Wer seine leer stehende Wohnung für den Zeitraum seiner Abwesenheit
untervermietet, erspart sich Geld. Er mietet zwar anderswo eine zweite
Wohnung oder bezahlt ein Hotelzimmer, aber er bringt sich durch
die Vermietung der eigenen Wohnung in den Genuss einer Wertschöpfung.
Profit wird er keinen machen, aber der Verband der Hausbesitzer wird
sich aufregen… Man kann auch andere Bereiche vom Profit freihalten
und in ihnen klaglos wirtschaften. Die Soziologin und Pädagogin Marianne
Gronemeyer hat solche Räume vor Augen, wenn sie über das Destruktive
des Effizienz – Denkens nachdenkt. „Die industrielle Arbeit“, sagt sie, „ist
vollkommen unfähig, Rückerstattung zu leisten (…) Rückerstattung heißt
aber, dass Profit beschränkt wird.“ (M.G., Diktatur des Effizienz-Denkens, Vortragstext, S. 7)
Ob die Persönlichkeit des Arbeitenden durch den Arbeitsprozess gestützt
und sogar bereichert wird, ist eine ewig junge Frage der Gesellschaftskritik.
Von Karl Marx bis Richard Sennett. Dieses Heil erfährt der Arbeitnehmende
in der Regel nicht, er kann zB. Lebenserfahrung und Lebensklugheit nicht
in seiner Arbeitszeit erwerben, er muss sie in seiner Freizeit realisieren.
Die Arbeit ist bloßer Gelderwerb für ihn und darf trotzdem nicht nachlässig
verrichtet werden. Es ist nicht möglich, generell zu sagen, dass die
Arbeit des heutigen Arbeitnehmers keine Anteilnahme und keine
Gewissenhaftigkeit erlaubt. Aber es lässt sich die zunehmende Normierung
und zunehmende Kontrolle der Arbeitsprozesse überall feststellen.
Und zwar ermöglicht gerade die fortgeschrittene Digi – Kommunikation
den intimen und gnadenlosen Einblick in die Welt der Arbeit.
Im Bemühen, die beschleunigte Ausbreitung neuer Technologie und
die anonyme Disziplinierung der Bevölkerungen zu begreifen, hat
Marianne Gronemeyer das Expertenwesen analysiert. „Die Experten“,
sagt sie, „sind die Star-Dienstleister. Sie haben sich das Recht angemaßt
(…), darüber zu entscheiden, was in einer Gesellschaft Standard ist (…)
Die Effizienzkalküle sind ohne Standards gar nicht möglich“
(M.G., ebd., S.10/11) Sogar im Schulbereich normieren Experten-Gruppen
die verschiedenen Tätigkeiten in der Schule ständig neu. Jedes Mal wenn
sie in alter oder neuer Zusammensetzung tagen, präsentieren sie eine
neue Norm. Die evolutionäre Anpassung „von unten her“ ist für sie kein
Faktor mehr. Sie sehen die Schule primär aus der Sicht der Schüler.
Sie stellen neue „Bedürfnisse“ der Schüler fest, die dann von den
Schülern und den Eltern als Mangel eingeklagt werden dürfen. Noch ist
es nicht so weit, aber eines Tages könnte die Mitsprache der Schüler bei
der Wahl der Lehrstoffe als ein Grundrecht der Schüler dargestellt
werden und eine neue Reform verlangen.
Warum geben sich Staaten überhaupt Experten, solche der Schule,
der Wirtschaftsanalyse, der Bevölkerungspolitik usw., und lassen
nicht vielmehr ihre Beamten urteilen? Die Antwort auf diese Frage ist
der Richter, der bestimmte Sachverhalte nicht mehr selber feststellt,
sondern dafür Gutachter bestellt. Eine wichtige Frage ist, wer zahlt. Wenn
nämlich der von Konzern - Aufträgen lebenden Rating - Agentur erlaubt
wird, einen Deal zu beurteilen, bei dem die Konzerne den Staat ausplündern,
so ist der Begriff des Experten total verfehlt. Dann hat ein Ideologe des
Profits gesprochen und kein Experte. Zur Expertenschaft gehört nicht nur
das ganze Wissensspektrum, sondern auch das Wohl des Ganzen, der
ganzen Bevölkerung. Der Experte mit der eingeschränkten Problemsicht,
(die automatisch eine Verschleierung und Täuschung bewirkt) ist in
Wahrheit der Ideologe.
Auch wenn man versteht, warum die neue Technologie bedrohlich
wirkt, muss man sie doch als etwas Unaufhaltsames erkennen. Die
Explosion des Wissens und der Technologie zufolge der Erschließung
und Ausnutzung der Mikrowelten ist unumkehrbar. Aber der Einsatz
von KI (Künstlicher Intelligenz) gemeinsam mit Robotik kann vernünftig
oder unvernünftig geschehen. Es ist zB. zweckmäßig und gut, wenn statt
des Chirurgen ein OP – Roboter, mit „ruhiger Hand“, das Lasermesser
führt. Der Arzt sitzt in vier Meter Entfernung vom Patienten und
bedient diese halbautonome Maschine. Hingegen ist es wenig ernsthaft,
wenn ein Roboter in Spitalsgängen herumrollt und verirrte Patienten
findet, worauf dann der Einsatz von Pflegepersonal erst recht erfolgt.
Die neue Technik dringt in alle Lebensbereiche ein und verdeckt durch
Marketing – Rummel ihre Unvernünftigkeiten. ZB. genügt die Seestadt
Aspern (in Wien) als Errungenschaft des 21. Jahrhunderts mehreren
Kriterien, von denen die „Nachhaltigkeit“ nicht das unwichtigste ist. Gut
vernetzte Gebäude, die teilweise aus einem Material gebaut sind, das
man wieder verwerten kann, generieren durch Photovoltaik, Solarthermen
und andere von Siemens eingebaute Anlagen (sie heißen jetzt
„IKT“, nicht mehr bloß „IT“) ihre eigene Energie. Man hat scheinbar an
alles gedacht, außer daran, dass die Verkehrsanbindung dieses Stadtteiles
eine Straße durch die nahe Naturschutzregion unbedingt benötigt.
Zwei Jahrzehnte vorher war der Naturpark Lobau die Errungenschaft des
20. Jahrhunderts. Jetzt wird sie durch eine wichtigtuerische Werbesprache,
einen Neusprech („smart buildings in smart city“), mit größter
Selbstverständlichkeit vertuscht und Planung und Politik fühlen sich für
die Zeit vor zwanzig Jahren nicht verantwortlich.
Im Bildungs- und im Wissenschaftsbereich wird besonders
viel vernetzt. ZB. gibt die EU eine Menge Geld für eine
„Innovationsunion 2020“ aus. Deren Mittelpunkt nennt sie
- metaphorisch - den „Europäischen Forschungsraum“. Diesem
ERA arbeitet Österreich durch eine ausgelagerte Einrichtung zu,
in der das Wissenschaftsministerium der größte Gesellschafter ist. Aber
was leistet diese GesmbH. wirklich? Sie und andere, am Schreibtisch
erfundene Einrichtungen beanspruchen eine Daseinsberechtigung, die
sie noch nicht nachgewiesen haben. Sie haben ihre Arbeit noch
nicht substantialisiert, wenn sie in erster Linie Wohnraum verwalten,
für studierende und forschende Wien-Besucher.
Bei Schule, Gesundheitswesen und Verwaltung stellt Marianne Gronemeyer
die Mängel konkret fest. Sie klärt auch über ideologische Verallgemeinerungen
der Sprache gut auf, doch am Ende lädt sie zu einem sozialistischen
Utopismus ein. Die Destruktion wird bei ihr vereinheitlicht. Sie fordert
auf, aus einem „System aus Überproduktion, Überkonsumtion, Schulpflicht,
Arbeitszwang und staatlicher Daseinsfürsorge“ auszutreten (M.G., ebd. S. 10).
Damit macht sie eine falsche Voraussetzung, dass nämlich ein System
einheitlicher Planung und Gestaltung am Werke sei und man ein Konglomerat
aus verschiedenen Zielen, Plänen und Praktiken nicht annehmen müsse.
Doch die „Orte, die leer sind von Macht“ und in die die Einzelnen aussteigen
sollen, gibt es in der Tat wirklich. Die meisten von ihnen sind Renaissancen,
keine Innovationen. ZB. die Werkstätten, die Geräte reparieren, die dann
nicht neu gekauft werden müssen, gab es bereits in den aufstrebenden
1950 er Jahren. Die Stadtgärten mit den Gemüsebeeten neben der Fahrbahn
gab es in der Zeit der Selbstversorgung nach 1945. Die Autos, die ihre
Fernfahrt erst begannen, wenn ihre Plätze voll besetzt waren, wurden
durch Mitfahrer-Zentralen in den 1960 er Jahren organisiert. Und die
solidarische Landwirtschaft kann man nach dem 1. Weltkrieg beobachten,
wo unter Umgehung eines Großmarktes direkt an Städter geliefert
wurde, die dann auch als Bauern arbeiteten. Lediglich die Bürger,
die ihren Strom selber produzieren, sind sozusagen ganz neu. Und
jene andern, die Wissenschaft selbst betreiben, insofern sie Open Data
von staatlichen Einrichtungen auswerten oder den Energieverbrauch in
Haushalten und in Firmen auf Einsparungsmöglichkeit hin untersuchen.
… Ein Ort, der einer Ökonomie folgt, die nicht von Profit bestimmt ist,
hat nur eine punktuelle Existenz auf Zeit. Er ist aber eine Insel des
Widerstands, auf den die verschiedenen Systeme letztlich reagieren.
© M.Luksan, April 2017
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