
Aufklärung leisten, die niemand sonst unternimmt. Etwa der Kampf
gegen die (geplante) Saatgutverordnung der EU wurde nicht allein durch
das Europaparlament gewonnen, sondern erst durch eine Kampagne
der NPOs. Die Leute wussten gar nicht, was da geplant war, sie
wurden an den Vereinheitlichungs - Wahn in EU - Büros erinnert.
Manchmal, aber immer wieder, werden dort gefährliche Regelungen
geboren, über die im Detail niemand berichtet. Es obliegt den
Betreibern von Kampagnen, innerhalb und außerhalb des Internets,
die Rolle von Medien zu spielen und zu zeigen, dass etwa der Verkauf
von Saatgut (aber auch von Nutztieren) so seltsam eingeschränkt ist,
dass nur ein Konzern wie Monsanto oder wie Syngenta alle Hindernisse
überwinden und das Business monopolisieren kann. So ein Transnatio-
naler Konzern kann dann die Vorteile, die er schon hat, gegenüber
kleineren Konkurrenten auf dem Markt gigantisch ausbauen.
Gewiss gibt es auch die Sendungen und Artikeln, die die Tragweite
einer Sache zeigen und die Komplexität der Welt verraten, doch
das sind Ausnahmen. Sie gehören nicht zur durchschnittlichen
Berichterstattung. Der Durchschnitt ist betriebsam, bläst Bedeutungen
auf und macht die Form durch Mätzchen unterhaltsam. Er kennt keine
Analysen und keine Hintergründe. Die intellektuelle Zurückhaltung
hängt eng mit der standardisierten Sprache, vor allem mit den
unhinterfragten, unabgewandelten und jahrelang allgegenwärtigen
Formeln zusammen. Niemand widerspricht der Formel vom
„Einkommensvorteil der Männer gegenüber den Frauen“ (er betrug
2009 bei den österreichischen Arbeitern 36 Prozent), denn niemand
meldet sich zu Wort und sagt: „In der Privatwirtschaft. Nur dort.“
Dadurch lastet das Unrecht gleichmäßig auf allen Sektoren und kann
im Grund gar nicht bekämpft werden. Oder eine Radioreporterin
sagt zu einem SP Politiker, der nicht sehr schlagfertig ist: „Aber
die Banken sind doch der Blutkreislauf unserer Wirtschaft!“
- „Was heißt Kreislauf?“, hätte der arme Mann sagen sollen,
„Wenn das Geld die kleine und die mittlere Wirtschaft nicht durchpulst,
bildet es keinen Kreislauf.“
© M.Luksan, März 2015
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