DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Goldgräber und ihr Trash

In den Jahren nach der Deutschen Einigung, 1990, 91, 92, haben die finanzstarken, deutschen Verlage die Verbreitung intelligenter Produkte nicht einmal versucht. Sie überschwemmten Deutschland Ost mit unsäglichen, reichweitenstarke Zeitungen. Beispiel: SUPER illu und SUPER TV. Der ungebildete Leser wurde in seiner Gedankenlosigkeit und groben Instinkthaftigkeit gnadenlos fixiert. Die Kommerzleute entdeckten das Thema Sex für die Ossis, in der Art des deutschen Softpornofilmes. „Vibratorgeile Hausfrauen“ sprachen über ihr Liebesleben, eine Frau aus Leipzig bekannte ihre Abhängigkeit von einem Gummisexpuppenmann. Dieser Schein allgemeiner Schlüpfrigkeit wurde durch Journalismus erzeugt. Etwa das gleiche Produkt setzte RTL durch seine Sendung „Tutti Frutti“ durch. Die deutsche Kritik wollte dieses Schmuddelfernsehen anfangs abwehren, fand aber nur ästhetische Argumente und knickte am Ende vor dem Erfolg der Sendung ein. Die Ablehnung von 1990 wendete sich sogar in eine klüglerische Akzeptanz. Man fand, dass die Nacktheit schöner Körper nun auch im deutschen Fernsehen voll angekommen sei und gut inszeniert werde.

Die Neue Schlüpfrigkeit setzte den Kinofilm unter Druck, zumal dieser ohne Sex und Gewalt ohnehin nicht als „verkaufbar“ galt. Reinhard Pyrker führte bei den Welser Film Tagen 1990 einen typischen Film von Damals auf. Er hieß: „Pink Palace, Paradise Beach“, Regie: Milan Dor, und war typisch für seinen Anspruch und seine Konzessionen an den schlimmen Geschmack. Und für seine staatliche Förderung. Er verband Philosophie mit Sex und Crime, war aber hohl durch seinen Mangel an Intelligenz. Er verriet nur, dass die Gestalter ein paar Filme mit Vorbildwirkung gesehen hatten. Rüdiger Vogler sagt in einer Szene: Ich möchte, dass du mein Zumpfi in den Mund nimmst. – Das war ein Satz aus einem durchschnittlichen „Eis am Stil“ – Film, in dem solche Worte nicht weiters auffallen. Reinhard Schwabenitzky hatte 1988 einen solchen Film gedreht. Der besagte Schwulst Trash von Dor stand in einer Spannung zum – erfolgreichen – Kiddy Trash und machte das Fehlen des wertvollen Filmes sehr bewusst.

Nach dem wertvollen Film suchte Pyrker, als er in Wels die neuesten, österreichischen Filme aufführte. Aber das Übermaß an scharfer und sachlicher Diskussion (etwas Seltenes in Österreich), und natürlich Pyrkers Entscheidungen, was im Hauptprogramm und was im Nebenprogramm lief, haben die Veranstaltungen in Wels unliebsam gemacht. Ein Teil der Filmemacher schickte 1990 seine Filme nicht mehr zum Festival und der Unterrichtsminister Rudolf Scholten erfand schnell die teurere „Diagonale“, die die Welser Film Tage letztlich „umbrachte“. Außer seinem Intellekt und seinem Geschmack hat Reinhard Pyrker auch seine Ferne zu sämtlichen Parteien geschadet. 1992 verlängerte die Stadträtin Ursula Pasterk seinen Vertrag als Co-Chef der „Viennale“ nicht.

Die Subvention von Kunst und Kultur erreicht in Österreich viele Menschen. Darum kann man hier von „Zwei Welten“ sprechen: Im staatlich geförderten Bereich wird – vor dem Hintergrund von Tradition - an Form und Inhalt gearbeitet, wohingegen im Kommerz-Bereich so etwas Mühseliges nicht versucht wird und stattdessen neue Formate erfunden werden. In der Schaffung neuer Gattungen liegt die „Kreativität“ der Kommerzleute. Dafür erforschen sie sogar das Publikum, am liebsten unterhalb der Gürtellinie (zum Beispiel Reality TV). Die AZ, die ehemalige „Arbeiter Zeitung“, scheiterte 1991 nicht zuletzt an diesem Dualismus, der ihr zwischen dem kommerziellen Trash und der staatlich geförderten Qualität keinen dritten Bereich zugestand. Der Bundeskanzler Vranitzky gab kein Parteigeld mehr und er übte auch keinen Druck auf Inserenten aus, und die AZ scheiterte an der Schrumpfung ihrer Leser. Sie hatte zuletzt gute Inhalte in guter Form geboten.

Die Stimmung nach der Marktwerdung des europäischen Ostens wurde weniger durch politische Hoffnungen geprägt, als durch die Gier nach schnellem Gold. Eine Goldgräberstimmung, auch in Kultur und Kunst. Für die Darstellung von Gewalt, Sex und Erotik fielen Schranken. Dennoch bauten die Zeitgeist – Magazine ab, als würde der Geist in ihnen gering geschätzt (in Österreich konnten sich „Basta“ und „WIENER“ nicht mehr lange halten), und der Kiddy Trash breitete sich aus. ZB. der von Wolfgang und Helmuth Fellner schon in den 1970 er Jahren geschaffene “Rennbahn – Express“ hatte sich von „Töte Goethe“ und „Was will er der Schiller?“ emanzipiert und präsentierte jetzt fröhliche Wissenschaft, angewandt auf Jugend-Bands. Man reflektierte auf Forschung aus den USA, der zufolge die „New Kids“ schon mit Säbelzahntigern gekämpft hatten. Ein ähnliches Thema war die Auferstehung von Jim Morrison. Als seriösen Beitrag brachte der Rennbahn – Express seine Parteinahme gegen eine Schulbehörde. Diese hatte eine Schülerzeitung verboten, weil diese in jedes Exemplar ein, von der AIDS – Hilfe erbetteltes Kondom eingeheftet hatte.

Kiddy – Trash aus US Fernsehen
Kiddy – Trash aus US Fernsehen.

Den albernen und den zynischen Spaß findet man auch im Kabarett. Ein Spruch wie „Ich beiße Ihre Hand, Madame, und denk, es wär Ihr Hund“ (der vom frühen Harald Schmidt stammen könnte), sagt zwar nichts über die Welt, aber etwas über die Form der Sprache. Darum ist er wertvoll. Der verächtliche Spaß aber, der auf Kosten eines abwesenden Dritten geht, ist ein echtes Problem. Anita Prammer hat ihn anlässlich einer Theateraufführung im „Odeon“ thematisiert, als den Spaß am Stammtisch, wo der plebejische - nicht der intellektuelle - Spötter verbal draufhaut. Dieser Spott, meinte sie, ist nur der erste Schritt gegen das abwesende Opfer. Richtet er keinen Schaden an, so ist der nächste Schritt der Hass. Sie dachte dabei an Jörg Haider, der 1989 Landeshauptmann wurde und sein Amt 1991 verlor.

Trash Ja und Nein. Wenn jemand in seiner Freizeit Abendrot – Bilder malt oder O Mensch – Gedichte schreibt oder am Heurigentisch ein Musikinstrument betätigt, so bedeutet dieser Trash eine gute Ausfüllung für ihn und eine Brücke zum andern. Wenn aber ein Zeitungsbesitzer oder ein Fernseheigentümer seichte, schlüpfrige und mit Schadenfreude und Verachtung arbeitende Formate erfindet und mit großer Reichweite verbreitet, so richtet er damit einen mentalen Schaden an, der medizinisch noch gar nicht untersucht ist. Eine Beeinflussung ist zwar keine „Zerstörung“, doch kommerzieller Trash, andauernd konsumiert, beeinflusst zum Schlechteren hin. Die Kognition, die Imagination, die Emotionen und die sozialen Empfindungen des Einzelmenschen werden verändert. Er kann dem Dauerbeschuss durch emotionale Bilder und durch eine derbe, kräftige Sprache nicht genügend Eigenes entgegen stellen.

Die großen Medien nach 1989 hofften auf größeren Profit. 1990 versuchten sie, die Sängerin Simone zu pushen, die mit ihrem Kitsch-Lied „Keine Mauern mehr“ beim Euro – Song – Contest nicht reüssierte. Der österreichische Boulevard dichtete ihr einen erotischen Schein an, der aber im Ausland gar nicht ankam. In dieser Situation griffen große Medien zur patriotischen Empörung, die auch bei Skifahrern und bei Fußballern ein beliebtes Gleitmittel ist, für größeren Verkauf. „Ganz Europa“, so die Schlagzeile, „ereifert sich über Nacktphotos unserer Song Contest – Vertreterin Simone.“ Die mangelnde Nachfrage nach dem Schwulst Trash einer Künstlerin führte so zu einer Veränderung ihrer Performance und schließlich zur Konstruktion einer nationalen Demütigung. Große Medien arbeiteten daran. Im Fall von Simone kam das Geschäft nie ins Brummen, obwohl die Sängerin nicht schlechter sang als Helene Fischer und auch nicht weniger hübsch war als diese.

Nach der Wende wollte man in Wien auch den realen Konsum von käuflichem Sex vermehren. Durch das Wegfallen des Eisernen Vorhangs ließen sich Bordellbesitzer in Wien und Niederösterreich die osteuropäischen Mädchen direkt vom Menschenhändler liefern. Ein scheußliches Geschäft wurde beinah legal durchgeführt, wenn die als Touristinnen getarnten Frauen für nur drei Monate ins österreichische Sexgeschäft hineingezwungen wurden. In Niederösterreich gab es angeblich nur 24 Sexlokale, doch die Zahl der nicht angemeldeten lag viel höher. Völlig neue Banden brachen in das Rotlicht – Milieu des Wiener Gürtels ein, wobei nicht nur Frauen als Prostituierte, auch Rauschgifte gebracht wurden und man den Besitzern kleiner, schmuddeliger Bars sofort Schutzgeld abpresste. Deine Tante, meine Tante (das alte Stoßspiel) war den Balkan – Gangstern naturgemäß nicht wichtig. Die alten Chefs der Wiener Unterwelt wichen vor den Jungen zurück, sie kämpften nicht gegen sie, sondern gaben höchstens der Polizei diskrete Hinweise. Dieser blutige Kommerz wurde nur durch teuren Polizeieinsatz eingeschränkt. Bürgermeister Zilk und Polizeidirektor Bögl beschlossen Großrazzien in Serienfolge, dadurch verhinderten sie eine Vermehrung der Delikte und eine Vermehrung des Umsatzes, indem sie lediglich das Geschäft störten.

1990 wurde Jack Unterweger entlassen und die Promis, die für seine Entlassung getrommelt hatten, hofierten ihm nur kurze Zeit. Danach machte er die Erfahrung, dass sich der Schwulst Trash seiner Texte in dem Maße schlecht verkaufte, in dem er als normaler Autor auftrat. Also spielte er weiter den Mann aus dem Fegefeuer und aus dem Kerker, bis zum Schluss. Margit Haas (aus dem Hause der Backpulver – Erzeuger) war vielleicht die Einzige seiner Freundinnen, die die Verbitterung dieses Ausnahmemörders sah. Sie war damals eine Reporterin des „Basta“ und sah, dass er sich sein Leben in Freiheit anders vorgestellt hatte. Relativ paradiesisch. Er beging dann noch alle oder einige der Morde, für die er dann angeklagt wurde, und wurde dabei kaum behindert. Der ORF gab ihm extra einen Reporter – Ausweis, damit er im Rotlicht – Milieu von Los Angeles leichter recherchieren konnte.

Im Unterschied zu Trash und Kiddy Trash stellt der Schwulst Trash Ansprüche. Aber auch er will das große Publikum. Hätte „Pink Palace, Paradiese Beach“ einen vorhandenen Haute Gout erfüllt, so hätte er trotz seiner Mängel als Kultfilm reüssieren können. Dem TV Film „Landläufiger Tod“ (1992, zwei Teile, Regie: Michael Schottenberg) ist dieses fragwürdige Glück widerfahren, er traf trotz seiner leeren Form den Hochgeschmack von Kritikern und wurde „Kult“. Viel Publikum fand er nicht. Im Vergleich dazu „Frankie und Johnny“, ein US Kinofilm von 1991, (Regie: Garry Marshall). Dieser Film goss einen klischierten Inhalt ohne höheren Anspruch in eine geistvolle und lebendige Form und herauskam ein Kassenschlager. Und ein wertvoller Film.

Zu RTL trat RTL plus und auch dieser Sender überschwemmte die 14 bis 49 jährigen erbarmungslos mit Trash. Beide Sender beachten die schlimme Definition von „Erfolg“. Erfolg ist erst gegeben, wenn die Werbeeinnahmen den Minutenpreis der Sendung um das Doppelte übersteigen. Nicht mehr nötig sind gute Kritiken und das ausdrückliche Ja des Publikums, allein die Quoten und der Werbe-Anteil (Messdaten) bestimmen, welches Programm gemacht wird. Der uneingeschränkte Fernseh - Trash führt zur Einschränkung der kreativen Intelligenz. (Denn Kommerz ist unduldsam, er verlangt die Befolgung von bewährten Schemata, alle Wildwestfilme sollen von der gleichen Rache handeln, und er verlangt vom Neuen, dass es ausschließlich gestaltet wird. Er behindert die Durchmischung von Neu und Alt.)

In diesen Jahren, als der Trash besonders dicht verbreitet wurde, entwickelte Harald Schmidt seine Kunst. Er entwickelte den worthaften Spaß, mit dem geistigen Gehalt, über den man nachdenken kann, wenn man sich die Zeit dafür nimmt. Schmidt hat sein Publikum mit Geist beschossen (im besten Fall), und seine Anhänger kamen mit dem Mitschreiben nicht nach. Sie flanieren durch die Genres, bemerkte „Profil“, was würden Sie am liebsten machen? - Und Schmidt sagte: Matinee bei Festspielen. Da komme ich um Elf, sage: Kultur ist ganz, ganz wichtig, und dann gehe ich essen. - Diese Beteuerung gibt es auch. Sie kostet noch weniger als der Schmidt´ sche Spaß, der der scheinbar einzige Widerstand ist, der im TV gegen Kunst- und Kultur Trash überhaupt möglich ist.

© M.Luksan, September 2017

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