„Erst viel später“, erzählt Amina Handke über ihren Vater, „habe ich ihn
gefragt, was gewesen wäre, wenn er nicht berühmt geworden wäre (…)
Getrunken hätte er sicher mehr.“ (A.H., Interview, In: Der Standard, 2.12.17)
Der Erfolg des Peter Handke hat ein Menschenleben in die Zone des
Glücks gedreht. Sehr wahrscheinlich. Der deutsche Betrieb wartete auf
ein bestimmtes, singuläres Talent, und da kam es, zur rechten Zeit.
Weniger das Werk als die junge Persönlichkeit des Künstlers trat
anfangs hervor und sie stellte sich neben ihren Werken auf. Man
wusste dann mehr von diesem Autor als von seinem Werk. ZB. Das
Wort „Ich möchte einmal einer sein, der ein anderer gewesen ist“
galt als Weisheit und niemand hätte um 1970 herum dieses Wort
entzaubert. „Warum sagt er nicht: Ich möchte mich verändern?“
Der frühe Handke ist trotzdem kein Schmäh. Er wendete die Zweifel
der „Wiener Gruppe“ beim Aufbau sinnlicher Texte Satz für Satz
konkret an. Dieses Prüfen der Sprache auf Unschuld des persönlichen
Gebrauchs führte er mit sagenhafter Konsequenz durch. Der
Literaturbetrieb wünschte das „Make it new“ und freute sich über das
Komplexer-Werden der Handkeschen Texte. Am Wichtigsten war ihm
die vom Autor abgeänderte „Berufung des Künstlers“, die nicht mehr
„Das Werk ist alles“ hieß, sondern: „Ich bin mindestens so interessant
wie mein Werk.“
Das vergleiche man - zB. - mit William Faulkner. Dieser Autor, eine
Generation älter als Handke, wollte als private Person gar nicht in
Erscheinung treten. „Keine Fotografien, keine Belege und Schriftstücke.
Es ist mein ganzer Ehrgeiz, als Privatmann aus der Zeitgeschichte
getilgt und für nichtig erklärt zu werden und sie ohne Spur zu verlassen,
ohne anderen Abfall als die gedruckten Bücher.“ (Brief an Malcolm
Cowley, 11. Februar 1949, In: W.F., Briefe, Zürich 1982, S. 223)
Der Nobelpreis überredete ihn zu Ausnahmen, doch um 1949
wollte er unsichtbar bleiben. „ausstreichen (…), was auch nur im
entferntesten ahnen lässt, dass hinter der Schreibmaschine ein
atmendes und sich bewegendes Geschöpf saß“. Es war ihm aber
klar, dass ihn die “Life“ und „Vogue“ weiterhin verfolgen würden.
„denn ich kann mir vorstellen, dass die schlimme Situation, in der sich
die Kunst befindet, sie nicht die Bohne interessiert, sondern bloß das,
was sie die Persönlichkeit nennen.“ (a.a.O., S. 221 u. 222)
Die Situation der Kunst beiseite. Interessant ist der Gedanke, dass
man die Konzentration aufs Werk erhöhen könnte, wenn man
als Autor verschwindet. Dabei ging es weniger um das Verstecken
des Quartaltrinkers Faulkner als um die Betonung des Umstands,
dass er sich für sein Werk aufgeopfert hatte. Den Mythos der
Selbstaufopferung sah der englische Literaturkritiker Cyril Connolly
durch Technik zerstört. „Radio, Setzmaschine und Kino“,
schrieb er, „diese Erfindungen haben den Wirkungsbereich des 1
Künstlers ungeheuer erweitert, aber sie liefern ihn mehr denn
je der Staatspolitik und den Wünschen der Ignoranten aus (…)
Es mögen neue Leonardos des Films und des Mikrophons aufstehen
(…), aber erst dann, wenn alle anderen Künste auf das Niveau
eines provinziellen Handwerks herabgesunken und Luxus geworden
sind“ (Das Grab ohne Frieden, Frankfurt a. Main, 1962, S. 81 f.)
Der viel wissende und selbst forschende Peter Handke ist so eine
Art Leonardo. Wie Goethe hat er stets die Künstler-Autonomie betont,
sie manchmal sogar gegen den Betrieb aufgerichtet, aber er hat
seine eigene Sphäre nie verlassen. Über diesen Schatten hätte er
springen können. Er hat sich ferner - durch Beachtung von Literaturideologie
- zusätzlich geschwächt. Er hat die Gestaltung von Nichtich – Erfahrungen
abgeschafft. Schluss gemacht mit der Neugierde an der ganzen Welt.
Die Handkesche Poesie, dieses Hin - und Her - Wenden der Wörter und
der Sätze, wurde in einem defensiven Leben praktiziert, das zwar nicht
durch Menschenhass, aber doch durch die Idee einer Selbstheilung
motiviert war, die zugleich das Vorbild für eine Weltheilung hatte sein
wollen.
Als Connolly den jungen Autoren und Autorinnen zugerufen hatte: „Sie
leben nicht richtig! Sie leiden nicht stark genug!“, hätte Handke antworten
können: „Ich lebe und schreibe so, dass ich eines Tages nicht mehr zu
leiden brauche.“ Diese Selbstheilungsidee war den Literaturideologen in
Deutschland so wichtig, dass sie gleich die deutsche Sensibilisierungs- und Befindlichkeits-Prosa ausriefen. An deren Ursprung steht Handke. Er
reicht darüber hinaus. Die drei Fehler des Connolly, Faulheit, Eitelkeit
und Feigheit, scheinen ihm zu fehlen („Wenn einer zu faul ist, um zu
denken, zu eitel, um eine Sache schlecht zu machen, und zu feige,
um dies einzugestehen, dann wird er nie weise werden“, C.C., a.a.O.,
S. 34), und konsequent, wie er auch ist, lebt und schreibt er gemäß
seiner Verhältnisse.
„er hat sich die Hand gebrochen“, erzählt Amina Handke, „als er
gegen den Gartenzaun geschlagen hat in seinem Haus in Charville.
Der Hund vom Nachbarn hatte so laut gebellt, und da ärgert er
sich immer, also schlug er mit einem dicken Goethe-Buch in der
Hand gegen den Zaun und brach sich den Mittelhandknochen“
(A.H., a.a.O.) Ein Affekt, den man von sich selber kennt, ist
hier mit Ungeschicklichkeit verknüpft. Handke stopft auch gerne
seine Socken, anstatt sich neue zu kaufen, er macht ständig
Spaziergänge, und er bastelt an einer Familien-Mythologie, in
der ein Onkel, den er nie kennen gelernt hat, die wichtigste Figur
ist. Von den Socken abgesehen, ist er ein Mensch wie du und ich.
Warum ist das nicht erhellend? Weil Peter Handke in seinem
Werk ohnehin nur über sich selber schreibt. So ähnlich hatte
man ihn sich vorgestellt.
In den 1970 er Jahren hätte man von Handke gerne ein Porträt
des argen Siegfried Unseld gelesen (wie es zB. Thomas Wolfe 2
in seinem Buch „Es führt kein Weg zurück“ über den argen
Ernst Rowohlt geliefert hatte). Doch der Dichter gebrauchte seine
schöne und genaue Sprache lieber für eine sexuelle Anwandlung
beim Auftauchen eines Frauengesichtes in einem Fenster („Die
Stunde der wahren Empfing“) oder für ein Glücksgefühl beim Angehen
der Straßenbeleuchtung („Die Lampen auf der Place Vendome“),
als für die Beschreibung seines oberflächlichen und sich mit Künstlern
schmückenden Verlegers. War er fromm bei Personen, die im Betrieb
etwas zu sagen hatten? Schwer zu sagen. Von Albert Camus stammt
die Bemerkung, dass gerade der erfolgreiche Autor aus Stolz und
Ergebenheit wild gemischt ist.
Der fabelhaften Sprache von Peter Handke stand und steht nicht die
ganze Welt offen. Er kann nicht – wie es zB. Faulkner konnte -
sich alle Iche seiner Welt durch eine helle, weil durch Wissen geprüfte und
ergänzte Fantasie zugänglich machen. Er kann nur sein eigenes Ich
und seine Welt auf ichhafte, subjektive Weise darstellen. So kann
er seine Welt nicht ernsthaft kritisieren. Doch er kann wirklich glauben,
dass das eigene Leiden weiter abnimmt und in der Todesstunde
am Geringsten ist. Das tägliche Schreiben, um sich selbst zu erforschen,
und das regelmäßige Produzieren, um nicht in Vergessenheit zu geraten,
machen es möglich. Jedes Jahr ein Buch herausbringen, einfach weil
Schreiben für einen die beste Lebensform ist, verringert die Bedeutung
von Literatur.
„Als ich angefangen habe“, erzählt Amina Handke, „seine Bücher zu
lesen, habe ich mir schon manchmal gedacht: Kaum hatte ich eines
fertig gelesen, waren schon wieder drei neue heraußen (…) Die Versuche
gingen ja noch, die waren ja dünn. Aber nicht diese 900 Seiten – Teile.
Da hab ich mir dann schon gedacht: Na geh bitte! Jetzt muss ich das
auch lesen.“ (A.H., a.a.O.) Der Autor Handke war längere Zeit der
Motor eines kreativen Prozesses. Von seinen Anfängen bis in die
1980 er Jahre wurde er immer interessanter und immer dichter.
Doch irgendwann hörte das ganz auf (ein Thema für die Literatur-
forschung!) und die weit ausgebreitete Persönlichkeit war zum
eigentlichen Lesemotiv geworden. Der Prozess war für den Autor
eine Art Selbstheilung, doch für die Verlage war er ein Marketing-Kniff.
Eine Entschädigung für das sich abzeichnende Schwachwerden der
Literatur durch einen neuen Lese-Anreiz.
© M.Luksan, Mai 2018
|