Zwei Autoren bildeten ein kreatives Gespann und besuchten – jeweils einen
halben Tag – die Welt des andern, um sie zu beschreiben. Ela Angerer
brachte die Überheblichkeit des Städters zur Sprache, als sie das Dorf
Sommerein von Mario Schlembach besuchte. Und dieser gestand
einen bäuerlichen Minderwertigkeits – Komplex ein, als er
sich von Angerer in Wien herumführen ließ. Beides ist naheliegend,
weil verbreitet, und die Idee der Wechselseitigkeit verklammert
gut den Doppelauftritt der beiden in der Zeitung. Doch für einen
fortgeschrittenen Leser schaut nicht viel dabei heraus.
Der Unterschied von Stadt und Land ist recht bekannt, deshalb
legten die Autoren den Fokus auf die Existenz des Schriftstellers.
Ja so ein Autor ist eine latent verachtete, schlecht bezahlte und
unsozial lebende Existenz, die aber ihre Mängel durch Zähigkeit und
Stolz aufregend kompensiert. (Der Stolz geht dann im Betrieb
verloren.) Auch Mario Schlembach ist so ein aufregendes Wesen,
auch wenn er demütig sein will, das Ich nicht so wichtig nehmen will,
und die Lächerlichkeit des Schreibens schon entdeckt hat. Denn er geht
stolz durch die Welt, tanzt wie ein Falter um sein Ego-Licht herum
und braucht das Schreiben wie die frische Luft. Frau Angerer schreibt:
„Er ist nicht nur ein engagierter Totengräber. Er ist auch ein leidenschaftlicher
Erzähler.“ Er erzählt dann von Hoppalas bei der Bestattung. Als
Totengräber verdient er sich Geld und hat dadurch einen Erlebnisbereich,
der nicht das Schreiben ist. Umgekehrt vermerkt Schlembach bei
Ela Angerer die „Dünnhäutigkeit beim Schreiben“ und das
„Wieder-in-die-Welt-Treten“, nachdem sie schreibend gearbeitet
hat (In: Der Standard, 23. 06.18). Auch nichts Neues. Es reißt sie
manchmal herum, wenn sie gleich nach dem stundenlangen Schreiben
in die Welt der Performance eintritt.
Ela Angerer fährt mit Schlembach in sein Dorf. Diese Fahrt aufs Land
scheint nicht sehr erzählenswert, da sie Schlembach oft macht und der
Ort nicht weit von Wien liegt. Dennoch schreibt Angerer: „Wo ist dieses
Kaff noch einmal?“ Sie bringt gleich zwei Navi mit ins Spiel, nur um die
Komik der eifrigen Geräte zu beschreiben. „So schaffen wir es an
Schwechat vorbei und auf der Zielgeraden durchs Industrieviertel.“
Dann liegt das Ziel ohne Ironie vor Augen: „Beschaulich schmiegt
sich der Ortskern in die weite Landschaft.“ - Schlembach beteuert die
riesigen Außenreize der Großstadt. Angeblich wird er von der städtischen
Turbulenz in Wien halb erschlagen. Er erlebt das große, helle
Arbeitszimmer von Angerer, „und alles schreit nach Worten“. Dann
beeindrucken ihn eine gehbehinderte Frau und zwei unerzogene Kinder
im Bus, ein Bioladen, eine Parfumerie und das Stamm - Kaffeehaus von
Frau Angerer. Da die beiden ehrlich zueinander sind, steht hier der
Satz: „An diesem Ort (Kaffeehaus der Nicht-Hiesigen, Anm. M.L.) findet
Ela Ansprache, hier trifft sie Freunde, hier.“
Diese verfügt über mehr Ironie und Selbstironie als ihr Kollege, denn
sie beschreibt sich witzig als Sicherheitstyp, der durch Sprays und
Cremes die Zerstörung abwendet. Schlembach behauptet, dass ihm
schwarz vor Augen wird, wenn er die Düfte in einer Parfumerie riecht.
Auch bei den „drei Tagen“ übertreibt er maßlos: „Bleibe ich länger
an einem Ort, dann operiere ich mir manchmal das Herz aus meiner Brust,
nur um zu sehen, ob es noch schlägt.“ … Beiden Autoren ist gemeinsam,
dass sie ihre Umwelt nur oberflächlich wahrnehmen. Sie haben die
Nichtich – Welt vom Ego zu wenig abgelöst. „Ela fährt Rad“, schreibt
Schlembach, „Im Fahren bleiben die Gedanken im Rahmen.“ Mehr teilt
er zur städtischen Fahrradwelt nicht mit. Und über sein einstiges
Wien-Studium steht die Formulierung: „Jahrelang habe ich in der Stadt
studiert, aber den Hörsaal kaum verlassen.“ Solche Studenten sind jetzt
wieder in. Angerer übt das schnelle Hinschauen: „Ein ganzes Dorf trägt
kurze Hosen (…) Vater Schlembach, ein ehemaliger Bauer (…) trägt die
kürzesten.“ Doch über die Wohnung ihres Kollegen formuliert sie eine
echte Nachricht: „Das unbekannte Flugobjekt (die Toilette, Anm. M.L.)
hat er im Internet gefunden (…) Hier lässt man sich per Mausklick
ganze Sanitäranlagen liefern. Auch das ist Land.“
Das Buch, wo der Geist schlummert.
Zur Oberflächlichkeit gehört dazu, dass ein Autor die Stimme, mit der
er spricht, unkontrolliert wechselt, wenn er ungeprüft einem Einfall
folgt. Schlembach erinnert sich an seine Zeit als Eier – verkaufendes
Kind, das von der Krämerin eine Belohnungs - Schokolade erhält.
Diese erhielt er einmal nicht, deshalb der Satz: „Frau Bokan hat
später ein Auto erwischt.“ Hier hat das pathetische Ich, das um sein
Gefährdetsein weiß, einem unbekannten, anderen Ich Platz gemacht.
Frau Angerer fragt nach Dorfskandalen, Schlembach weiß von
einem Vorfall, und die Autorin zeigt sich belustigt über Diebstahl
und Brandstiftung in der Provinz. „Zusammen mit einem Brandstifter
von der Feuerwehrtruppe des Nachbarortes schaffte man es damit
sogar in die Schlagzeilen der Niederösterreichischen Nachrichten.“
Die Autoren haben ihr Erleben in der Welt des andern nicht überdacht.
Sie bieten auch für die eigene Existenz keinen klaren Überblick.
Der Leser weiß nicht, ob Frau Angerer ohne das soziale Netzwerk der
Stadt auf dem Land längere Zeit aushielte. Und Schlembach,
der durch die Stadt zum vollen Leben gelangt, sagt nicht, wo sich
sein Bewusstsein zum Geist vertieft. Geschieht das auf dem Land oder
in der Stadt oder sowohl als auch? Stattdessen steht ein Satz wie „Ich
schreibe, um graben zu können“. Für diesen „Dienst am Menschen“
(das anstrengende Graben) ist aber das kräftige Essen vermutlich das
Wichtigste.
„Ela fragt, ob ich aufgrund meiner Arbeit und Kindheit auf dem Friedhof
Geister sehe? Ich sage: Nein, mehr nicht, aber in meinen Gedanken setzt
sich der Satz fort: Ich selbst bin der Geist.“ Na also. Er meint nicht den
Geist eines Verstorbenen, sondern den, der durch die Bearbeitung einer
Rede entsteht - und der natürlich frischer ist als die Welt auf unserem
Symbolfoto (Das Buch wo der Geist schlummert). Im Kaffeehaus von
Angerer sieht Schlembach einen schreibenden Menschen. „ich erstarre
(…) Nichts ist schlimmer als Menschen, die dasitzen und schreiben. Es
ist wie ein Spiegel für mich, und ich kann an nichts anderes denken als an
die Lächerlichkeit des eigenen Tuns.“ Er muss schreiben, aber es ist so
lächerlich. Man darf hinzufügen: Und er muss diesen Widerspruch
öffentlich bekennen. Dieses Bekenntnis ist ein Literaturzeichen jener
Texte, die dem Literaturideologen gefallen. Dadurch zeigt ein Autor an,
dass er so denkt und fühlt wie alle andern und in diesem Sinne
dazugehört.
© M.Luksan, Juli 2018
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