DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Den Leser geistig wehrlos machen

Mit Junk Food wird ein Massenabsatz erzielt, einfach weil das Essen sehr schmeckt und die Einwände des Gesundheitsamtes den Genuss nicht treffen. Sie betreffen gesundheitliche Folgewirkungen, die beim Verzehr der Lebensmittel nicht spürbar sind. So gesehen müsste es der Absatz minder- wertiger Spannungsliteratur schwerer haben, weil man die Tricks und die Fehler dieser Texte auf der gleichen Ebene nachweisen kann, auf der der Konsum erfolgt. Dennoch wird rasend verkauft, gerade diese Art von Literatur boomt. Die Leute konsumieren blind, es fällt ihnen nichts auf, sie sind geistig wehrlos.

Sie hat sich hingelegt, schreibt Bernhard Aichner in der „Totenfrau“, ohne sich einzucremen. Sie will, dass die Sonne sie verbrennt, dass ihre Haut schreit, wenn sie gefunden wird. Nackt will sie sein. Endlich nackt. Niemand mehr, der es ihr verbietet. Kein Vater. Keine Mutter. Allein auf dem Boot, ihre Brüste, die Hüften, die Beine, die Arme. Dieses Lächeln auf ihren Lippen, und wie sie sich leicht zur Musik bewegt. Nirgendwo sonst möchte sie jetzt sein. (B.A., München, 3. Auflage 2015, S. 9) Dieses Buch mit einem schrägen Plot besteht in erster Linie aus solchen Sätzen. Durch diese erklingt eine auktoriale Stimme, die die Figur von außen zeigt (Dieses Lächeln auf ihren Lippen), sie von innen zeigt (Nackt will sie sein. Nirgendwo sonst möchte sie sein) und sie poetisch verfremdet (Sie will dass ihre Haut schreit). Die gehetzte Reihung verhindert, dass die Sätze ausschwingen. So entsteht eine unfreiwillige Komik, die zum Beispiel ein Kabarettist durch Nachfragen gern betont: Ihre Brüste, die Hüften - allein auf dem Boot?

Es ist klar, warum der Autor die Sprache parataktisch gemacht hat. Er will Gefühle wecken und zum Mitdenken keine Zeit einräumen (der hypotaktische Satz schwächt bereits durch seine Syntax die Verdichtung von Gefühl – obwohl auch er einen Lesesog bewirken kann). Dazu kommt die Aufforderung an den Leser, die Fantasie zu steigern, das geschieht durch einen eigenen Hinweis. Der Leser soll etwas, das in blassen Worten schon dasteht, sich vergegenwärtigen und intensivieren (Seht doch, achtet darauf – es geschieht gerade!).
Alles, was Blum gehört hat, ist wieder da. Jedes Wort Dunjas, jede Kleinigkeit, alles. Dass er sie bestraft hat für ihre Sünden, immer wieder sein Gürtel auf ihrem Rücken. Die Schnalle, die sich in die Haut gräbt, Schreie im Keller. Wie er die Bibel zitiert, während er den Jungen am Tisch festbindet. Wie er ihn bei den Haaren packt und zustößt, wie er seinen Kopf nach oben reißt und in dem Jungen wühlt, der heilige Schwanz des Pfarrers, der den Knaben von seinen Sünden befreit. Immer wieder, über Jahre. (A.B., S. 233) Der Foltersex im Kopf der rächenden Heldin, die sich etwas vergegenwärtigt, das sie nur vom Tonband her kennt, wird auch dem Leser nahe gebracht. Dieser Sex, bei dem ein Priester mitspielt, wird nicht dargestellt, sondern evoziert. Evokation nicht juristisch, sondern übertragen als Herbeiholung von Einzelbildern, die den Vorgang nur zitieren (nicht darstellen). Diese Herbeiholung von Details wird rhetorisch unterstützt. (Seht nur) Wie er die Bibel zitiert(…)Wie er ihn bei den Haaren packt (…) Wie er seinen Kopf nach oben reißtetc. … dazu eine ungenaue, eigentlich pornografische Wortwahl (wie er in dem Jungen wühlt, der heilige Schwanz)

Die Heldin ist nicht glaubhaft (aber das ist James Bond auch nicht), schön und tough arbeitet sie in einer Bestattungsfirma, die ihr auch gehört. Obwohl sie viel mit Chemie zu tun hat, weiß sie nicht, wie sie ihr Opfer betäuben soll (Mit Drogen hatte sie nie etwas zu tun gehabt). Die zu killende Bande versteht mehr davon, muss aber überlistet und gekillt werden. Darüber denkt sie nach. Der Autor gibt ihr Nachdenken ähnlich gehetzt wieder wie die narrativen Evokationen: Sie suchte nach etwas, das schnell wirkt. Etwas, das sie ihm oral verabreichen konnte, ohne dass er es merkte. Schlafmittel, irgendwas, das sie in den nächsten zwanzig Stunden besorgen konnte, etwas, das legal war. Mit Drogen hatte sie nie etwas zu tun gehabt, sie kannte auch niemanden, der sich in diesen Kreisen bewegte. Es war aussichtslos. Zahlreiche Vergewaltigungsdrogen konnte man zwar tatsächlich online bestellen, doch die Zeit reichte nicht, der Versand dauerte bis zu fünf Tage. Blum fluchte. (B. A., S. 184 f.)

Brigitte Nielsen Red Sonja
Brigitte Nielson, Frau des Jahres 1986 (Quelle: flickr/user: cwangdom)

Die Darstellung ist selten vollständig und manchmal wird ein Handlungsteil ganz ausgelassen. Der Vorgang ist dann nicht mehr individualisiert. ZB. ruft die Heldin einen ihrer Sexualmörder an: Sie beschließt zu spielen. Sie ködert ihn mit Vorschusslorbeeren, sie wolle nur ihn, sie wolle Aktfotos machen lassen, er sei der Beste im Land, er oder keiner. Blum will keinen Tag länger warten, sie will es wissen, sofort. Sie will das Fotoshooting mit ihm besprechen, sie habe konkrete Vorstellungen, sie wäre gerade zufällig in der Stadt, Geld spiele keine Rolle. Blum gibt alles und bekommt einen Termin. (B.A., S. 173) Wenn ein Handlungsteil völlig fehlt, treten Informationslöcher auf. Im obigen Text ist das noch nicht der Fall, es fehlt aber die Perspektive des Gesprächspartners. Der Leser weiß nicht, auf welche Weise sich der Mann zurückhält und an welcher Stelle er Ja sagt. Die auktoriale Raffung des Telefonats erinnert an den narrativen Teil einer Predigt (auch wegen der gereihten, einfachen Sprache), wenn eine schon oft verwendete Bibelstelle variiert nacherzählt oder neu gerafft wird: Jesus betet. Allein, nur mit seinem Gott, seinem Vater, im Gespräch. Auf dem See das einsame Boot der Jünger, die mühsam gegen den Wind rudern, der den See aufwühlt. Jesus sieht es. Er sieht, wie sie sich plagen. Wie das Schifflein kaum vorankommt. Und lässt sie rudern. Er greift nicht ein. (Christoph Schönborn, Loslassen lernen, In: Bunter Krone, 10.08.2008) Hier gibt es ebenfalls die Aufforderung, sich die Szene vorzustellen (Wie das Schifflein kaum vorankommt), und es gibt den Vorgang, der der Mitteilung ganz entzogen ist: nur mit seinem Gott, seinem Vater, im Gespräch. Es fehlt der Inhalt des Gesprächs.

In der „Totenfrau“ werden die unglaubwürdigen Charaktere durch moderne, teilweise abgelauschte Dialogsprache dem Leser näher gebracht. Der antelefonierte Sexualmörder wird auktorial, aber auch dialogisch präsentiert: Sie möchten im Wald masturbieren? Es könnten jederzeit Spaziergänger vorbeikommen, wir sind dort nicht ungestört. Sind Sie sicher, dass Sie das wollen? - Ja. – Warum? – Weil es mich geil macht. – Wow. – Es macht mich an. Ich komme besser an öffentlichen Orten. Ich gehe richtig ab, wenn ich weiß, dass jemand vorbeikommen kann, dass mich vielleicht jemand dabei beobachtet. (B. A., S. 177) Dieses Zweigespräch, ein dreiseitiger, ungebrochener Dialog, ist zwar ein Stück vollständiger Darstellung, erklärt aber weniger die Figuren als die weiterlaufende Handlung.

Diese Rachegeschichte mit sexuell gefärbtem Inhalt wird durch Klischee- figuren vermittelt und mit Hilfe eines relativ neuen Modells erzählt. Die Sprache aber ist alt, sie ist die Sprache der Werbung, die reiht, evoziert, fragt (ohne zu antworten), jubelt, verdammt, verbildert, alterniert. Wie Youcat (der Jugendkatechismus) wendet sie sich an Junge, die noch kaum zweifeln, und fordert sie auf, zu glauben. Das macht diese Sprache auch am Ende des Romans, wenn die Heldin alle schon gekillt hat, bis auf Mörder Massimo, der steht jetzt da. Blum steht in der Tür. Mama ist wieder da!, ruft sie. Dann ist sie plötzlich still. Sie bleibt stehen und starrt ihn an. Massimo. Wie er sie anlächelt und Nela auf den Boden stellt. Wie sie versucht, zurückzulächeln. Wie gelähmt sie ist. Panik packt sie, trotzdem reagiert sie. Blitzschnell. Was für eine Überraschung, sagt sie. Blum rührt sich nicht vom Fleck, sie macht ihre Arme auf und nimmt die Kinder an sich. Mama, Mama, Mama. Sie kniet sich hin und umschlingt sie, sie schaut ihn nicht an. Kein Blickkontakt, nur die Umarmungen für die Kinder. (B. A., S. 395) Hier ist die Darstellung vollständig und glaubwürdig zugleich, doch die Sprache des Autors zerstört die Kunstwirkung. Sie fordert einen auf, eine Figur zu glauben, die man gerade glaubt.

© M.Luksan, Jänner 2016

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