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Das moderne Österreich und seine Kunst
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Als 1918 Krone und Altar plötzlich entmachtet waren, steigerte sich der
Mangel an Eigenständigkeit ins Chaos. Ein Staat wurde rasch geschaffen,
ein einheitliches Nationalbewusstsein kam nicht zustande. Als hätte ein
Unmündiger seinen Vormund verloren. An Stelle von Krone und Altar gab
es drei Parteien, die einander kriegsbereit gegenüberstanden. Diese
1. Republik brachte keine tragfähigen Neuerungen hervor (Ausnahme:
das Rote Wien). Die Wiener Secession verlor nach dem Krieg ihre
Bedeutung, die Wiener Werkstätte ging ins Ausland. Der Jugendstil war
das Non Plus Ultra, der Schmuck in allen Zeitungen. Es gab nur eine
moderne Galerie, die von Otto Kallir, die die Klassische Moderne
im Hinterzimmer zeigte. Die katholische und die völkische Literatur
waren provinziell, der Stil von Wildgans herrschte. Innovatoren wie Freud,
Schnitzler und Schönberg traten vorsichtig auf, um nicht ein Schicksal
wie Hugo Bettauer zu erleiden. Die besten Schriftsteller waren jüdischer
Herkunft, zB. Polgar und Roth.
1945 war die Erleichterung stärker als der Schock, doch das kulturelle
Manko war größer als 1918. Es musste nicht nur das Dritte
Reich erkannt und kritisiert werden, sondern auch die 1. Republik.
Diese Nullpunktsituation war kulturell lähmend, es vergingen
mindestens fünf Jahre, ehe man die Kraft fand, in Literatur und
Bildender Kunst die gehabten Formen zu verändern. Sepp Jahn,
ein Heeresmaler, konnte seine konventionellen Bilder bis 1950
verkaufen, danach war das Geschäft für ihn vorbei. Nun griffen
ästhetische Neuerungen um sich, die aber nicht autochthon
entstanden, sondern Adaptionen auswärtiger Formen und
Gedanken waren. Hermann Hakel, der die ersten jungen Lyriker
veröffentlichte, konnte sich die neue Zeit nicht erklären. Otto Mauer
kaufte unakademische Zeichnungen von jungen Malern. Ernst Fuchs
und Rudolf Hausner zeigten Dalis Einfluss. In Gedichten von Ingeborg
Bachmann erklingt das Echo von Gottfried Benn. Der Art Club war
eine italienische Erfindung und die Galerie Sankt Stephan begann
nicht, bevor Otto Mauer von Clement Greenberg und der New Yorker
Malschule gehört hatte.
Da die Literatur – anders als die Malerei – Kommunikation und
Umgangssprache nicht ignorieren kann, mussten junge Autoren/Autorinnen
davor bewahrt werden, in eine falsche Richtung zu gehen. Keine
linken Stoffe gestalten – von der NS Kultur sauber abgetrennt sein –
sich nicht in Formalismus vertiefen. Die Lenkung übernahmen
Gurus, wie H. Weigel und F. Torberg, diese hatten die Balance im
kleinen Finger. Gegen diese konsensbedachten Kreise trat die Wiener
Gruppe auf, hatte aber als Neuerung nur den Dadaismus des 1. Weltkriegs
zu bieten. Dieser hätte eigentlich in den Zwanziger Jahren nach
Österreich gelangen müssen, aber man griff ihn erst jetzt auf, z.B. als die
Möglichkeit von Happening in Wien, nach der Lektüre von „Flucht aus
der Zeit“ von Hugo Ball. Die Gruppe führte eine Liste von Sympathisanten,
zu denen Ernst Jandl gehörte. Dieser übernahm von Dada die
Lautgedichte.
Normalerweise findet sich die Tradition im Land selbst, bei noch
lebenden Meistern oder in Schulen, und wird durch Kreativität verändert.
Die völlig traditionslose Kunst liefert selten gute Produkte. In Österreich
nach 1945 ging man den autodidaktischen, den genialen Weg, durch
Beispiele in Paris und in New York angeregt. Das war eine bewusste
Abkehr von den staatlichen Akademien, die vor 1945 den
Regimen gedient hatten. Fritz Wotruba, der noch ausgebildet worden
war, galt als Beispiel dafür, wie ein Künstler durch Beachtung der
internationalen Szene die Bedeutung seiner Kunst erhöht. Otto Mauer
bezahlte einigen seiner Sankt Stephans - Maler die Fahrt nach Paris,
damit sie dort Informel studieren konnten.
Kunst in Wien - Franz König und Fritz Wortruba geben
eine Pressekonferenz, 1968
Der Druck, der auf jungen Künstler lastete, sich ausländische
Vorbilder zu suchen, in einem Land, das eben einen Krieg verloren
hatte, war noch keine Zensur. Er bedeutete aber, dass die
Aufmerksamkeit der Künstler planmäßig gepolt wurde. Das besorgten Kulturvermittler, Kulturbeamte, Leiter von Museen, Leiter von
Kunstschulen. Oskar Höfinger wurde 1958 in die Bildhauer – Klasse
von Wotruba aufgenommen, als er gerade den „Jüngling“ gemacht
hatte, in einem abgewandelten Michelangelo-Stil. Diesen gab er
schnell auf, als er sah, dass „naturalistisches Gestalten von Figuren“
in der Meisterklasse missfiel1, und griff doch im Alter auf den frühen
Stil zurück.
Der von Wilfried Daim entdeckte Franz Probst kam aus dem Krieg
zurück und konnte nur noch Bauarbeiter sein. Sein gegenständlicher
Stil galt als total veraltet. Otto Rudolf Schatz, der in den 1950 ern
Mosaikbilder auf Gemeindebauten gestaltet hatte, verschenkte
vor seinem Tod (1961) auf privaten Festen seine Ölbilder. Eines
der Gemälde, die niemand hatte nach Hause nehmen wollen,
die „Mondfrauen“, verkaufte Daim vor ein paar Jahren um einen
Preis, für den man heute mehrere Arnulf Rainer – Bilder kaufen
könnte. Schatz war im KZ gewesen und galt in seiner Partei, der
SPÖ, als „Stänkerer“, der er privat nicht war. Der wichtige
Werner Berg, der für die Nazis ein „Entarteter“ gewesen war, scheiterte
in Wien zweimal. 1933 wurde sein „Weißes Christuskind“ von einer
vaterländischen Jury abgelehnt und 1954 wurde eine Ausstellung
seiner Bilder in Wien verhindert.
Auch wenn der Staat Regulative für Kunst und Kultur einrichtet,
entsteht die künstlerische Kreativität nicht in den Vorhöfen von
Kunstgremien, Kunstkritikern und Kunstvermittlern. Sie entsteht
autonom und setzt sich gleich nach den ersten Resultaten mit
fremden Formen und Modellen auseinander. Als Thomas Bernhard
noch Journalist war, gab er dem Autochthonen einen speziellen
Inhalt: Es mutet seltsam an, wenn man hinter einer Glasscheibe etwa
zehnmal Cronin, Colette, Lewis, Hemingway (…) findet, während unsere
Augen nur sehr, sehr selten von der Existenz eines Franz Nabl oder
einer Paula Grogger erfahren.2. Er wies in den 1950 er Jahren
mehrmals auf „österreichische Kulturquellen“ hin, aus denen der
„Urgrund unseres Volkes“ sprudelt. Diesen christlichen Urgrund
vergaß er schnell, er tauchte später in seiner Dichtung nie wieder
auf.
Die neue Österreich – Ideologie war und ist vor allem für die
Schriftsteller ein Problem. Sie verwirrt alles. Sie sagt Jein zum
Anschluss an Nazideutschland und Jein zur Teilnahme an den
Jahrhundertverbrechen. Ungeachtet dessen wird sie aber als
Vorstellung geglaubt, im Unterschied zum Nationalbewusstsein
der 1. Republik. J. Haider hat das ignoriert, als er die Nation eine
„ideologische Missgeburt“ nannte, er meinte die fehlende Zugehörigkeit
zum „deutschen Volk“ (die dem Gros der Staatsbürger egal ist und die
die meisten auch gar nicht glauben). Das Nationalbewusstsein
der 2. Republik hat sich zwischen 1945 und 1960 tatsächlich gebildet,
ist aber allzu simpel. Es ist das Wissen und der Stolz um
ein schönes Land, um den Erfolg des Landes in den Sparten Sport,
Wissenschaft und Technik und um die Herkunft des Landes aus
einem Weltreich, das nur noch Geschichte ist.
Das Bild des geschichtsverdrängenden Österreichers, so wie
es in einem Theatermonolog geschaffen wurde („Herr Karl“
von H. Qualtinger) wurde in den 1960er Jahren nicht ernsthaft
diskutiert. Als satirischer Spaß wurde der Text bekannt. Die Erzählung
„Unter Mördern und Irren“ (I. Bachmann) gelangte ebenfalls nicht
zur Diskussion. Man erkennt daran den österreichischen
Status von Literatur, nämlich die unausgesprochene, aber
grundsätzliche Unwesentlichkeit literarischer Texte. Erst wenn die
Meinungsträger im großen Rundfunk und die Leitartikler in den
Zeitungen die Geschichtsverdrängung behandeln, wird das
Österreichbild modifiziert. Vorher nicht. Die Beschäftigung mit Kurt
Waldheim im Land ging außerdem nicht von österreichischen
Medienleuten aus, der Bundespräsident war vom Ausland in
Frage gestellt worden.
Ungeachtet der Modernisierung des nationalen Selbstbildnisses
(die noch andauert) gab sich Österreich eine völlig neue Kunst. Das
war der Aktionismus. Er war die Kunst, wo im Ausland nicht nach
Formen gesucht wurde. Gegen eine schockhafte Aktion ist zB.
Gerhard Rühm, wenn er durch Telefonbücher und Verkaufslisten
Literatur „entgrenzt“, konventionell, denn das ist immer noch Dada.
Die Aktionisten zielten das Ganz Neue an, Bereiche, wo die Kunst
noch keinen Werkcharakter hat (noch nicht Kunst ist). So suchte
Herrmann Nitsch die Kunst im vorgeschichtlichen Opferritual und
Otto Mühl suchte sie als schreiende Befreiung aus dem Gefängnis
des Körpers und der Seele. Die ärmlichen Kunstmittel der Aktionisten
wurden durch Schockmittel ergänzt, und Ende der 60er Jahre war
das Ganze da. In New York wiesen Kunstkreise auf die Blutschüttungen
des Nitsch euphorisch hin, sie galten als großartige Novität.
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Kunst in Wien – Günter Brus, Wiener Spaziergang, 1965
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Dem Künstler, den das Ausland sehr lobt, öffnet sich in Wien
Tür und Tor. Die Aktionisten wurden in den 60er Jahren nicht
gut behandelt, deswegen kann man den physischen Mut von zB.
Günter Brus bewundern, aber sie gingen mit ihrer Idee ins Ausland
und ihr Blatt wendete sich. Sie durchschauten jetzt die Novitätsbesessenheit, die Kopflastigkeit und die Oberflächlichkeit der neuen
Kunstbetriebe voll und ganz. Und diese deutschen, französischen,
italienischen, amerikanischen usw. Betriebe strahlten auf Österreich
zurück. Um 1978 pries man in Wien erstmals die Aktionisten. Die
Volkspartei freundete sich mit Nitsch (und auch Arnulf Rainer)
an, die Sozialdemokraten traten der Kunstwelt von Otto Mühl nahe.
Die Aktionisten, übrigens mehrheitlich Söhne und Töchter aus dem
„dritten Lager“, haben Österreich in die Kunstmoderne gekickt.
Mit großem körperlichen Einsatz. Es ist trotzdem unglaublich,
welche Ehrungen sie seit den Tagen ihres Außenseitertums in Wien
erfuhren. Als ob die feinsinnige und sophistische Elite des Landes
ihren Durchblick, ihr Kunstbewusstsein und ihr Empfinden von
1965 auf den Mist geworfen und neu erfunden hätte. Aber vielleicht
sind das verschiedene Mächte. Die ästhetische Elite schweigt, während
Politik und Verwaltung Fakten schaffen und damit auf das Machtwort
von Kunstspekulanten zustimmend reagieren. Es wird aber dieses
Urteil kein endgültiges sein, die Wertschätzung Moderner Kunst
schwankt wie ein Börsenkurs.
1 Wilhelm Steinböck, Oskar Höfinger, Graz 1991, S. 14
2 Werner Schneyder, Manchmal gehen mir meine Meinungen auf die
Nerven. Aber ich habe keine anderen, München 2011, S. 217
(Siehe auch Uwe Schütte, Vom Reaktionär zum Rebell, In: Wiener
Zeitung Extra, 6. und 7. 02. 2016)
© M.Luksan, März 2016
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