DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Polemik gegen eine nicht-gelebte Identität

Der gelernte Österreicher ist ein normversessener Wendehals, der laut Alfred Goubran keine einzige Minderheit schützen wird, sollte die Gesellschaft eines Tages wieder in Totalitarismus umschlagen. Goubran schließt aus, dass dieser gesteigerte Österreicher das Unheil etwa von kreativ Andersdenkenden abwenden wird. Er schreibt: Ich sehe mich als potentielles Opfer von den potentiellen Tätern nur durch die papierene Wand des gelernten Österreichers getrennt. (A. G., Der gelernte Österreicher, 2. Auflage , Wien 2013, S. 102) Diese Übertreibung steht in einem raren Text, der sozialpsychologische Eigenarten polemisch witzig und einfallsreich behandelt. Goubran beschreibt eine Art unguten „Volksgeist“, bei dem er bohrend fragt, wo denn das Volk da sei. Der gelernte Österreicher ähnelt dem „Herrn Karl“, ist aber aufregend systematisiert, er ist definiert und durch eine Reihe von Aspekten angereichert, die das Stück von Qualtinger nicht enthält. Der gelernte Österreicher von Goubran ist ein Täter oder ein Mitläufer, er hat mitgejubelt und sich später mit der neuen Zeit arrangiert. Dabei nahm er selber die Rolle des Opfers ein, das gerade aus diesem Grund keine wirkliche Öffentlichkeit erhielt. Dieses Prinzip der Verdeckung und Vertuschung führt nun bei Goubran der gelernte Österreicher in der Kultursphäre der 2. Republik fort. Er verdeckt und vertuscht als Kulturträger und Sprecher der Nation die Andersdenkenden in Gestalt von Künstlern, Schriftstellern, Freidenkern usw., weil diese die Norm und den Mehrheitsmenschen kritisieren.

Der gelernte Österreicher ist sichtlich bei jedem Anlass und jeder sich bietenden Gelegenheit bemüht, sich in ein Verhältnis zur Kultur im allgemeinen und den Kunstschaffenden im besonderen zu setzen. Er „besitzt“ Kultur, wie man an den Museen und Galerien und diversen Veranstaltungen sehen kann. Die „Kulturförderung“ ist ihm ein Anliegen, wie er betont, und doch ist es so, dass die bedeutendsten Werke in diesem „neuen Österreich“, das aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstand, explizit gegen dieses „neue Österreich“ und den gelernten Österreicher geschaffen wurden – und diese Gegnerschaft war nicht ohne Preis: Verhöhnung, Verspottung, tätliche Angriffe und Beschimpfungen mußten dafür in Kauf genommen werden, Isolation oder, wenn es schlimm kam, ein völliges Verschweigen. Gewiss, der gelernte Österreicher war damals ein anderer, als er es heute ist, er hat dazugelernt, er ist ein „dazugelernter Österreicher“ geworden, das ist „ein sich selbst die Aufklärung glaubender“ Österreicher, doch in diesem Selbstglauben unterscheidet er sich nicht vom alten Österreicher (A.G., S. 82 f.)

Der gelernte Österreicher glaubt, dass er der neue Österreicher und - ein echter Kulturmensch sei.

Wo versucht wurde, eine andere österreichische Kultur ins Spiel zu bringen, die keine Verdrängungskultur ist, etwa in den Fünfzigern und Anfang der sechziger Jahre, mündete sie in eine Avantgarde, die sich selbst genügte, in formalen Spielereien erschöpfte und für den Österreicher weitgehend folgenlos blieb – auch weil es der gelernte Österreicher verstand, sie als volksferne Kunst in Literaturhäusern und den Instituten der Universitäten zu isolieren und durch massive Förderungen vom Markt und von der Begegnung im Alltag fernzuhalten. So wurden das Formenspiel – als Experiment – und die Unverständlichkeit für den gelernten Österreicher zu einem wichtigen Kriterium moderner Kunst - wie auch der Skandal, weil dieser die fehlende Wirksamkeit alibisiert. An letzterem zeigt sich die pubertäre Kunstauffassung des gelernten Österreichers ganz unverstellt, als eine im Grunde geistlose Dummheit und aus dem Ungelebten und dem bloßen Vorstellen entsprungene Vulgarität, die hier nur Erwähnung findet, weil sie dem österreichischen Künstler, als gelernten Österreicher, zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Im künstlerischen Selbstverständnis des gelernten Österreichers gibt es nur den Markt - und den Erfolg – oder das behagliche Unverstandensein in den Elfenbeintürmen der Kunsteliten. Das sind nicht die Türme, die Joyce, Rilke oder Hölderlin noch bewohnt haben, sondern „Künstlerkoben“, die über die Kulturinstitute als Container in die ganze Welt verschifft werden (A.G., S. 129 f.)

Alfred Goubran
Alfred Goubran (Foto: Arnold Pöschl)

Ganz nebenbei zeigt dieser Text, dass die Welt der Meinungen und des schönen Scheins natürlich von Mächten abhängt, größer als Kunst und Kultur. Eine Person (Identität) und eine Nation (Kultur eines Nationalstaates) dürfen eigentlich nicht geschwächt werden oder aber sie bringen Zwiespältigkeiten in der Art des gelernten Österreichers hervor. Das ist aufregend, wie der Text das zeigt, in einem philosophischen Milieu, wo jeder Postphilosoph Identität „zerlegt“. Goubrans Text hat allerdings den Nachteil, dass der Leser nicht immer weiß, welcher Macht sich eine rundfunk- oder auch nur stammtischverbreitete Widerwärtigkeit verdankt. Der gelernte Österreicher ist dann an allem schuld, schwankt zwischen Metapher und Begriff: Der gelernte Österreicher, das sind ja auch Freunde, Verwandte, Bekannte – und das ist man auch selbst (A.G., S. 106)

Der gelernte Österreicher ist ein Text, der einen Begriff mystisch ausbreitet, dennoch die richtigen Fragen stellt und stellenweise ziemlich leidenschaftlich ist: Wo ist der souveräne Einzelne, der uns versprochen war? Sind wir nicht der Industrie und den Konzernen aus- gelieferter als jemals zuvor? (…) Sind die Menschen glücklicher oder zufriedener, gebildeter oder schöpferischer, menschlicher oder reicher geworden? - Was ist wirklich?, bleibt die zentrale Frage, hier wie überall, die jeder für sich beantworten muss, denn jene, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen, die Lügen und die Falschheit der Propaganda und der Ideologien zu entlarven, zu artikulieren und kenntlich zu machen, haben entweder versagt, indem sie sich dem Kollektiv und dem gelernten Österreicher angedient und sich ihm unterworfen haben oder sie wurden vom gelernten Österreicher in seiner kulturellen Identitätsanmaßung als Künstler, Schriftsteller und Philosophen ins Abseits gedrängt - dieses Pack der intellektuellen Aushilfskellner und Anstreicher, die aus dem Abgrund der cephaliti- schen Vorstellungen des gelernten Österreichers gekrochen sind, in den Brutkästen seiner Ausbildungsstätten mit Begrifflichkeiten geschult, gefüttert und aufgepäppelt mit Bedeutsamkeiten, die keine sind, akademisch legitimiert, feuilletongesichert, rotten und reden sich zusammen und überziehen das Land mit den feinmaschigen Fangnetzen ihrer Kollaborateure, der Mithelfer und Mitläufer, die nichts in die Gegenwart lassen, was sie und die Kunst, die sie verfertigen, in Frage stellen könnte(A.G., S. 103 f.)

Die uralte Frage, ob man das Eigene in seinem Leben betonen oder versuchen soll, wie die meisten anderen zu leben, hat Goubran längst beantwortet. Dem Künstler ist die Antwort nicht freigestellt (aber nicht jeder muss und will Künstler sein!). Die nationale Kultur, speziell in Österreich, wird von der Mehrheit nicht gelebt, doch der falsche Volksgeist wird von „Funktionären“ der Kultur (so genannt wegen ihrer Abgelöstheit von Produktivität und Markt) weit verbreitet. Vielleicht nicht von allen, aber von den einflussreichen. Der Angriff von Goubran reicht nun weiter als bis zum Aufweis, dass der gelernte Österreicher nur ein Schmäh ist. Er enthält auch den Vorwurf, dass für das Spiel der Gemeinschaft das Engagement des Einzelnen absichtlich unterdrückt wird. Der gelernte Österreicher ist ein Spielverderber par excellence. (A.G., S. 127) Die Ausmerzung, die Zerstörung von Kultur und die Verunmöglichung von Eigenart zur Etablierung der Monokultur wird auf einer anderen Stufe durchgesetzt (als im NS, Anm. von M.L.), die Durchbildung ist umfassender, die Anpassung zwingender, die Mittel sind diffiziler. Das Denken aber ist dasselbe. Es ist das Kalkül, das sich anmaßt, das Leben zu verrechnen. (A.G., S. 80)

© M.Luksan, Dezember 2015

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