Sebastian Kurz spricht scheinbar klare Sätze, die fast nichts
aussagen. Er(Emmanuel Macron, Anm. M.L.) hat eine Reformagenda
für Frankreich, die aus meiner Sicht sinnvoll ist. Ich halte es für absolut
richtig, dass er dem Widerstand trotzt und das durchzieht, was er für
richtig erachtet. Genau das werden wir tun. (Interview in „Österreich“,
13.05.18) Er sagt kein Wort über die Reform, lobt nur die Durchsetzungshärte
des Amtskollegen und kündigt an, den gleichen Stil in Österreich
anwenden zu wollen. „Genau das“ meint nur den Stil der Durchsetzung.
Wenn es dagegen Widerstand gibt (…) dann wird das nicht dazu
führen, dass wir das, was wir uns vorgenommen haben, doch
nicht umsetzen, sondern wir werden das trotzdem tun.
Die Geistlosigkeit dieser Worte springt als Schrift sofort ins Auge.
Es geht aber primär um Direktheit und Entschiedenheit im Redefluss
einer jungen Stimme. Der persönliche Eindruck eines Sprechers –
und eigentlich nur das – soll verstärkt werden. Was immer Kurz
plant oder macht, er nennt es meist ohne Begründung. Er beschreibt
seine Aktionen oft nur durch Adjektive genauer. Ich bin mit einem
klaren Programm und einer Vision für unser Land angetreten
und setze diese um. Wir haben das klare Ziel, einen Richtungswechsel
auch in der Politik durchzusetzen. Das verlangt viel Kraft. Da gibt es
Widerstand, Demonstrationen und Streiks. Seine Rede wirkt so, als
wären alle inhaltlichen Programmpunkte, aber auch die Vision und der
Richtungswechsel sonnenklar, weil schon besprochen und diskutiert,
und von der Öffentlichkeit abgehakt.
In Wahrheit sollen hier Maßnahmen schnell und unbeobachtet
durchgeführt werden. Warum werden die inneren Reformen Macrons
nicht genannt? Kurz könnte zwischen dem französischen und
dem österreichischen Sozialstaat unterscheiden und hinzufügen,
warum er Änderungen für Österreich wünscht. Er verzichtet aber auf
den Eindruck von Kompetenz, er will lieber die Illusion der breiten Stoßrichtung
vermitteln. Überall die gleichen Probleme. Macron mache ja nur das
Gleiche wie er. Dieser österreichische Kanzler will nicht über
Probleme sprechen. Er will nichts Falsches sagen über den
Umbau des öffentlichen Dienstes, der in Frankreich wichtiger ist als
bei uns, und nichts Falsches über die Liberalisierung des Strom-Marktes,
gegen die man in Frankreich Sturm läuft und die bei uns schon
geschehen ist. Die Politik soll nicht aus Problemen bestehen,
die an verschiedenen Orten verschieden entstanden sind,
sondern aus der sozialliberalen Ideologie wie von selbst hervortreten.
Der moderne Wähler will es so. Angeblich. ZB. Angela Merkel erklärt in der Öffentlichkeit niemals ein Problem, sondern stellt
nur die Reaktion ihres Gemütes auf ein Problem dar. Sie zeigt sich
betroffen, freudig gerührt, sorgenvoll, zuversichtlich („Also ich mache
mir da gar keine Sorgen“ usw.) Kurz geht den gleichen Weg. Er hat
jedoch als Werthaltung, die er verkörpert, nicht das freundliche
Gemüt, sondern die kühle Entschlossenheit gewählt. Diese für
das Publikum in Österreich praktizierte Haltung will er bei jedem
Statement deutlich machen. Er ähnelt dem Schauspieler auf der
Stegreifbühne, der bei all dem Beliebigen, das ihm zu sagen erlaubt
ist, auf den vorgegebenen Charakter nie vergisst. Das (Streiks u.a.,
Anm. M.L.) wird es auch bei uns geben. Ich werde aber alle meine
Kraft dafür verwenden, dass wir das, was wir als wichtig empfinden,
auch umsetzen. Egal, wieviel Widerstand es gibt.
S. Kurz ist konservativ, aber er steht der Technik nahe, dass ein
Spitzenpolitiker alle vierzehn Tage eine Umfrage machen lässt
und sich danach richtet. Das geht über die Talking points hinaus.
Er verändert in der Folge seine Gesprächsthemen und, wenn es
sein muss, auch seinen christlichen Charakter. Seine größte
Beständigkeit zeigte er bisher in seiner Präferenz für die FPÖ.
Dabei kamen ihm die schlampigen, politischen Verhältnisse in
Österreich sehr entgegen. Er musste nicht damit rechnen, dass ihm
der lockere Umgang mit Rechtsextremen beim Wähler schadet.
So würde ein CDU – Politiker in Deutschland davon Abstand nehmen,
durch das Wort „absolut“ folgenden Widerspruch zu verstärken:
Es ist absolut falsch, wenn mit antisemitischen Ressentiments
gearbeitet wird (…) Es muss aber gleichzeitig möglich sei,
in sachpolitischen Fragen eine andere Meinung zu vertreten
als George Soros.
Da die großen Medien instinktiv nach der neuen, unterhaltsamen
Sprache und nach dem neuen, frischen Typ suchen, wenn sie ihre
bescheidenen Fragen stellen, haben sie Kurz notwendig entdeckt.
Sie haben seine Popularität gesteigert, noch ehe ihn die Volkspartei
auf ihr Schild gehoben hat. Sie waren angetan von diesem
jünglingshaften Typ, der ohne Floskeln und Pausen sprechen kann,
und haben seine Pseudo-Souveränität ignoriert. Kein Journalist
hat ausführlich darüber geschrieben, dass die klarsten Forderungen
von Sebastian Kurz die der Rechtsextremen waren, nur in einer andern
Sprache formuliert. Verärgerte FPÖ – Politiker haben ihn zu Recht
als „Kopiermaschine“ bezeichnet. Seine sonstigen Forderungen
waren und sind in der Regel unklar. Jede Veränderung löst
Reibungen aus. Und es gibt viele Politiker, die Ängste vor Veränderung
schüren und versuchen, den Menschen einzureden, dass Spitäler
geschlossen würden oder der Sozialstaat in Gefahr wäre.
Ein geschickter Rhetoriker redet über seine Dinge, indem er
über die Reaktionen auf seine Dinge redet.
Manchmal wird Kurz – scheinbar - sachlich: Wir haben bereits in
den ersten hundert Tagen einen Kurswechsel vollzogen. Statt
Schuldenpolitik ein ausgeglichenes Budget, statt Steuererhöhungen
Steuersenkungen und statt dem Kontrollverlust des Staates eine
restriktive Zuwanderungspolitik. Diese Sätze sind nicht selbsterklärend.
In nur hundert Tagen kann man Alles umstellen? Was verbirgt sich
hinter den Schlagworten? Man glaubt vielleicht, dass man die Richtung
sieht, weiß aber nicht, ob man selber von den Steuersenkungen
profitieren wird. Kurz hätte auch sagen können „Wir reformieren
den Arbeitsmarkt“ und kein Zuhörer (außer dem, der an den
Maßnahmen gerade arbeitet) hätte sagen können, was da wirklich
geschieht. Wieviel feste Arbeitszeit bleibt? Welche Versicherungen
werden verändert? Was bleibt im Tarifvertrag und was wird
herausgenommen? Über solche Kleinigkeiten wird Kurz nicht
sprechen.
Und der Politiker argumentiert nicht. Er vermeidet die „Weil“- und
„Denn“ - Sätze, listet auf und wiederholt. Wir haben die Partei zu einer
Bewegung geöffnet. Wir haben 250 000 Menschen gewonnen, die sich
neu bei uns einbringen und engagieren. Wir haben inhaltlich eine
christlich-soziale und liberale Kraft der Mitte geschaffen, die
Veränderung in diesem Land möglich macht. Dadurch wird nur
gesagt, was bisher getan wurde, damit Kurz die größte Wählergruppe
gewann („geöffnet – gewonnen – geschaffen“). Man erfährt nichts von
den Sachen, die er gerade tut. Also müssten jetzt die Programmpunkte
kommen. Aber sie kommen nicht. Sie sind das, was der Rhetoriker
fast wie von selbst verbirgt, wenn er beim Formulieren nur auf die
emotionale Wirkung achtet.
Es ist beklemmend zu sehen, wie die alte Vorstellung vom guten
Redner auf den Mist geworfen wird. Es ist nicht mehr wichtig,
dass der Redner die emotionale Gewinnung der Zuhörenden mit
den Worten der Wahrheit in ein Gleichgewicht bringt. Seine
Beredsamkeit funktioniert abgelöst von den Sachen und die Sachen
und damit auch die Wahrheit bleiben entfernt. Sie werden nicht
verfälscht, sondern undeutlich gemacht. Der Schütze entfernt sich
von seinem Ziel. Am Ende kümmern sich nur mehr die Experten um
das reale Geschehen. Sie denken darüber nach und lenken es. Der
rhetorische Politiker managt die Diskretion dieser Lenkung, indem er
die Sachen in der öffentlichen Rede nicht mehr sichtbar werden lässt.
Er ist selber nirgendwo Fachmann und lässt sich überall von Experten
sagen, was er tun soll.¹ Gemeinsam mit diesen bildet er die,
der Öffentlichkeit kaum bekannte Führungsgruppe, die nicht
identisch mit dem Kabinett ist. Dieser Zirkel legt die eigentlichen
Ziele und die konkreten Maßnahmen fest, über die der rhetorische Politiker
nicht spricht.... Eine Zeitung titelte unlängst: „Kurz als Turbo für die ÖVP“
- Ja, aber ist er auch ein Turbo für das ganze Land?
¹ Helmut Brandstätter hat in seinem Interviewbuch, Brandstätter
versus Brandstetter, Wien 2018, die Experten der Primärgruppe
negativ definiert. Sie sind die Personen ohne eigenes, politisches
Netzwerk, können also Kurz nicht gefährlich werden, falls eine
Beurteilungsdivergenz entsteht.
© M.Luksan, Mai 2018
|