DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Der Fotosammler
Fantasien
Martin Luksan
Edition Keiper, Graz 2017. S.85-92.
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[...]Der Skipper bedient im Dämmerlicht sein Vorsegel. Er steht breitbeinig auf den nassen Stahlplatten, auf denen der Rest von Licht funkelt, und trieft vielleicht vor Feuchtigkeit. Oder er hat den Regenguss versäumt und ist trocken, weil er in der Kajüte schlief. Mit Hilfe eines Weckers, dreißig Minuten lang. Obwohl er ufernah segelt, riskiert er das. Ich sehe nur seine Silhouette, die dunkler ist als die Wolken über ihm und dunkler als das Metall des Schiffes. So sollte jeder Sterbliche einmal einen Ozean überqueren. Mit dieser Luft in der Lunge und diesem Geruch in der Nase sollte er bei Tag die Sterne am Horizont untergehen sehen. In der Nacht wird in einem ungeteilten Raum gesegelt, da kann man den Himmel vom Himmelskreis gar nicht unterscheiden. Erst am Morgen holt der Skipper seinen Winkelmesser hervor und richtet ihn auf Horizont und Sterne.
 Clark Stede schaut im Sonnenlicht durch das Vollsichtrohr seines Sextanten. Er hat sich seinen Traum erfüllt. Die Inselbuben in den Kanus, die nach der
Kakao-Party auf seinem Schiff zur Küste zurückrudern, hat er meisterlich verewigt. Zwölf bronzefarbene Kinder sind übermütig wie beschwipste Äffchen. Clark Beiderseits von Stedes Schiff haben sie ihre Nussschalen bestiegen und winken mit den Paddeln. Sein Schiff liegt rot im blauen Wasser, das die grüne Wand der Insel wie ein Lineal abschneidet. Herrlich. In der Wohnnische des Schiffes bewirtet er vier Insulaner, die mit Bechern in der Hand darauf warten, dass er etwas einschenkt. Eine barbusige Frau mit Blüten im Haar blickt erwartungsvoll auf die Zinnkanne. Stede selbst steht gebückt in der Kajüte und berührt mit der zweiten Hand, die eine Zigarette hält, den Boden des Henkelgefäßes. Kann also kein heißer Tee sein. Bis die Seele eines solchen Schiffes durch den Gesang der Gäste gnädig gestimmt ist, könnte ein Kettenraucher zehn Zigaretten konsumieren.
 Stede lebt gesund. Er zerteilt auf einem Hackbrett eine tropische Frucht und hat auf dem Schiffsbug eine Reuse hängen. Das blaue Transparent seiner roten

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ASMA hat er in die Reling eingeknüpft, darüber zusammengerollt die deutsche Flagge. Dieser Mann trumpft nicht auf, er segelt auf Nebenwegen durch die Meere. In einem weiten Bogen kommt er aus dem Golf von Aden heraus und landet auf vergessenen Inseln. Lamu und Sansibar waren einst sehr berühmt, als die arabischen Gewürzschiffe Tag und Nacht fuhren. Heute gibt es nur noch die Stadt Moroni, die durch ihre Gewürznelken eine Bedeutung hat.
 Ich stelle mir vor, wie ein bei den Komoren segelnder Skipper plötzlich Mayotte erblickt. Die Insel taucht auf der Backbord-Seite auf, er will anlegen, aber kein Licht in den fernen Bretterhütten, nur Regendunst über einer dunklen Siedlung. Den Grund dafür weiß er schon, diese Orte sind nicht elektrifiziert. Die Franzosen haben übel gehaust und eine verarmte christliche Bevölkerung zurückgelassen. Jetzt landet er auf Nosy Be und befürchtet, für die Rückkehr zur Arabischen Halbinsel zu wenig Wind zu haben. Falsch. Dann wäre er kein Profi. Die Todeszone beginnt erst bei 22 Grad südlicher Breite, in der Mitte von Madagaskar. Wer nördlich davon fährt, darf weiterhin mit Brisen rechnen und lernt die große Windstille nicht kennen. Von Nosy Be segelt er durchs offene Meer, auf dem kürzesten Weg nach Oman. Dort hilft er einem Dhau- Schiffer, ein Seil über einem Spreizholz zu verknoten.
Er zieht dabei so stark an diesem Tau, dass er in die Hocke fällt und der andere lächeln muss. Die Araber tragen alle Weiß: die Würdenträger mit dem Krummdolch vor dem Bauch, die Gläubigen in der Moschee, die Schulkinder vor dem offenen Koran. Auch die im Meer stehenden Fischer tragen weiße Kleidung. Sie breiten weite, feine Netze aus und werden von weißen Möwen überflogen, die den Fang der Sardinen unruhig erwarten. Plötzlich ist Stede kein Einhandsegler mehr und sein Schiff, vier Meter länger als die stählerne ASMA, liegt schief am Strand, die Reling berührt fast den Sand. Er und eine Begleiterin hocken da und entfernen Entenmuscheln vom Rumpf des Bootes.
  Ich will aber einen Segler, der einsam fährt. Er weicht im Sommer den Taifunen aus, ankert in Westaustralien in einer Bucht, überholt dort sein Schiff. Er erneuert ein Ruderblatt und versetzt seine Badestiegen achtern. Wenn er in Bunbury vor Anker liegt, kauft er sich in Perth eine Windfahnensteuerung und fährt nach Kap Leeuwin, mit dem Boot, um zu schauen, ob er vom Leuchtturm aus einen der Minisegler sieht, die den Westwind der Südmeere eiskalt nutzen. So ein Weltumsegler sitzt in einer Nische beim Kajütenabgang und studiert die Seekarte auf dem Laptop. Er ist ein Held mit Rastalocken, halb von seiner Segelkappe verdeckt. An der Woge, die sein Schiff
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trägt, sehe ich den bewegten Seegang. Falls die Wellen höher werden und ihn eine vom Deck fegt, so bleibt er mit dem Boot durch eine Leine verbunden. Er zieht sich an Bord, während das Schiff mit dem Autopiloten weiterfährt. Wenn es seine Elektronik erwischt, so hat er in der Kajüte noch ein zweites Gerät, das lässt sich auch mit Echolot und GPS verbinden. Jemand wie er hält exakt die Richtung, er weiß auch immer ganz genau, ob er einen Bergkamm, eine Hochebene oder einen Talboden überschwebt. In dieser Stille hat er ein gutes Gefühl. Wenn der Wind bläst, die Wellen plätschern und die Segel nicht knattern, kann ihm eigentlich nichts passieren. Er erschrickt erst, wenn er das weiße Packeis in der Sonne sieht. Doch das geschieht nicht, der Bildschirm zeigt ihm immer an, wie weit er vom Schelfeis noch entfernt ist.
 Natürlich schlägt die Brise um und am Himmel ist ein Wolkenring zu sehen. Dann räumt der Skipper seine Kajüte auf, schließt seine beste Leine am Leibgurt an und fährt den Wogen entgegen, die immer höher werden. Der Himmel ist auf einmal gelblich und die Wellen sind schiefergrau, bis auf das schäumende Wasser, das bleibt weiß. Was empfindet er, wenn sich die Sturzsee ankündigt? Keine Ahnung. Er hebt sich einer Riesenwoge entgegen, sein Gesichtskreis wird eng, dann weitet er sich etwas, das
schäumende Wasser ist unter ihm, und es kommt schon die nächste Welle. Auf seinem Schiffchen hat er dicht gemacht, keine Vertiefung kann sich mit Wasser füllen, aber der Mast kann brechen und das Boot kann kentern. Und das geschieht. Dann treibt das Boot kieloben und er liegt angeschnallt auf dem schliddrigen Längsbalken und die See übergießt ihn mit Salzwasser. Ein Sturm kann dauern. Der Skipper hat aber einen Peilsender in seiner Schwimmweste, und ein Frachter fängt das Notsignal auf und leitet es zum nächsten Schiffslandeplatz weiter. Aus einem Hafen der Südmeere fährt ein Polizeiboot heraus, mit einem Schlauchboot hintennach.
 Pauls Skipper geht seinen Törn ruhig an. Er gerät nicht unter Ringwolken in einen Hexenkessel und fährt nicht in eine windstille Zone hinein, sondern er wird sich Zeit lassen und keinen Fehler machen. Doch er fährt westwärts, er segelt im Wind, er nähert sich in Zickzackkursen.Wenn er den Ozean überquert hat und in Westmadagaskar endlich landet, schaltet er eine Weile völlig ab. Er schläft viel und liest ein Buch. Er kommt aus Dunedin, wo der Hafenbetrieb, der Straßenverkehr und die Büroarbeit keine Hektik kennen, wegen einer Universität. Als Sachbuchautor und Verleger arbeitet er selbst für diese Uni von Otago. Was für ein Mensch kann er sein?
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 Jemand der ein Leihauto mit Goldkörnern bezahlen will, gibt vielleicht als Trinkgeld Kaurischnecken. Er wird nicht stark genug sein, um nach durchzechter Nacht einem neuen Freund einen Wunsch abzuschlagen. Er ist verschmitzt, sagt Paul, nicht übermütig. Gutmütig ist er auch. Er hat das Aufziehen der Piratenfahne auf seiner Yacht erlaubt. Paul wird ihn hoffentlich nicht als Seeräuber mit großen Ohrringen und einem rotem Halstuch über dem schwarzen T-Shirt präsentieren. Ich nehme an, der Skipper wird auf Klischees verzichten und sagen, dass Piraten ihre Häuptlinge gewählt und bei Misserfolg abgesetzt haben. Vergesst nicht die Story vom blutrünstigen Soundso, den seine Mannschaft in Mauritius aussetzte und der per Floß nach Madagaskar kam.
 Ich denke, dass der Skipper eine Fahrt mit flatterndem Vorsegel und mit Ziel im
Wind nicht mehr machen will. Er ist unser Jahrgang. Peter, Paul und ich sind für Abenteuer schon zu alt, wir können nicht mehr gegen den Wind spucken. Der Skipper, der sich immer vom Südpol angezogen fühlte, sich vielleicht früher immer der Eisplatte näherte, von der die Berge abbrechen, denkt vielleicht an Rettungen, die misslangen. Ein Segler in der Bass-Straße, der keinen Mast mehr hatte, wurde aus der Luft von einem Hubschrauber versorgt. Man ließ ein Satellitentelefon zu ihm herab.
 Er schien gerettet. Aber der Sturm kehrte zurück, die See holte sich den Mann und das leere Boot wurde in Australien angeschwemmt … Paul nennt mich einen »Romantiker mit einer Weltkarte«, das ist nicht falsch. Die Romantik brauche ich, um Fantasie ins Leben zu bringen, und die Geografie, um die wirkliche Welt zu finden.
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Fünf der Fotos,die dem Buch zugrunde liegen,
die aber im Buch nicht abgebildet sind, sehen Sie hier:


Der Skipper segelt küstennah



Der Skipper blickt durch seinen Sextanten



Der Skipper und eine Begleiterin säubern den Schiffsrumpf



Die Kinder kehren von einer Kinderparty ans Ufer zurück



Der Skipper ist einem Dhau-Schiffer behilflich


Die obige Fotoserie stammt aus dem fabelhaften Buch
von Clark Stede, "Abenteuer in allen Kontinenten".

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