DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Dem Einzelnen das Eigene austreiben

Der Kunde, der einst „König“ war, zieht in der Filiale des Telefonanbieters eine Nummer und starrt dann auf einen Bildschirm, bis die Nummer erscheint. Bevor das nicht geschieht, geht er nicht zu dem Schalter hin, hinter dem zwei Angestellte tratschen. Dieses Bild kündet offenbar vom kleinen Käufer in den Augen der großen Firma. Er ist für sie nur noch eine Kundennummer auf zwei Beinen, dessen Wünsche und Schritte sie - ähnlich wie ein Amt – in Bahnen lenkt…. Jeder Nachdenkende ist verwundert, dass nach dem Zweiten Weltkrieg und nach Jahrzehnten der Demokratie die Menschen nicht selbstbewusster und bestimmter wurden, denn er hat die täglichen Beispiele der Gefügigkeit, Verzagtheit und Erloschenheit vor Augen (neben denen des Übermutes, der Unerzogenheit und des Ausrastens) und sucht nach erklärenden Gedanken.

Zu „Industrie 4.0“ gehört offensichtlich auch die Einschüchterung durch Technologie. Und die Meldung von Zahlen (Budgetzahlen, Asylantenzahlen usw.) Das ist eine wachsende Transparenz, die gerade die Nichthandelnden ängstigt, denn die Handelnden kennen die Zahlen schon. Die Berechnungs- und Rechenvorgänge, schreibt Alfred Goubran, sei es durch die Wirtschaft, die Politik, die Bildung oder die Wissenschaft, in deren Visier wir geraten, lassen wenig Spielraum für Eigenes; und es ist eine Tatsache, dass die Propaganda und die Meinungsindustrie dem Einzelnen heute so umfassend und unerbittlich zusetzen wie noch nie. (Der gelernte Österreicher, Wien 2. Auflage 2013, S. 11)

Dieses Eigene, das der Einzelne in sich entfaltet, ist nun nichts anderes als das rund um den Kern gebaute Ich. Es wird durch Selbstgestaltung verstärkt und verdeutlicht, und setzt den Kern, das Selbst, glatt voraus. Denn nur was einem gefällt und zu einem selbst gehört, das kann man erfinden; wer man ist, kann man nur entdecken (oder man entdeckt´ s nie). Gegen das Eigene werden von außen her Maßstäbe gesetzt, deren Sinn und Berechtigung oft sonnenklar sind, aber manchmal mit Recht bezweifelt werden können. ZB. ein Architekt baut eine, an ein arabisches Dorf erinnernde Siedlung in ein Alpental und die Kritik schwatzt davon, dass er damit eine Norm gesetzt habe. Oder ein Pop-Künstler präsentiert das Gesicht einer Schauspielerin unabgewandelt als Bilderreihe und der Betrachter muss sich den Spruch gefallen lassen, dass dadurch die Kunst verändert worden sei. Vor allem bei ästhetischen Dingen führt die Normierung des Geschmacks durch eine Normengruppe zu einer Reduktion des Eigenen.

Die Industrie hat gewiss ein Recht, die Werknorm zu bestimmen und dem Lieferanten vorzuschreiben. Das Rechtswesen hat ein Recht zur Rechtsnorm, das Gesundheitswesen ein Recht zur medizinischen Norm, der Sport ein Recht zur sportlichen usw., doch die freie Kunst hat sicher kein Recht, unter Vorspiegelung eines tieferen Verständnisses von Kunst Geschmacksnormen durchzusetzen. Das Gleiche gilt auch für jene Industrien, die Produkte, die man nicht braucht, mit dem Käufer-Ich total verbinden: Gummibärchen mit dem Charme eines Entertainers, Red Bull mit der Lebendigkeit eines Rennfahrers. Diese Produkte finden darum einen großen Absatz, weil ja nicht nur Speis oder Trank geboten wird, sondern auch ein Ersatz für das Eigene, an dem der Käufer nicht selber arbeiten will, das er aber gern hätte.

das Eigene praktizieren

Auch wenn man Normen weithin für notwendig hält, ist doch der Zweck hinter einer Normierung nie ganz harmlos. Man will Mehr Ratio, Mehr Sicherheit, das ist okay, aber auch Weniger Vielfalt, das ist nicht okay. Dagegen kämpft der (gescheite) Biologe an, aber auch der Individualist. Dieser hat nichts gegen den Computer als Arbeitsgerät, aber alles gegen die Ausweitung der Digi – Kommunikation auf jeden Arbeits- und Lebensbereich. ZB. die, für den öffentlichen Auftraggeber geschriebene e Rechnung, schießt weit über das Ziel der genormten Rechnung hinaus. Alle Details des Auftrags müssen dem Fiskus, dem Magistrat und einem „Unternehmens – Service“ gemeldet werden. Der Rechnungsleger wird über sein Handy gecheckt, es wimmelt nur so vor ID – Nummern, und das Ganze, das nur für eine Zentralbuchhaltung eine Routine ist, wird nun der kleinen und der kleinsten Firma aufgenötigt. Oder die e Kasse, bei der nur für die Kleinen das Schwarzgeld aufhört. Oder die Akte ELGA, usw.

Es ist interessant, dass die digitale Aufrüstung der Gesellschaft, bevor sie als IT – Zwang über den Einzelnen verhängt wird, von kreativen und sendungsbewussten Digi – Freaks vorbereitet wird. Zum Beispiel im Silicon Valley, in der San Francisco Bucht, sind die Masterminds nicht nur auf Geldscheffeln konzentriert, sondern verfolgen immer auch den totalen Umbau von Industrie. Sie arbeiten an technologischen Verbesserungen und - wollen die Gesellschaft gestalten. Laut Christoph Prantner (Im Tal der guten Vorsätze, Standard, 27.06.15) haben sie das alte Schumpeter Dogma im Kopf, dass ökonomische Entwicklung nicht evolutionär vor sich gehen kann, sondern vorher die Struktur zerbrechen muss. Soziologisch ist das natürlich nicht gedacht, wenn jemand sagt: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Angeblich arbeitet der Gründer von Paypal (Peter Thiel) daran, auf den Ozeanen hoch technisierte Gemeinwesen einzurichten, auf die kein Staat der Welt, auch die USA nicht, einen Einfluss haben kann. Eine libertäre Utopie.

In einer global verregelten Welt, schreibt Alfred Goubran, ist Identität nicht möglich. In ihr kann der Einzelne nur noch funktionieren. Protagonist dieser verregelten Welt ist der identitätslose Mensch, der sich über die Regeln und Regulierungen an der Macht halten will. Ihm begegnen wir, wenn von den Banken und den internationalen Konzernen die Rede ist; wir finden ihn in den Aufsichtsräten und Gremien, welche die Zentralisierung vorantreiben. Die Menschen, das Volk, das Ziel seiner Regulierungen, finden wir inzwischen im Widerstand gegen ihn auf den Straßen (A.G., a.a.O. S. 183) Das ist eine schöne Ideologie betreffend den weltweiten Widerstand gegen die Verregelung und Verrechnung des eigenen Lebens. Sie sagt, was das größte Machtmittel heute ist, und unterscheidet klar die Handelnden von den Nicht-Handelnden. Vielleicht hilft sie beim politischen Kampf gegen die übereilte – die gewaltsame – Globalisierung.

Als Michael Bloomberg noch Bürgermeister von New York war (vor 2013) wollte er die Auftritte von „Occupy Wallstreet“ nicht einschränken. Er wollte der Welt seine Liberalität beweisen. Er schloss sich auch jener Kampagne an, der zufolge die Superreichen ihr Vermögen in steuerbefreite Stiftungen leiten, damit sie von dort aus den Staat nach ihrem Gutdünken finanzieren können. Es wäre ein Fehler, ihn und Bill Gates als „identitätslose Menschen“ zu bezeichnen, nur weil sie die übereilte Globalisierung fördern. Sie erkennen besser als Normal - Sterbliche ihr Interesse und sie gestalten ihr Eigenes, die oben aufliegende Meinung, aus ihrem Selbst heraus. Was könnte einem Supermächtigen sehr gefallen? Das soziale Glück, wie der Narzisst es sieht.

© M.Luksan, Februar 2016

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