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Werbung, die überwältigt
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Ein gigantisch großes Handy-Plakat hängt vom Dach eines Gebäudes
herunter und verdeckt die Fassade. Sofort denkt man daran, dass
hier jemand für eine Werbefläche Geld bezahlt hat. Doch man würde
gegen diese aufdringliche Werbung nicht protestieren. Es ist offenbar
ein Vorrecht des Kommerzes, die natürliche – und erst recht die
kunstvoll gewachsene – Umwelt des Menschen durch Werbemittel
zu verstellen. Der Einzelne hat offenbar kein Recht (oder muss sich
dieses erst erkämpfen), seine Welt frei von Produktanpreisungen und Geschäftsanbahnungen zu erleben.
Die fürchterliche Anmassung der Werbung liegt aber in einem
allgemeinen, quasi religiösen Anspruch. Sie breitet den Konsum überall,
ohne Freiräume, aus und behauptet ihn als den zentralen Sinn der
Gesellschaft. Vor allem dort wo die Werbung aggressiv mit einem
Wir-Gefühl arbeitet, kann man den schändlichen Versuch dieser
Totalisierung mit den Händen greifen. Wer die Dinge nicht kauft,
für die wir trommeln, wird zwar nicht verfolgt, doch er gehört nicht zu
uns, er ist ein Mensch zweiter Klasse. Darum kaufe Mensch oder
verrecke!
Selbst in ihrer sanftesten Form bedient sich die Werbung einer
wirksamen Manipulation. Sie stellt das Produkt in einen produktfremden
Konnex hinein (Konnex meist des idealen Käufers , aber auch
der reinen Assoziation). Der Zigaretten – Mann ordnet sein Lasso,
die Pinup – Frau räkelt sich auf der Kühlerhaube, die Coca Cola – Trinker
fahren im offenen Auto. Diese Methode, einen neuen, zum Wesen
des Produkts gar nicht gehörenden Zusammenhang zu öffnen,
wird auch für wichtige Produkte, Dinge, die man wirklich braucht,
angewandt.
Werbung - der unsinnige Konnex.
Man stelle sich vor, Michelangelo hätte seinen David als einen
Jüngling gestaltet, der träumerisch eine Sanduhr anschaut
oder der sich sexuell einem Fürsten hingibt. Man hätte den
Bildhauer für diese Neudeutung bestraft. Michelangelo wählte
selbstverständlich einen David – Konnex. Er zeigt den Jüngling als
einen lässigen Kämpfer, der die Schleuder schon über der Schulter hat,
während er den Goliath von ferne mustert…. Das war einmal. Heute wird
ein Trend gesteigert, den man die „Aushöhlung der Kunst durch Werbung“
nennen könnte. Diese Wirkung entsteht, wenn die nach Wahrheit
strebende Kunst den unsinnigen Konnex öffnet. So stellt zB. Damien Hirst
seinen „Dämon mit Schale“ im Innenhof eines venezianischen Palastes
auf. Der Körper des Riesen ist kunstvoll mit Korallen und Muscheln
bedeckt, doch sein Waschrumpelbauch und seine Bodybuilder-Arme sind Endprodukte der Fabrik. Die schwarze Statue, achtzehn Meter hoch, hebt
sich effektvoll gegen das rote Barockgemäuer ab, doch wieso ist der vom
Wasser halb zersetzte Riese nicht auf dem Meeresgrund geblieben?
Wieso reckt er sich hier gegen das Glasdach des Atriums? Oder anders:
Warum sollte heutzutage ein Ding aus einer alten Wunderkammer eine
Bedeutung haben? Die Antwort darauf wäre die Wahrheit dieses Werkes
gewesen. Sie wäre der echte Einfall gewesen. Und sie wäre das Produkt
gewesen, auf das die Werbeform hingewiesen hätte. Doch das Produkt
wurde nicht geschaffen.
Jener Teil der Kunst, bei dem das Werk aus sich heraustreten, keine
Identität haben und vom Betrachter vollendet werden will, ist dem
Wesen der Werbung naturgemäß verwandt. Es gibt aber auch
Kunst, die den Sachverhalt zu Ende denkt, werbend wirkt und trotzdem
Kunst bleibt. ZB. die zwei weißen Hände aus dem Canale Grande,
die scheinbar ein Gebäude stützen, sind geglückt. Lorenzo Quinn
(Sohn des Anthony Quinn) hat die Hände eines seiner Kinder vermessen,
und sie dann, vielfach vergrößert, im Kanal installiert. Sie greifen auf das
als Hotel geführte Gebäude hinauf und sind ein guter Blickfang nicht nur
für Touristen. Wahrscheinlich war hier das Wesen einer Installation,
dass sich das Werk auf Umwelt beziehen muss, bei der Klärung des
Sinngehaltes behilflich. Das Werk „Support“ von Lorenzo Quinn kämpft
gegen den steigenden Wasserspiegel in Venedig durch zwei große und
hilflos wirkende Kinderhände an.
Nicht nur im öffentlichen Raum, auch in fast allen Massenmedien wird
man von Werbung arg belästigt. In einem Teil der großen Zeitungen
und Sender werden nicht nur die Inserate vom Auftraggeber bestimmt,
sondern sogar die Programme, die von Werbung angehalten werden
oder an deren Rändern Werbung gelesen wird. Das ist ein Dunkelbereich,
der kaum bekannt ist und über den der Redakteur, der Herausgeber
oder der Chef des Senders auch nicht freiwillig spricht, weil er ja die
Medienautonomie per se verkörpert. Doch es ist sonnenklar, dass die
vor allem von Inseraten lebenden Medien auf die Macht und die Wirkung
eines Zensors früher oder später stoßen müssen. Denn auf seinem
Weg der ständig vergrößerten Effizienz kalkuliert der Werbekunde auch
die Bereiche der Nichtwerbung in sein Spiel mit ein. Und da stellt er sich
die Frage, ob die werbefreien Inhalte seine Inserate begünstigen, ihnen
gleichgültig sind oder sie in Frage stellen.
Vermutlich wurden schon die amerikanischen Serien – Idylle aus der
Frühzeit des Fernsehens von Werbekunden inhaltlich beeinflusst.
Man muss vielleicht den Einfluss der Werbewirtschaft auf das Planen
und Gestalten der Sendungsmacher höher veranschlagen, als man
das gemeinhin tut. Der beschworene Zuschauer als König hat
vielleicht nie richtig existiert und ist nur eine Selbstwerbung der
Entertainer. Was man weiß, ist, dass die Zielgruppenforschung im Unterhaltungsbereich (zB. Testpersonen beim Film, Befragungen bei
der Zeitung) sich niemals für den realen Zustand der Gesellschaft
interessiert. Sie fragt nur die Wünsche, Hoffnungen und Meinungen
zur Gesellschaft ab, soweit diese mehrheitsfähig sind. Solche Serien
zielen den tatsächlichen Zustand der Nation nicht an.
Aber darf der Zuschauer wenigstens seinen eigenen Traum träumen? Die
Serie „Father knows best“, Beginn 1954, die Serie „Leave it to Beaver“,
Beginn 1957, und die Serie „Andy Griffith Show“, Beginn 1960, legen das
nicht nahe. Die Serie „The Waltons“, 1972 bis 1981, verlegte die starr
behauptete, gesunde Normalität in eine arge Zeit. Die Handlung
spielt in den depressiven 1930 er Jahren und alle Gefahren für die
Sägewerksfamilie im amerikanischen Hinterwald kommen von außen, die
Familie selbst ist heil. Diese Botschaft wirkte wie ein Fremdkörper in den
1970 er Jahren und beachtete nichts von dem, was die meisten Amerikaner
damals wünschten und hofften. Der Name „Walton“ korrespondiert mit
Sam Walton, dem sehr sparsamen und sehr reichen Gründer von Walmart.
Und die Rechte für den Gebrauch dieser Serie erwarb Pat Robertson, ein Evangelikaler.
Der Werbung haftet Falschheit an. Sogar Sponsoring, wo der Konzern
nur lesen will, dass er es war, der das Konzert finanziert hat, kann
einem sauer aufstoßen. Sobald der Konzern einen schlechten
Ruf hat. Man fühlt sich überlistet, um die eigene Freiwilligkeit gebracht…
Der Hölzerne Penis auf dem Ötscher – Gipfel ist übrigens keine Werbung.
Aber er erfüllt eine Bedingung von Werbung, dass nämlich die Herstellung
von etwas nie genug sein darf. Wenn etwa auf einem Stammtisch ein
Witz gefunden wurde, kann man diesen nicht dort belassen, sondern
muss ihn unbedingt in eine Öffentlichkeit bringen.
© M.Luksan, November 2017
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