Die literarische Neuerscheinung löst beim Literaturfreund eine Neugierde
aus: Wird packend erzählt? Psychologisch dargestellt? Mit Sprache virtuos gespielt? In einer Buchhandlung nimmt er das öffentlich gepriesene Buch
zur Hand und liest darin ein paar Sätze. Das kann auch zum Ende seines
Interesses führen. Wie deutet er nun den Satz „Ich weiß keine bessere
Welt – Ingeborg Bachmann“, geschrieben auf einer beleuchteten
Wand in Klagenfurt? Dass er Utopie in der Literatur nicht mehr suchen
soll? Dann wird ihm vielleicht die Bildung sagen, dass die Utopie von der
besseren Welt seit vielen Jahrhunderten ein fester Bestandteil von Literatur ist.
Den besagten Satz zeigt ein ORF Foto vom Saal der Klagenfurter Lesungen.
Der Standard hat es einem Essay von Peter Truschner findig vorangestellt (25.06.16). Der Satz wirkt wie eine Ermahnung an die Autorinnen und
Autoren, die beim Bachmann-Preis einem öffentlich urteilenden Kollektiv
gefallen müssen. Denn Kollektive sind es heute, nicht Einzelne, die darüber entscheiden, ob aus einem kreativen Niemand ein kreativer Jemand werden
darf. Der Satz wirkt wie ein Totempfahl. Die Kunst ist frei, scheinen die
Damen und Herren Juroren zu sagen, bis auf ein paar Grundsätze, die du
in deiner freien Welt befolgen sollst. Denn wir wollen nicht nur, dass du
nicht rassistisch und nicht fremdenfeindlich bist, wir wollen auch, dass du
Naivitäten ablegst, die wir, die Gremien, schon durchschaut und abgehakt
haben.
Die „Naivitäten“ lassen wir beiseite. Hier beschäftigt uns der auf den
Schreibenden lastende, ungute Druck. Die Literaturschaffenden
finden auch heute noch genügend Öffentlichkeit vor, doch sie werden
nicht mehr von philosophisch zerstrittenen Einzelnen geprüft, die
insgesamt eine große Bandbreite darstellen, sondern es leisten
Gruppenmitglieder diese Arbeit, die den Konsens und damit die
Macht der Gruppe nicht verletzen wollen. Auch wenn man das
Diktatorische des alten Kulturpapstes ablehnt, sieht man doch, dass
seine Meinung nicht alle vorhandenen Meinungen in sich enthielt und wie
auf einem Gerichtshof zum Ausgleich brachte. Die Meinung der Gruppe
tendiert zum Gerichtshof. ZB. der in Klagenfurt negativ beurteilte
Jörg Fauser wusste für einen Moment nicht, wo er sonst noch
hingehen sollte. Das demokratische Getue des Gremiums verdeckt
die Subjektivität des Urteils.
Von der Kunstbewertung gilt immer noch, dass das geleistete Objekt
naturwissenschaftlich nicht objektivierbar ist, sondern nur durch eine
subjektive Ästhetik erfasst wird, die bei der Modernen Kunst und bei der
Modernen Literatur nicht einmal den Endpunkt darstellt. Denn anders als
in der „Galerie Otto“, wo man nur noch dem eigenen Geschmack
folgt, setzt sich der Rezipient von Moderner Kunst und Moderner
Literatur nie nur mit dem Objekt allein, sondern immer auch mit der
Kritik dazu auseinander. Das geht so weit, dass er sich bei einem oft
und respektvoll genannten Namen zur persönlichen Prüfung des
Werkes zwingt, was er bei einem „namenlosen“ Werk nie tun würde.
Und nachdem er die öffentlich herumschwirrenden Bewertungen der
Kritiker und Juroren halbwegs verstanden hat, nimmt er selber das
Objekt durch ein Gefallensurteil auf.
Den Nachteil des Kulturschaffenden hat Niki Lauda lakonisch auf
den Punkt gebracht. „Warum bin ich in den Medien?“, fragte er sich,
„Die einfache Antwort. Weil ich Formel 1 Fahrer bin. Künstler sind von
subjektiven Meinungen abhängig, das macht´ s schwieriger.“ (Kurier;
5. 03.17) Das Ergebnis der Bemühung, das Kunstwerk, die Leistung,
ist nicht messbar, nicht bezifferbar. Bei Lauda genügte stets ein
Blick auf die Stoppuhr. Wenn er von allen Fahrern die beste Zeit
erbracht hatte, musste er dem Publikum nicht noch als Mensch
gefallen.
Der Erfolg eines Textes vollzieht sich nicht in einem einzigen
Schritt, sondern der Text muss nach der Prüfung durch Verlagslektoren
in einem zweiten Schritt ein paar maßgeblichen Kritikern gefallen.
Sonst ist ein rascher und ein großer Absatz unmöglich. Das
Zweifache dieser Bewegung illustriert den Charakter unserer
Erfolgsgesellschaft, die sich – zumindest im Kulturbereich - mit Leistung
alleine nicht begnügt. Erst wenn das Bild in einer Galerie durch
einen Liebhaber, einen Spekulanten oder ein Museum gekauft
ist und bei einer Auktion seinen Preis und seine Beschreibung
erhalten hat, tritt es in die Sphäre des Erfolges ein. Da Leistung und
Erfolg zwei verschiedene Paar Schuhe sind, kommen moderne Künstler
leicht auf die Idee, sich die kritische Instanz gänzlich zu ersparen. ZB.
Damien Hirst macht eine Auktion unter Ausschließung der Kritiker und der
Galeristen oder Jeff Koons verkauft seine Objekte nur an reiche Bekannte.
Joseph Beuys und Willy Bongard, 1969 (Foto: Peter Baum)
Diesen Trend der Umgehung von Kritik verstärkte einst Joseph Beuys,
als er aus der Kunst gleichsam hinaustrat und von außen wieder in sie
eintrat. Von diesem Moment an, als er Fluxus – Kunst und anderes
hervorbrachte, war er der Guru seiner eigenen Kunst. Er wollte nicht nur
das Noch - Nie – Da – Gewesene bei sich selbst befreien, sondern auch
die höchste Beurteilungsinstanz sein und einen neuen Kunstmarkt
organisieren. Solche Allmachts – Fantasien des Bildenden Künstlers
kommen für den Schriftsteller/Dichter nicht in Frage. Weder kann er
aus dem Nichts heraus einen Text schaffen, oder - was das gleiche ist -
aus der Umgangssprache heraustreten, noch kann er dem Leser ein
Text – Unikat verkaufen. Er ist und bleibt auf die Zahl der Leser angewiesen.
Wenn er Erfolg haben will.
Vom Urteil der Kritiker ist der zweite Schritt der Prüfung abhängig.
Denn nur in der Gebrauchsliteratur kommt man ohne jedwede Kritik an
größere Leserkreise heran. Wenn nun diesen privilegierten Lesern
der fröhliche Wettbewerb der Themen, Weltsichten, Schreibhaltungen
und Schreibmethoden keine Freude macht und sie ihn sogar ekelhaft
finden, weil sie - an Stelle einer Literaturwissenschaft – eine
Literaturideologie beachten, so ergeben diese an die Wand geschriebenen
Devisen und Ermahnungen einen zusätzlichen Sinn. Es könnte auch
geschrieben stehen: „Der allwissende Erzähler ist tot“, „Wer erzählt,
zählt nicht“, „Es gibt keine Welt außerhalb des Textes“. 1979 rief
Marcel Reich-Ranicki in den Klagenfurter Saal (und die Autoren
und Autorinnen kicherten verlegen): „Ich lasse mir von einem Poeten
nicht die Welt erklären!“ Das war damals der neueste Schrei. Hier
die Zauberer der Kunst, die scheinbar alles dürfen und die man
nie ganz versteht, und dort die Techniker, Wissenschaftler und
Wirklichkeitsmenschen, die das Erklären gepachtet haben und an denen
kein Rest von Rätsel haftet.
In seinem wichtigen Essay beschreibt Peter Truschner weniger die
„vorgeschriebenen Codes“, die überall auftauchen und nur knapp
geäußert werden, als die grassierende Nachgiebigkeit, Ängstlichkeit und
Karrierebezogenheit der Nachwuchstalente. Jede Generation ist
offenbar anderswo realistisch. Der „vorauseilende Gehorsam“, der
in den 1980 er Jahren sehr verachtet war, scheint heute niemandem
mehr sauer aufzustoßen. Die Redaktionen, Lektorate und Dramaturgischen
Abteilungen, die wir hier als „ersten Schritt“ begreifen, sind selber
schon von Konformismus erfasst. Sie prüfen, wie Truschner schreibt,
das kreative Tun ihrer Angestellten und Freien Mitarbeiter lückenloser und
kleinlicher als früher, wo die Weltlage noch halbwegs offen und der „Rückzug
ins Private“ weniger verbreitet war. Zitat Truschner: „Je weniger das Große
zu verändern ist, desto empfindlicher wird man im Kleinen. Die neue
Empfindsamkeit ist dabei kaum vorstellbar ohne die subjektive Erfahrung
von politischer Ohnmacht.“
Auf diesem Weg raubt der immer schon prophezeite Konformismus der
poetischen Darstellung Lebendigkeit und Vielfalt. Sieht momentan so aus.
Peter Truschner empfiehlt die Abwendung vom Betrieb, doch der Betrieb
ist an sich nicht schlecht. Er ist nur so gut wie die Betriebsleute.
© M.Luksan, März 2017
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