Erik H. Erikson beschrieb 1974 den alten Idealtypus des weißen,
männlichen Erwachsenen am Beispiel von Thomas Jefferson.
(Dimensionen einer neuen Identität, 1975, engl. 1974) Höchstes Maß an
Erwachsenheit, das möglich ist. Dagegen fallen die Frau, der Farbige
und der Jugendliche als Mangeltypen ziemlich ab und man sieht deutlich
die alten Vorurteile der US – amerikanischen Gesellschaft. Seit 1974 hat
sich aber viel verändert, die USA warten heute mit Feministen und Männern
auf, die sich zu Frauen umoperieren lassen und darüber Bücher schreiben.
Diese Sensationen gelten freilich nirgendwo in Politik, Wirtschaft und
Alltagsleben, dort haben sie Null Gültigkeit.
Aber nicht nur in Amerika, auch in Europa, auf der ganzen Welt werden
von Medien, Entertainment und Kunst relativ leere Ankündigungen
präsentiert. Conchita Wurst ist eine solche Proklamation, die mit großer Medienpower weltweit verbreitet wird, obwohl sie wahrscheinlich nie
eingelöst werden wird. Denn wer hat diese Delegierte für Liebe und
Toleranz geschickt und wieso ist sie auch für die Liebe zuständig?
Ausgehend vom Kulturbereich inszeniert hier die Gesellschaft
kollektive Euphorien und kollektive Hysterien (Raucher – Bashing)
und man kann weder sagen, warum sie das tut, noch wie Politik, Medien
und Verwaltung ineinander greifen, um diese Stürme im Wasserglas
zu bewirken.
Vom Neuen Mann kann man unmöglich ein Persönlichkeitsbild entwerfen,
wenn die Entwicklungen im Laufen und die Verhältnisse in der Schwebe
sind und außerdem die Unterschicht von der Oberschicht abgekoppelt
ist. In Kanada, liest man, stellen junge Männer 81 Prozent der
Arbeitslosen, in England fallen regional ganze Jahrgänge von Männern
aus dem Arbeitsprozess heraus und in Deutschland gibt es bei jungen,
von Hartz Vier gedemütigten Männern einen sozialen Rückzug in
die Privatheit, sie beginnen keine Partnerschaft mehr. Wie will man
hier unter Weglassung der ökonomischen Bedingungen ein
Persönlichkeitsbild entwerfen? Und von der Neuen Frau kann man
auch nichts Essentielles sagen, wenn sie unbedingt berufstätig
sein, Karriere machen und eine partnerschaftliche Ehe haben will,
im Industriebereich aber benachteiligt ist und nicht mit gleicher
Bezahlung bei gleicher Arbeit rechnen darf.
Partiell und kurzlebig war der amerikanische Adam nicht, weil auch
die Unterschicht (in der Gestalt des Selfmade Mannes) ihn als Ideal
benutzen konnte und auch sein Komplement, die Frau als Hüterin
des Hauses, Erzieherin der Kinder, Organisatorin der Wohltätigkeit
usw. in Amerika allgemein geglaubt wurde. Was hier zählt, ist
eben nicht die Medien- und Werbelautstärke der Idee, sondern ihr
Einfluss aufs Sozialleben, auf das praktische Verhalten.
In europäischen Kultursphären, nicht in der amerikanischen
Kultur, wird zur Zeit die männliche Identität verachtet. (In
den USA werden junge Männer zu einem Militär eingezogen,
das noch Kriege führt.) Das gehört zu diesen halbleeren Proklamationen
dazu, dass man Mut, Leistungsfähigkeit und Autonomie in
bestimmten Bereichen und Berufen gar nicht gut findet.
Dabei wird ignoriert, dass es andere Bereiche und Berufe gibt, die
ohne diese Eigenschaften nicht existieren können. Das Ganze
ähnelt einem heimlichen Kulturkampf, der zwischen einzelnen Bereichen
der Gesellschaft und ihren Ministerien ausgetragen wird. Für den
Neuen Mann wird zB. Mut als Aggressivität und Autonomie als
Unfähigkeit zur Nähe umgedeutet. Diese Umwertungen haben
dann konträre Proklamationen zur Folge, wie etwa den Sänger
Gabalier, den Autor Kracht oder den Sportler Baumgarten, die
ihrerseits die traditionellen Männertugenden ankündigen. Die
unterschiedlichen Proklamationen führen zu keiner größeren
Verhaltenssicherheit der jungen Leute, eher zum Gegenteil.
Medien, Entertainment und Kunst erzeugen also Proklama-
tionen. Sie erfinden, formulieren und publizieren sie. Man
kann aber nicht sagen, dass diese Bereiche den Umbau-Trend
auch organisieren. Diese Aufgabe übernimmt die Verwaltung,
und zwar nicht nur auf gesetzlicher Basis, sondern auch ohne
rechtliche Grundlage, aus der Eigendynamik heraus läuft
sie beim Umbau-Spiel manchmal heiß. ZB. muss ein Fördernehmer
im Kulturbereich heute angeben, was sein Projekt für die
Gleichstellung von Mann und Frau leistet. Das ist manchmal schwer
zu sagen und manchmal völlig unsinnig. Oder die Verwaltung
schreibt einer Forschungsförderung eine Frauenquote von 50
Prozent für alle eingereichten Projekte vor, als ob sich die
Kreativität gendergerecht verteilte.
Sprachliche Markierungen tauchen auf, die man hartnäckig aufrecht
erhält, obwohl man weiß, dass sie den Sachverhalt nicht richtig
wiedergeben. Man sagt zB. nicht dazu, dass Zuwanderer der
1. Generation zwar gute Österreicher (Staatsbürger), aber keine
Landsleute werden können. Sie haben ihre Muttersprache woanders
erlernt und werden die Sprache des neuen Landes nie halbwegs
beherrschen. Beim Einpersonen-Unternehmen (EPU) sollte man
dazusagen, dass er kein Unternehmer ist, weil er nur sich selber
Arbeit geben kann und in der Regel mittellos ist. Trotzdem
wird stur daran gearbeitet, den Neuen Landsmann mit
der fremden Muttersprache und den Einpersonen-Unternehmer
umgangssprachlich zu verankern.
Die Geschlechterdebatte sollte wissenschaftlich geführt werden,
nicht ideologisch. Die sozialen Unterschiede zwischen Mann und Frau
sollten entfernt werden, aber nicht durch Verordnungen, sondern
durch den Lauf der Dinge. Die Verwaltung sollte sozialen
Entwicklungen Zeit zugestehen, das Sozialleben nicht gestalten,
sondern es stützen und flankierend begleiten. Die Kultur sollte von
ihrer relativen Ohnmacht künden, dass sie die Wirtschaft und die
Gliederung der Gesellschaft (durch Vermögens-Unterschiede)
nicht beeinflussen kann. Sie arbeitet am Neuen Mann, während
sich das Leben junger Männer aus der Unterschicht verschlechtert,
und sie arbeitet an der Neuen Frau, deren Pensionsalter man gerade
überall hinaufsetzt und deren Einkommensnachteil gegenüber den
Männern man zementiert.
Es ist nicht ungefährlich, die Gleichheit in bestimmten Bereichen
wortreich herbeizuführen und die Ungleichheit in anderen Bereichen
schweigend zu verfestigen. Das ist demokratiepolitisch eine Gefahr.
Außerdem kann die Kultur, die gerade proklamiert, die Entstehung
neuer Rangunterschiede, Diskriminierungen und exklusiver
Vorzugschancen nicht einmal erkennen. Sie hinkt immer nach,
ist zum größten Teil traditionell.
Proklamationen, die eine Realität ankündigen, die es noch nicht
gibt oder nie geben wird, werden von Metaphern angeregt.
Eine Metapher ist nicht nur eine Umschreibung durch sprachliche
Bilder, auch eine Anreicherung von Bedeutung. Da kann´s
passieren, dass einer Bedeutung eine zweite hinzugefügt
und der Sachverhalt unernst wird. ZB. die Amnesty International Werbung
mit der Gewehrpatrone: Das geht vielen durch den Kopf. Die
Redensart „Der Gedanke schießt mir durch den Kopf“ hat zwei
Bedeutungen verbunden. Aber Erschossene können nicht
nachdenken und Nachdenken ist etwas anderes als ein
Kopfschuss. Metaphorisches Sprechen ist in der Lage, den klaren
Bezug zu einem Sachverhalt aufzuheben. Das zeigt die
„Delegierte für Liebe und Toleranz“, bei der nur noch auf die
Imaginarien der Sprache verwiesen wird. Diese können
beliebig gedeutet werden, jede Interpretation hat Recht. Das
ist bei einer Sache, die man wirklich umsetzen will,
äußerst ungünstig.
© M.Luksan, September 2015
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