Am Tag der Präsidentschaftswahl vom 22. Mai 2016 druckte der
KURIER ein Interview mit Robert Menasse ab, in dem dieser den
hohen Stimmenanteil für Norbert Hofer gewissermaßen enträtselt.
„Wie nennen wir diese Stimmen?“, fragt Menasse, „Wir nennen sie
Stimmen für einen Nazi. Und ob die Wähler , die diese Stimmen
abgegeben haben, sich selbst als Nazis bezeichnen oder als
Patrioten oder als Volk oder als sonst irgendetwas, ist völlig
unerheblich!“… Dieses Urteil ist zwar ohne Maß, zeigt aber
die besondere Schieflage dieses freiheitlichen Kandidaten
auf. Die FPÖ hat mit Norbert Hofer für das würdevollste Amt im
Staate bewusst einen nicht ganz passenden Kandidaten aufgestellt.
Er ist nicht der weltoffene, politisch ausgleichende und bescheidene
Mitbürger, als der er auftrat, sondern überall das annähernde Gegenteil
davon. Auch seine Freundlichkeit und seine Gelassenheit hat er durch Verhaltenstraining erst eingeübt. Er ist ein disziplinierter, ehrgeiziger,
wie aus der Retorte heraus gestiegener Politiker, der auf wissende
und unwissende Wähler politisch ausstrahlt. Menasse betont
die blaue Kornblume, die weißen Stutzen zur Tracht und die
deutschnationale Schülerverbindung dieses Kandidaten.
Ein Hofer-Wähler, der von den Widersprüchen weiß und mit
den Symbol - Gebungen vertraut ist, ist gewiss kein Idiot. Er
begrüßt entweder, dass Hofer alle überlistet, oder er nimmt
die Manöver und die Symbole achselzuckend in Kauf, weil Hofer
noch über andere Eigenschaften verfügt, die dem Wähler
wichtig sind. In beiden Fällen hat der Anhänger keine
Berührungsangst mit Faschismus. Die dritte Möglichkeit ist
der unwissende Wähler, der nicht weiß, wer Hofer wirklich ist
und dem die junge und frische Art gefällt, die die lähmende
Polit-Routine unterbrechen könnte. Diese dritte Möglichkeit, die
am Häufigsten verwirklicht wurde, setzt aber keine gründlich
überlegte Entscheidung voraus, weil sie auf der Basis von
Nichtwissen zustande kam. (Frage an die Medien: Wieso gab es
so wenig Hintergrund-Information zu Norbert Hofer? Siehe
Donald Trump und seine Steuergeschichten, von denen man
vor der Wahl, nicht nachher!, das Wichtigste erfahren sollte.)
Man weiß jetzt, wer in Österreich Hofer gewählt und ihm
fast die Mehrheit gebracht hat. Männer, Arbeiter, Kleine Selbständige,
Nicht – Ganz - Arme und Bildungsarme waren es, die Hofer gewählt
haben. Sie vertrauten mit ihrem Votum nicht mehr einer Person
und einem System, sondern nur noch einer Person, von der sie
sich Veränderung erhofften. Die FPÖ hat diese Ausrichtung auf
eine Person, bei der das System zunächst offen bleibt, geschickt
geweckt und dadurch den Wahlkampf fast gewonnen.
Man hat versucht, den Hofer – Wählern die Intelligenz abzusprechen.
ZB. würden sie sich einen Parteien – kritischen Amtsinhaber
wünschen, obwohl ein solcher mit den Aufgaben des Bundespräsidenten
gar nicht vereinbar ist. Die Hofer – Wähler haben aber durch ihr
Votum gegenüber der herrschenden Politik ein Misstrauen
bekundet. Das hat sich den Politikern wirklich vermittelt, das
war keine „Idiotie“. Man sollte auch in den FPÖ - Wählern
keine „Dummköpfe“ erblicken, weil es die Interessen von Kleinbürgern
wirklich gibt, die auf Kosten der Ärmsten durchgesetzt werden
können. Dieser „Gruppenegoismus“ ist mit der Demokratie vereinbar.
Die meisten FPÖ – Anhänger geben das im Gespräch gern zu
und reden es nicht bürgerlich schön, dass sie Sozialausgaben
nur deshalb ablehnen, weil sie sie nicht selbst konsumieren
können. Sie wollen eine „Restriktion nach unten“ und sie durch
Law and Order abstützen. Das ist kleinlich und unsolidarisch,
aber nicht dumm.
Der Knackpunkt für berechtigte Kritik liegt in der langfristigen
Gestaltungsabsicht von Norbert Hofer und der FPÖ. Halten sie an
den demokratischen Bedingungen fest oder arbeiten sie an einer
Überwindung aller anderer Interessen, unter Zuhilfenahme der
demokratischen Struktur? Menasse hat das beantwortet, wenn
er sagt: „Der hausgemachte Faschismus ist ein mentalitätsgeschichtliches
Erbe der Österreicher“. Bei einer Dauerkrise, meint er, gibt es in
Österreich immer nur den Faschismus und das „blaue Lager“ ist
nur das bereitstehende Potenzial dafür. Das ist die Frage, wer die
FPÖ wirklich ist. Tatsächlich hatte und hat Norbert Hofer Signale
für den autoritären Staat und für Faschismus abgegeben.
Die Wahl vom 22. Mai 2016 ist beunruhigend, weil die alte Wahlarithmetik
nicht mehr stimmt. Die Stimmen der Roten, der Grünen und eines
Teiles der Schwarzen hätten eine größere Mehrheit für Van der Bellen
ergeben müssen. Was ist hier passiert? „Der Riss geht quer durch
die Familien, Freundeskreise und Bürogemeinschaften. Er teilt Stadt
und Land“ (Heute, 23. 05. 16) Das heißt, dass in einem Milieu
mit gleichem politischen Interesse der Grad an Geduld
eine Riesenrolle spielt. So wird die Ungeduld des jungen
Kandidaten gegen die Bedächtigkeit des alten schlagend, und zwar
unabhängig vom Programm. Ein SPÖ Wähler wünscht zB. die
Abwehr der Registrierkasse, das Ende der Beamtenprivilegien
und Zäune für Migranten (freilich auch die Einführung der
Bankeninsolvenz und die Besteuerung der Finanzströme, wofür
die FPÖ kein Garant ist) und wählt Norbert Hofer nur
deswegen, weil er weniger Müdigkeit verrät als Van der Bellen.
Er sieht davon ab, ob sich die meisten seiner Forderungen im
Programm des Kandidaten befinden, es genügt ihm der Anschein,
dass Hofer schneller und energischer auf irgendeine Umsetzung
drängen wird. In diesem Sinn dürften bei der besagten Wahl
sehr viele Wahlentscheidungen trivialisiert worden sein.
Dass sich der Sieg von Hofer nicht ausgehen wird, erklärte Hellmut
Butterweck durch die in Österreich breite und immer wieder neu
sich bildende Front gegen den Faschismus. Hier sprach ein
Kenner der Geschichte: „Die Gründe für die Unterschätzung des
Antinazi – Wählerpotenzials wurzeln tief in der frühen Nachkriegszeit,
als ÖVP und SPÖ um die Nazistimmen buhlten und die NS – Gegner
in ihren Reihen, auf deren Loyalität sie sich verlassen konnten, aus
wahltaktischen Erwägungen so gründlich zum Schweigen brachten,
dass der Eindruck entstand, diese seien eine winzige Minderheit.“
(Der Standard, 21./22. Mai 16) Man will aber auch den hohen Stimmenanteil für Hofer voll
verstehen. Es könnte sein, dass die momentane „Polarisierung
des Landes“ durch die Beziehung zum Faschismus allein gar
nicht erklärt werden kann. Die Polarisierung könnte auch von dem
Maß an Nachsicht abhängen, das bei der Umsetzung allgemein
gewünschter Ziele an den Tag gelegt wird. Die Regierung behauptet,
dass sie gut arbeitet. Wenn sie aber largiert und in erster Linie
Machtpositionen ausbaut, ist die Ungeduld berechtigt.
Angenommen: Nur eine kleine Minderheit begehrt den
Faschismus. Eine größere Minderheit schert sich nicht darum,
ob es demokratische Bedingungen gibt. Und einer großen Mehrheit
ist es wichtig, dass in einer sich schnell verändernden
Gesellschaft politische Großvorhaben sich nicht dahinschleppen.
Das würde das Rätsel der mehr als 49 Prozent für Hofer
ein bisschen lüften.
© M.Luksan, Mai 2016
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