Sie als Autor fuhren mit dem Billigbus nach Graz. Da sahen sie die jungen
Flixbus – Reisenden, die unverwandt auf ihre Smart Phones schauten. Nur
ihre Finger bewegten sich, leicht und flink. Sie selber reichten dem
Busfahrer ein ausgedrucktes Stück Papier mit einem digitalen Prüfzeichen.
So viel Arbeit hatten sich die Jungen nicht gemacht. Sie alle zeigten nur den
Bildschirm des kleinen Gerätes und deckten ihn halb ab, damit der Busfahrer
die Auftragsnummer im Sonnenlicht besser lesen konnte.
Diese Jungen sind cool und effizient und sie sind sanft und gleichgültig.
Falls sich einer von ihnen im Bus auf einen reservierten Platz setzte und
der rechtmäßige Platzinhaber kam und wies ihn weg, so wechselte der Junge
leichthin und wortlos den Platz. Sie als Mitglied der alten Generation wären
in einem solchen Fall ruckartig still gestanden. Alles mit der Ruhe!, hätten
Sie gesagt, Zeigen Sie mal Ihre Nummer? … So ein Theater werden
Sie von den Jungen nicht erleben. Allerdings nehmen diese jungen
Leute ihre Umwelt nicht so wachsam wie Sie , sondern nur am Rande
wahr. Es fehlt ihnen die vom Trendschwätzer angesagte „Achtsamkeit“
sehr weitgehend. Durch ihr teilnahmsloses Reagieren vermeiden sie kleine
Konflikte, doch werden sie vom großen Unvorhergesehenen voll getroffen.
Nehmen wir die Räuberei, die Ihr Freund Edwin erlitten hat. Edwin fuhr
nach einem einwöchigen Spitalsaufenthalt mit der Wiener U 4 nach Haus.
Der ältliche und abgezehrte Mann, der teure Mantel schlotterte um seinen
Körper, wurde von einem stämmigen Balkanmann um zwei Euro angebettelt.
Seufzend sucht er in der Sakkotasche nach Münzen, während er sich irgendwo festhält, den Griff eines Gehstockes in der Armbeuge. Plötzlich gibt ihm
der Bettler einen heftigen Stoß und arretiert Edwin an der Tür des leeren
Waggons. Er sucht selbst nach Geld in Edwins Kleidung. Der Zug fährt
in die Station Schönbrunn ein, Edwin stößt den Bettler zurück und
taumelt auf den Perron. Er hebt seinen Stock auf, zeigt auf die offene
Tür und schreit: Nicht einsteigen! Ein Räuber ! - Raubt Sie aus! -
Die Leute schauen ihn an und beginnen Gespräche untereinander. Als
sich die Türen wieder schließen und der Zug wegfährt, ist tatsächlich
niemand eingestiegen. Aber auch niemand hat den Räuber gestellt.
Foto: U4, nahe Wien – Hietzing.
Wer würde sich mehr wehren als Edwin? Sie vielleicht. Die jungen
Digi – Leute aber würden perplex sein und – vielleicht – die Außenwelt
künftig weniger nachlässig erledigen. Es gibt freilich eine Minderheit
unter den Jungen, erkennbar an ihren schnellen Bewegungen
und schnellen Repliken, die tendenziell unhöflich und aggressiv ist.
Wir wissen nicht, wie diese Jungen auf einen psychisch dominanten Bettler
mit sanfter Raubmethode (durchgestreckter Arm!) reagieren würden.
Aus dieser Minderheit rekrutiert sich der junge Autofahrer, der absichtlich
einen Auffahrunfall verursacht, weil ihm der, vor ihm Fahrende zu langsam
fährt. Auch der Kaufmännische Lehrling, der seinen besten Freund mit
vorgehaltener Pistole zwingt, den weiblichen Partygast zu vergewaltigen,
gehört zu dieser gefährdeten Gruppe. Und die Escort - Dirne, die ihren
Kunden zweimal in den Kopf schießt, weil er die - vereinbarte – sexuelle
Handlung nicht zügig durchführt, zählt ebenfalls zum Kreis der
enthemmten Narzissten, die mitten in der hochzivilisierten Gesellschaft
die Gewaltsamkeit grausig explodieren lassen.
Sie als Autor sollten aber nicht nur „Eigenverantwortung, Mut und Sicherheit“
(Innenministerium), sondern auch „Bindung und Dankbarkeit“ (Familien-
ministerium) behandeln. Als Student wohnten Sie gemeinsam mit einem
sehr dicken Freund, der Ihnen zwei Zimmer dieser Wohnung vermietete.
Als Sie auszogen, waren Sie ihm fünf Monatsmieten schuldig. Davon
zahlten Sie nur ein Monat, weil Sie knapp bei Kasse waren und dennoch
ein Zeichen setzen wollten. Der Freund namens Karl – Viktor steckte
den Geldschein in eine Hosentasche und wischte sich mit dem
Hemdärmel über die Stirn, als Sie ihm erklärten, wie Sie Ihre Restschuld
bezahlen wollten. Dann sagte er: Du zahlst es, wenn Du kannst. Da
mache ich mir keine Sorgen. - Er hätte sich aber welche machen
sollen, denn Sie haben diese Schuld nie beglichen.
Als Sie Freund Edwin im Schönbrunner Stöckl trafen, um sich vom
Begräbnis des Karl - Viktor erzählen zu lassen, kam das Gespräch
auf die Größe des Sarges, der den Leichnam fasste. Der Freund
wog zuletzt nur noch 120 Kilo. Doch es hatte einmal eine Zeit
gegeben, in der Karl - Viktor von seinem Arzt in einen Supermarkt
geschickt worden war, weil die dortige Wage Gewichte über 150 Kilo
messen konnte. Die Erheiterung, die Sie und Edwin im Andenken
an Karl - Viktor verband, war einerseits natürlich und andererseits
paradox durch ihren Mangel an Respekt.
Sie als Autor sollten diese Wehrlosigkeit, diese Reizbarkeit und
diese Unangemessenheit der Gefühle öfters in den Blick nehmen
und davon erzählen. Gerade Sie könnten das Absurde behandeln, wo
immer es sich zeigt. Sie müssten politisch oder atmosphärisch
gar keine Rücksicht nehmen, nur die offene Absicht zeigen,
den Grundrespekt beachten und etwas Vorsicht angesichts des
„Marktes“ der Werke an den Tag legen.
In Graz lasen Sie aus Ihrem Buch und mitten im Satz wurde Ihnen das
Mikro abgedreht. Sie standen auf und küssten die Verlegerin auf die
Wange. Dabei sahen Sie den fußfrei sitzenden Jüngling im Saal, der
schadenfroh gelacht hatte, als Sie den verstärkenden Hall Ihrer Stimme
plötzlich nicht mehr gehört hatten. Wahrscheinlich hatten Sie verdutzt
geschaut. Doch mit dieser Schadenfreude müssen Sie in einer Welt
der verordneten Performance, in der das eingeübte Auftreten eines jeden
Einzelnen kaum noch erträglich ist, überall rechnen … In Ihrem
Hotel hingen eine Menge Kreuze. Als Sie durch einen Gang an
einem laufenden Computerbildschirm vorbeigingen, sahen Sie auf
dem Schirm eine Frau, die einen dicken Penis im Mund hatte, die
Augen geschlossen, mit der anderen Hand hatte sie den Hoden
gepackt. Die Hotelbesitzerin kam Ihnen sehr elegant entgegen,
sie hatte ein christliches Kreuz um den Hals und rief: Sind Sie
zufrieden mit Ihrem Zimmer´? - Das wäre dann ein weiteres Thema,
das man die „Unvereinbarkeit der Welten“ nennen könnte.
© M.Luksan, Dezember 2017
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