DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Fairen Wettbewerb – gibt es nicht

Der Literaturpreis für Bob Dylan hat den Buchhandel enttäuscht, weil Verlage auf Bücher das Wort „Nobelpreisträger“ aufdrucken wollen, und er hat den Literaturbetrieb erzürnt, weil sich Kritiker nicht gern die Deutungshoheit entziehen lassen. Unabhängig davon ist er eine Fehlentscheidung und zwar eine sehr unangenehme. Er ist nämlich der Eingriff in einen kulturellen Wettbewerb unter Beachtung des Gesetzes der größten Zahl.

Große Zeitungen haben sich wie Aale gewunden, um den Nobelpreis für Bob Dylan als eine gerechte Entscheidung zu präsentieren. „die oft als verschroben geltende Akademie hat ihre Tür weit geöffnet, frischen Wind und ein größeres Publikum eingelassen“ (Neue Zürcher Zeitung). „Die Akademie hat weder etwas zu entschuldigen noch zu erklären. Bob Dylans einzigartiges poetisches Textuniversum spricht für sich selbst“ (Politiken) „Nur wenige Poeten haben jemals rings um die Welt Konzerthallen füllen können“ (Times) … Es sind auch nur wenige so gut Formel 1 gefahren wie Niki Lauda. Aber Spaß beiseite, Alfred Nobel hat sich vom Sprachwerk des Dichters die größtmögliche Bereicherung für die Menschheit erhofft, und nicht das ultimative Geschäft.

Mit der gefälligen und auch genialen U – Musik von Dylan ist die Generation der heute 60- und 70 – jährigen in Europa aufgewachsen. Diese Personen haben sie goutiert und als hochmodern empfunden, aber wenn sie ehrlich sind, werden sie heute zugeben, dass sie die eigenwillig vorgetragenen Liedtexte nur bruchstückhaft verstanden haben. Im Unterschied etwa zu Simon und Garfunkel. Das nicht-englische Publikum genoss bei Dylan Rhythmus und Musikalität, Stimme und Emotionalität, aber nicht den unverständlichen Text. Beispiel „Mister Tambourine Man“. Ein Trommler schreitet einem umnebelten Ich in eine leidenschaftlich begehrte Welt voraus. Der Ausdruck von Dylans Stimme ist fatalistisch: „In the jingle jangle morning I´ ll come following you “, aber auch fordernd: „Take me on a trip upon your magic swirling ship“ oder „Take me disappearing through the smoke rings of my mind“. Dylan schreit seine Forderungen an den Trommler, aber auch seine eigene, durch Drogenkonsum gefährdete Befindlichkeit laut und zugleich kryptisch heraus. All die „swirling ships“ und „smoke rings of my mind“ erlauben keine Annäherung an seinen wirklichen Zustand. Gegen Schluss ist seine Erregung bei „Let me forget about today until tomorrow“ abgeklungen und der Song kann enden.

Man muss voll begreifen, wofür hier die Lyrics werben. Für das Wegrauchen und Wegsaufen, wie bei Dylan Thomas, aber weniger präzis. Jemand will nicht länger Herr seiner fünf Sinne sein und der Jugend wird empfohlen, die Zeit von Jetzt auf Morgen einfach zu löschen. Das hatte in den 1960 er Jahren eine andere Bedeutung als heute, doch heute ist das gänzlich unsinnig. Damals gab der Song in etwa das Lebensgefühl amerikanischer Beatniks wieder, heute kann die Maxime der extremen Spontis niemanden mehr begeistern. Ungeachtet der mitreißenden Melodie.

Bob Dylan und Joan Baez 1965
Joan Baez und Bob Dylan, 1965

„Tambourine Man“ bietet also eine fabelhafte Musik, eine einprägsame Stimme und einen schwachen Text. Man muss hier dazusagen, dass der Text eines Songwriters die volle Sprachkraft eines Lyrikers oder Prosaisten niemals erreichen kann. Weil der Songwriter nämlich Wörter finden muss, die sich ryhthmisch und emotional besonders gut sprechen lassen, und sich dabei nicht der Aufgabe widmen kann, hier einen Sinn zu konstruieren und dort einen zu zerstören. Die Akademie aber stellt sich dumm und die journalistische Hofberichterstattung faselt vom Liedtext als der „neuen Literatur“, die durch Verbindung mit Musik und durch neue Verbreitungswege angeblich entstanden ist. Vor 50 Jahren, bei Bob Dylan. Eine gute Literaturkennerin, Sigrid Löffler, hat diesen Unfug zurückgewiesen, als sie sagte: Dylan´s Texte sind „keine eigenständige Lyrik, sie funktionieren nur gesungen“.

Eine Handvoll Juroren hat, überspitzt gesagt, den Literaturbetrieb ausgeklinkt, indem sie die Qualität nicht mehr als wichtigsten Grundsatz beachtet hat. Der geschätzte, maximale Erfolg hat eine Kunstbeurteilung beeinflusst. So gesehen hätte man einst Karl May diesen Preis geben müssen. Der war auch zeitverhaftet, umstritten und sehr erfolgreich. Diese Wertschätzung der bloßen Zahl lässt sich cum grano salis mit der Sammler - Vorliebe für Jeff Koons vergleichen, den eine Handvoll Sammler und Käufer, die er persönlich kennt, durch den Preis, den sie für ihn bezahlt, zum wichtigsten Künstler der Welt erklärt.

Das Phänomen Koons hat Wolfgang Ullrich in seinem Buch „Siegerkunst“ behandelt. Künstler wie Koons schaffen in großen Werkstätten halbwitzige Objekte, zumeist aus billigem und teurem Material verfertigt. ZB. Blattgold auf Pappkartons oder Objekte mit einer spiegelglatten Oberfläche, vor der sich der Betrachter einen Scheitel ziehen kann. Diese Werke verletzen durch ihre Geschmacklosigkeit ästhetische Kriterien und werden außerhalb des Kunstbetriebs gehandelt. Sie umgehen die „Diskurswächter“ der Kunst und die staatlichen Museen und erzielen Preise im sechsstelligen Bereich, von denen die Medien aufgeregt berichten.

Diese Aufregung ist offenbar unvermeidbar. Am größten Absatz und am höchsten Preis kommt einfach niemand vorbei, der sich in einer wirtschaftsdefinierten Gesellschaft fromm orientiert. Bei Jeff Koons springt eine gewisse Unterhaltsamkeit der Kunst ins Auge (die bei Bob Dylan gar nicht zu überhören ist), seine Käufer sind reiche Leute, die das Ding schnell konsumieren und dann lächelnd die Kaufsumme dazu sagen. Bei Bob Dylan ist das anders, weil er ja doch eine Zeitlang für Alternatives Leben stand, aber die intellektuelle Herausforderung durch seine Lieder hält sich in Grenzen. Wirklich neu und unangenehm ist das Denken einer wichtigen Jury, das die Größe einer Bedeutung an der Größe einer Zahl misst, auch wenn es sich dabei um ein anonymes, nicht abzählbares Publikum handelt.

© M.Luksan, Oktober 2016

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