DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Der Civil War und die Gewalt im Alltag

Der sehr blutige und teilweise dilettantisch geführte Civil War gilt dem Gros der Amerikaner als „Geburt der Nation“. Das ist vielleicht ein Zeichen von Bildungsmangel, dass sich ein Staatsbürger eher mit einem grausigen Pallawatsch identifiziert, der einen gehabten Zustand größtenteils restituiert, als mit der Erringung und Erklärung einer staatlichen Autonomie. Doch es ist auch eine Sache der Medien. Der amerikanische Bürgerkrieg stand und steht durch Hunderte von frühen Fotografien (Matthiew Brady) und Tausenden von Geschichten und Legenden dem Durchschnittsamerikaner näher als das Ringen um Unabhängigkeit im 18. Jahrhundert.

Durch unzählige Kinofilme und TV Sendungen, die für das nationale Selbstverständnis der Amerikaner gar nicht überschätzt werden können, wurden die kläglichen und die absurden Aspekte dieses Krieges, aber auch seine Langzeitfolgen vertuscht. Was die Geschichts- schreibung wusste und was sie in Monografien publizierte, trat ins allgemeine Bewusstsein nicht ein. Es ist auch heute nicht allgemein bekannt, dass der Krieg nicht wegen der Abschaffung der Sklaverei begonnen wurde, sondern wegen der Befürchtung, der zu erschließende Westen könnte dem Land eine zusätzliche Agrarwirtschaft auf der Basis von Sklaverei bescheren. Man wollte keinen Wettbewerb zwischen Farmern, die das Feld selbst bestellen, und anderen, die Sklaven einsetzen. Die Lage der Sklaven in den Südstaaten (cirka 4 Millionen von 9 Millionen Gesamtbevölkerung) war den Politikern beider Lager relativ egal.

Mitten im Krieg, der trotz der sechsfachen Überlegenheit der Nordstaaten mehrmals in eine Patt – Situation geriet, verlangte England plötzlich von der Union, sie solle mit den konföderierten Amerikanern über Frieden verhandeln. (England, das 1834 die Sklaverei aufgehoben hatte.) Hier erhält man Einblick in das Denken von Abraham Lincoln, den die Öffentlichkeit nur als edlen Staatsmann kennt, der emphatische Gettysburg – Reden hält. Lincoln ließ den ursprünglichen Kriegszweck fallen. Er lehnte die Hilfe des europäischen Auslandes ab, die alte Einheit der USA zu restituieren. Um das tun zu können, erklärte er die Sklaverei für unerträglich und verlangte ihre Abschaffung. Dadurch musste der Krieg verlängert werden. Auch wirkte er auf seine Generäle ein, einer Entscheidungsschlacht mit Robert E. Lee auszuweichen und stattdessen weite Landstriche des Südens zu erobern. So erklärt sich Shermans Zug durch Georgia. Billige Erfolge auf Kosten der Zivilbevölkerung. Die schnellen Siege benötigte der Präsident für seine Wiederwahl im kriegsmüden Norden.

Der Civil War hatte einen doppelten Charakter. Es marschierten Heere aus verschiedenen Ländern gegeneinander auf und es rächte sich eine Gegend an der andern. Bürgerkriegsgefechte sind Kampfhandlungen, die oft kein klares Ende finden und keine Verlagerung der Frontlinie bewirken. Durch endogene Kräfte flammen sie immer wieder auf, führen zu gegenseitigen Vergeltungs- aktionen und werden nahe eines alten Schlachtfeldes ein zweites Mal geschlagen. Dazu die Unbedarftheit amerikanischer Generäle, die Kampfhandlungen nur als Reservisten kannten. Sie entschieden mit den Köpfen von Bankiers, Kaufleuten, Schulleitern usw. über Angriff und Rückzug von Soldaten.

Der Dichter und Kriegsteilnehmer Ambrose Bierce schrieb rare Kürzestgeschichten über diesen Krieg. ZB. Der Sohn kämpft für die Union und erschießt den Vater, als dieser in grauer Südstaaten- uniform auf einer Hügelspitze auftaucht und das Lager der Nordstaatler im Tal entdeckt (Am Himmel ein Reiter). Damit meinte Bierce nicht die Barbarei eines jeden Krieges, sondern die spezielle Absurdität der Amerikaner. Für einen, von den Business- Leuten ausgerufenen Krieg tötet der Sohn den Vater und tut doch nur seine Pflicht (Kriegspathos für interstaatliche Konflikte). In den Stellungsschlachten dieses Krieges tauschten über die Wälle hinweg die Soldaten Witze aus, ehe sie tags darauf Welle um Welle in das feindliche Kanonenfeuer hineinliefen.

Banküberfall
Banküberfall der James- und Younger - Bande 1876 (zeigenössisch)

Nach dem Krieg waren die Menschen auf beiden Seiten der Dixie Linie geprägt, durch ihre Entbehrungen und ihren Überlebens – Willen. Der Weg der USA zu einem modernen Staat hätte sich evolutionär und friedlich entwickeln sollen, doch das war unmöglich wegen des gehabten Krieges. Die Bevölkerungen waren durch den zu langen Krieg, in dem äußerste Mittel angewendet worden waren, abgehärtet, abgestumpft und ungeduldig. Die amerikanische Zivilisation duldete jetzt keinen Aufschub. Sie verlangte die zügige Ausdehnung und Ausbeutung des gigantischen Landes. So erklären sich die kommenden Indianerkriege, die meisten nach dem Muster des Sand Creek Gemetzels von 1864, mitten im Krieg, als ein gold rush in Colorado zu einem Ausmordungs – Versuch an der Urbevölkerung geführt hatte.

Das Tödliche im Alltag vieler Staaten lief nach dem Krieg vereinzelt, aber nicht verfeinert weiter. Die Anwendung kollektiver Gewalt, um ein Territorium unter Kontrolle zu bringen oder ganze Bevölkerungsgruppen zum Verlassen eines Gebietes zu zwingen, stammte aus dem Krieg. Das Outlaw- und Räuberunwesen in den 1870 er Jahren rekrutierte sich teilweise aus Personengruppen, die schon während des Krieges den jeweils anderen, feindlichen Landstrich als Partisanen überfallen hatten. Der Staat war nicht im Stande, eine wirksame Ordnungsmacht zu installieren (sei es aus finanziellen Gründen, sei es wegen der Abgelegenheit des Gebietes), die Agentur Pinkerton war lange Zeit die einzige Macht, die Bahn- und Bankräuber systematisch verfolgte.

Die Zeit von 1865 bis 1895 (oder von 1865 bis 1905) wurde zur Heimatkultur der USA erklärt. Die Welt soll heute glauben, dass der Humor, die Tugenden, die Gesinnung des Amerikaners in diesen maximal vierzig Jahren ein für allemal geschaffen wurden. Der weltweit bekannte Wilde Westen ist aber nur der Rahmen für dramaturgisch aufgebauschte Geschichten. Diese sind fast alle falsch, insofern die einsamen Handlungen von Einzelnen fast nie etwas bewirkten. Die kollektiv geschaffenen Resultate des Wilden Westens sind freilich unglaublich, ungeheuerlich und mit Zahlen und Fakten zu belegen. Die dramaturgisch gereinigten Elemente der Heldengeschichten wurden weltweit nach dem 2. Weltkrieg verbreitet. Durch das Kino (der Einzelne, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt, der lupenreine Bösewicht, die mutlose Gemeinschaft, die wilde Natur), deshalb kennt man diese Geschichten heute auf der ganzen Welt, belächelt sie, kritisiert sie und ändert sie in Form von eigenen Fantasien ab.

Der Wilde Westen war in der Regel eine Mischung aus Pionierwelt und vollwertiger Zivilisation. Das von den Städten aus besiedelte Land bildete kulissenartige Städte, in denen die Menschen wie in einer Kleinstadt lebten, in die die Wildnis immer wieder einbrach. Die soziale Ordnung war an Religionsgemeinschaften orientiert, in denen die reichsten Leute automatisch die würdigsten sind, den Rat der Stadt bilden und ihre aggressivsten Knechte als Polizisten anstellen. Wenn diese Sheriffs nicht die besten Schützen waren oder die neueste Waffentechnik nicht beherrschten (weil der Colt schon wieder verbessert worden war), bedurfte es der „Samurais“. Diese kamen von weit her zu ihrem Einsatzort, dienten dort als Sonderpolizisten oder als Pistoleros für reiche Leute.

Das unsichere Gewaltmonopol hat man zutreffend betont. Doch der Gebrauch der Faustfeuerwaffe wurde mythisiert, der offen getragene Revolver als Duellwaffe wurde verallgemeinert und als Quintessenz der Wildwestkultur präsentiert. Dadurch wurde der Alltag verzerrt dargestellt und folgende Frage nicht gestellt: Wenn das freie Waffentragen zur vollen Persönlichkeit des freien Mannes dazugehört, beansprucht es auch die volle Zeit des Mannes, der wie ein Samurai täglich üben muss, um die durch sein Auftreten angezeigte Gewaltbereitschaft für den Fall des Falles zu erfüllen und gut zu überstehen. Die amerikanischen Pioniere gingen aber primär ihrer Erwerbsarbeit nach und konnte nicht täglich schießen, das Gros der Männer im Wilden Westen trug keine Faustfeuerwaffen griffbereit bei sich trug.

Die breite Hochachtung für siegreiche Revolvermänner wurde durch mediale Aufbauschung bewirkt. Diese Hochachtung blieb auf die demokratische Masse der Bevölkerung beschränkt, denn Räuber und Polizisten aus Unterschichten, die durch Zeitungen, Zeitschriften und Bioscop vermittelt wurden, fanden bei den Eliten keinen Anklang. Die Verherrlichung der Gewaltanwendung im amerikanischen Alltag war für die Oper, das Theater und die Poesie ein zu billiger Mythos. Auch stiegen die Helden des Wilden Westens kaum je ins Bürgertum auf. Wyatt Earp verließ seine Halbwelt bis zuletzt nicht, doch ein Teil des frühen Hollywood ging 1929 hinter seinem Sarg her.

Mythos und Aufklärung stehen in der amerikanischen Kultur - lobenswerterweise - oft nebeneinander (wie kapitalismuskritische TV - Filme, die mit der Werbung für Finanzpakete abwechseln). Die aufgebauschten Geschichten werden manchmal auch berichtigt, wie jene Touristen – Attraktion in Arizona, wo das Duell am OK Corral täglich nachgespielt wird. Man führt das vor, vor einem Gästehaus in der Freemont Straße in Tombstone, auf der Basis von historischem Wissen. Wyatt Earp nähert sich mit drei Begleitern seinen vier Widersachern bis auf zwei Meter Entfernung, dann geben alle Anwesenden etwas mehr als dreißig Schuss ab, doch es bleiben nur drei Männer tot liegen. Einer ist verletzt, einer läuft weg, drei sind heil geblieben.

In den USA war immer schon zu wenig Obrigkeit im Spiel, der riesige Raum war frei und leer und in punkto Tradition herrschte großer Mangel. Das hat den amerikanischen Alltag härter gestaltet als einen mitteleuropäischen in derselben Zeit. Die vakante Obrigkeit, der freie Raum und die Nullpunktexistenz erklären auch spezielle Grausamkeiten des Civil War. In diesem Alltag traf der Einzelne nirgendwo auf eine Bildung, die ihn humanisierte. In der Grundschule erhielt er im Grunde nur eine religiöse Bildung, seine Umwelt lehrte ihn die reine Lebenspraxis. Er erhielt einfach an keinem Punkt seines jungen Lebens die Anregung und die Zeit, über Gewalttätigkeit nachzudenken.

Der Alltag in den USA hat einen Bedeutungsrahmen, der in mittel- europäischen Ländern fehlt. Vielleicht ist er älter als der Civil War, das bleibt als Frage offen. Seit dem amerikanischen Bürgerkrieg sieht man aber besser als zuvor, dass die normale, die nicht - gewaltaffine Person unter Umständen, die man definieren kann (siehe Bedeutungsrahmen) zu Gewalt greift. Das tut sie trotz ihrer Offenheit, freundlichen Direktheit und Großzügigkeit, die man als allgemein verbreitet, als amerikanisches Wesen kennt. Sie reagiert zB. auf plötzliche Gewalt (gegen den Körper des Anderen) anders als der Durchschnittsbürger in Europa. Sie erschrickt nicht übermäßig, ist nicht zu lange beklommen und weiß sich selbst in irgendeiner Form zu schützen. Wenn die emotionale Dominanz des Angreifers nicht hält, ist sie sogar zu Gegengewalt fähig. Soviel zur Mikrosoziologie der Gewalt. Seit 1900 treten die Sozialkämpfe, das Vigilantentum, der Rassismus und das Gangstertum zur politischen Gewalt in den USA hinzu und verdichten sie. All diese Themen hat dieser Beitrag nicht berührt, sie verlangen nach einem zweiten Text.

© M.Luksan, August 2016

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