DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Siegerkunst – Eine Analyse

Ein etwas frivoler Milliardär hat Lust, in das Kunstverständnis der Vielen einzugreifen. Er kauft ein mit Goldfarbe bemaltes Fundstück aus einer Deponie und bezahlt dafür das Hundertfache des üblichen Preises. Das macht er nicht geheim, sondern öffentlich in einem Auktionshaus (das an diesem Tag vielleicht keinen einzigen Kunstkritiker einlädt) und beunruhigt dadurch – längerfristig – die Urteile und Preise am Kunstmarkt. Der glückliche Künstler erzählt den Medien, dass ihm der Kunstmarkt eigentlich egal ist und er für Typen wie den besagten Milliardär eine Art Auftragskunst durchführt. Der zynische Geldsack wiederum genießt seine Geldverschwendung als einen Zuwachs an Souveränität. Er fühlt sich dem Kunstexperten und dem normalen Betrachter turmhoch überlegen. Dieses – unlustige – Affentheater entschlüsselt das Buch „Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust“ von Wolfgang Ullrich. Das Buch ist unpolemisch und voller Argumente.

Ullrich vergleicht Siegerkunst vielsagend mit Museumskunst. Die Museen waren es bisher, die die Werke beurteilten und allen Aktionen, die Preise in die Höhe zu treiben, einen Riegel vorschoben. „Was im Museum ist“, schreibt Ullrich, „darf keine Ware mehr sein, weckt keine spekulativen Fantasien, hat keinen obszönen Charakter“ (a.a.O., Berlin 5. Auflage 2016, S. 10) Gegen diese Absicherung von Kunst stürmt jetzt die Siegerkunst an. Aber auch von staatlicher Seite droht Gefahr, wenn die fortgeschrittenen Länder künftig weniger Geld für ihre Kunstmuseen ausgeben, nur weil sie sehen, dass das allgemeine Interesse für Moderne Kunst im Keller bleibt.

Wolgang Urlrich
Foto: Wolfgang Ullrich

Als Kunsthistoriker erhellt Ullrich den Umgang mit Kunst auch im großen Zeitraum. „Dagegen werden Eigentümer manchmal auch rauchend oder trinkend neben ihren Werken gezeigt (…) viel häufiger jedoch werden sie frontal vor den Werken abgebildet; sie schirmen die Kunst gleichsam ab“ (a.a.O., S, 25) Der Renaissance – Fürst oder der Barock – Fürst präsentiert sich als Besitzer. Für ihn wurde die Kunst geschaffen und er allein besaß die Kunst. Ullrich erinnert daran, dass man den „Rezipienten“, der das Werk nur geistig in Besitz nimmt, erst im 19. Jahrhundert aufgewertet hat. Erst die bürgerliche Theorie von damals hat die Bedeutung des gebildeten Kunstbetrachters sehr erhöht. Sodass kein Mensch mehr danach fragte, wem der Rembrandt im Museum gehört, den alle Besucher vom persönlichen Anschauen her kannten.

Damit ist bei Siegerkunst nun Schluss. Jetzt werden Bilder aus den Museen geholt, auf den Markt gebracht und verkauft. Oder sie werden, unter Berücksichtigung der Vorlieben eines Käufers, erzeugt und, unter Vermeidung von Experten, beworben und verkauft. Dieser Trend läuft auf das Außerkraftsetzen der Kriterien hinaus und kann durch die materielle Gier der neuen Künstler nicht ausreichend 2 erklärt werden. Es geht hier auch und sogar primär um den neuen Käufertyp, der etwa ein manieristisches Fotowerk von Andreas Gursky groß auf der weißen Wand hängen hat. Er genießt aber nicht die offene oder die versteckte Aussage des teuren Werkes (diese ist ihm egal), sondern nur den Ich – verstärkenden Gedanken: Wer außer mir könnte und würde für ein Foto so viel Geld ausgeben? „Wer etwas aus seinem Besitz“, schreibt Ullrich, „als Luxus erfährt, kann sich frei und selbstbestimmt fühlen und noch einmal zu dem, was er selbst für vernünftig hält, erneut Stellung nehmen“ (a.a.O., S. 31)

Siegerkunst ist sehr teuer. „Das Ansteigen oder gar Explodieren der Preise ist gerade kein Ausdruck einer Zunahme des Glaubens an die Wirkkraft der Kunst.“ (a.a.O., S. 45) Wolfgang Ullrich legt zumindest nahe, dass Siegerkunst vielleicht eine Flucht aus der drohenden Belanglosigkeit von Kunst ist. Das nennt man „zu Ende denken“. Er beschreibt Künstler, die nicht länger Idealisten sind, und Käufer, die nicht länger Objekte deuten und vergleichen. Wahrscheinlich steht die Wertschätzung von Moderner Kunst, die ohnehin nicht leicht zu haben ist, durch Siegerkunst zusätzlich auf dem Spiel. Die neuen Künstler und Käufer sind wirklich im Begriff, einen bestimmten, nicht-rationalen Umgang mit Kunst, der zugleich ein altes Verhalten aus einer vordemokratischen Zeit ist, in der modernen Gesellschaft wieder einzuführen.

Wie schauen diese Werke aus? Die „Tulips“ von Jeff Koons sind ein riesiger Edelstahlguss, mit sieben Tulpen auf Stängeln, wobei jede Tulpe eine halbe Tonne wiegt und in punkto Form, Farbe und Oberfläche perfekt ausgeführt ist. Eine ähnliche Vollendung zeigen die Installationen von Doug Aitken, mit einem eleganten Design, und die raffiniert eingefärbten Malereien und Installationen von Anselm Reyle. Jeder der drei Künstler ist auf eine andere, scheinbar nur ihm gehörende Objektäußerung fixiert. Eine Art Innere Form schlummert in jedem seiner Objekte. Er erweist sich so als ein typisches Kind der Modernen Kunst, das das Noch – Nie – Dagewesene und die Handschrift schon im Kunstwollen beachtet.

In der Fabrik wird mit Maschinen produziert. Vom Künstler stammt das Konzept oder das Modell. Wenn Ullrich diese Art von Produktion beschreibt, fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass der Künstler kaum je selber am Material arbeitet, sondern primär ausführende und angestellte Mitarbeiter leitet, anregt, kontrolliert. Ist das Ding ganz fertig, beginnt die „Postproduktion“. Dann geht der Meister - oder die Meisterin - in die Öffentlichkeit und teilt ihr mit, dass wieder etwas Großes geschehen ist. „Besonders raffiniert geht Jeff Koons vor. Seine (…) Strategie besteht darin, mit einer Vielzahl von Interviews geeignete Stichwörter zu liefern, damit diejenigen, die über ihn schreiben, eine Grundlage für ihre Interpretationen haben (…) Nahezu niemand wagt es, unabhängig davon über ihn und seine Werke zu schreiben“ (a.a.O., S. 97)

Bei den neuen Käufern schreibt Wolfgang Ullrich von der späten Hinwendung zur Kunst, vom Halblaientum und von dem Umstand, dass sie meist keine Sammler sind. Diese Leute werden nicht von erbauender Kunst angezogen, sondern von der rätselhaften Glätte und Ironie der Koons ´ schen Objekte. Gegen Ende des Buches zitiert Ullrich ein Wort eines deutschen Museumsmannes aus alter Zeit (Hugo von Tschudi), dass große Kunst ein wenig mehr benötigt als nur die Genialität des Künstlers, „nämlich ein Umfeld und einen Resonanzraum auf demselben hohen Niveau“ (a.a.O., S. 125) Das werden die neuen Käufer den Künstlern nicht bieten können.

Wer in den letzten Jahren zB. In Wien die Viennafaire-Austellungen besuchte, gewann den Eindruck, dass sich die Moderne Kunst da und dort mit der Tradition verbindet. Das ist keine Sackgasse. Wie sollte Siegerkunst, die an einem solchen Ort nicht gezeigt wird, die selbstbeauftragte und in ihren Spitzenleistungen zur Deutung hin drängende Kunst ersetzen? Der bedeutungslose Spaß oder das bedeutungslose Schöne, das seine Faszination nur aus der technischen Perfektion und aus dem Umstand gewinnt, dass ein Luxuspreis dafür bezahlt wird, wird gegen jene Form von Kunst absinken, die bei aller Schönheit zeigt, was Geist ist und wie er in die Welt kommt. Reiche Leute wollen auf die Dauer nichts besitzen, worüber andere ihre Witze machen.

© M.Luksan, April 2018

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