DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Glänzender Intellekt

Roland Barthes. War einst ein sanfter und kunstsinniger Aushilfslehrer, dem die Tuberkulose die Möglichkeiten eines vitalen Lebens versperrte. Er verschwand in französischen Sanatorien. Als Kind hatte er geistige Brillanz gezeigt, die er durch die langwierige Krankheit nicht verlor, doch die primär tätige Welt stand ihm nicht mehr offen. Sein Leben wurde auf ein Spitalsbett reduziert, vier Jahre lang. Zweimal wurde dem jungen Mann eine Drainage im Brustkorb (Pneumothorax, damals noch aus Gummi) angelegt, damit seine Lungen genügend Druck vorfanden und das kranke Sekret abfließen konnte.

Der Zweite Weltkrieg blieb ihm erspart. Wochenlanges Daliegen und Verfolgen der eigenen Atemzüge brachten Roland Barthes auf den Gedanken, dass nicht nur sein Ich (wie es die Psychoanalyse lehrt), sondern auch sein Körper eine Geschichte hat. Diese „Geschichte des Körpers“ ist aber nur ein sprachliches Bild, kein weiterführender Gedanke. Dieser von Barthes gefundene Begriff enthält nichts, was man nicht auch vom ganzen Menschen sagen könnte (außerdem braucht ein Arzt die Wiederholungen des Körpers, nicht seine einmaligen Ereignisse, damit er heilend arbeiten kann), doch der Begriff war neu und verhieß einen Augenblick lang eine neue Forschung.

Frau Samoyault schreibt: „Der unter Zwang stehende Körper führt zu einer beachtlichen Offenheit des Körpers. Zerstreut, verteilt, im Raum aufgegliedert, wird er zeitlich (…), veränderbar, da zerlegt. Somit ist Barthes´ erstes Forschungsprojekt der eigene, kranke Körper“ (Tiphaine Samoyault, Roland Barthes – Die Biographie, Berlin 2015, S. 220). Roland Barthes beobachtete sich und notierte die Beobachtungen, seine Karteikarten-Ordnung vergrößerte sich in einer Heilanstalt. Wenn´ s ihm besser ging, hörte er Radio und nahm im Speisesaal – mit anderen – die Mahlzeit ein. Ja er sah sogar im Sanatorium, 1943, den zweiten Film von Robert Bresson, über die Liebe. Wenn´s ihm noch besser ging, hielt er einen Vortrag, in dem er anderen Patienten erklärte, wie Literatur und Theater wirken.

Mit seiner – neuen - Sprache konnte er eine Freundschaft oder eine Liebe halb poetisch halb analytisch beschreiben. Dieses poetisch - analytische Denken bewegte sich von der sinnlichen Sprache nie weit weg, Barthes arbeitete nie im abstrakten Raum einer Philosophie. Die Zeichen (die Wörter) nahm er ernster als ein Philosoph. Durch das vollständige Verstehen eines Zeichens ließ er neue Fragen auftauchen, die ihn zu neuen Begriffen führten. Der Strukturalist, so verlangte er eines Tages, muss Poet sein, nicht um schön zu schreiben, sondern um die Probleme der sprachlichen Äußerungen überhaupt zu finden.

Roland Barthes
Roland Barthes, 1970.

Für Politik interessierte er sich nicht ernsthaft. Er gab zu, dass ihn die Befreiung (22. Juni 1944) nicht aufgeregt hatte. Er wollte wie die meisten seiner Freunde und Bekannten, Marxist und Sartreaner gewesen sein, doch er hatte nirgendwo dazugehört. Gesprächspartner lernte er durch seine sanfte Leutseligkeit ständig kennen. Nach seiner lange Krankheit, schreibt Frau Samoyault, hatte er erkannt, dass die Ereignisse für ihn entschieden hatten; er würde seinen Weg nicht mehr alleine suchen. „Ohne direkt auf die Dinge einwirken zu können (…), wird er von nun an die andern brauchen, um einen Platz zu finden.“ (T.S., a.a.O., S. 210) Männer von der Resistance beeindruckten ihn, aber sie konnten ihm seine skeptische Sicht der Sprache und des Engagements nicht ausreden. In geistigen Dingen wollte er völlig unabhängig sein, doch wenn er ein Stipendium oder einen Job bekommen wollte, ließ er andere für sich machen. Er wurde dem Verleger und Herausgeber Maurice Nadeau vorgestellt, der ihn in journalistische Kreise einführte, die mit den Untergrundzeitungen der Resistance entstanden waren.

Diese Kämpfer und Intellektuellen, die nach 1944 großes Ansehen genossen, verstand und respektierte Barthes durchaus, er wollte aber keinen Schulterschluss mit ihnen. Ausgerechnet in einer Besprechung von „Der Fremde ( A. Camus) stellte er seinen Begriff der „neutralen Schreibweise“ vor, der damals auch in Frankreich kaum verstanden wurde. Trotzdem wurde Barthes herumgereicht, von einer Zeitschrift zur andern, denn er versprühte Esprit und kündigte das Bevorstehen der neuen, von Literaturzeichen gereinigten Prosa an. 1953 kam sein erstes Buch, „Am Nullpunkt der Literatur“, heraus. Mit diesem Werk schuf Barthes lupenreine Literaturideologie. Weil angeblich die moderne Schreibweise „wie ein Organismus rund um den Akt des Schreibens (gemeint ist: durch jeden, der sich hinsetzt und schreibt) sich vermehrt“, werde es bald keine Literaturzeichen, keinen schönen Stil, keine Stimme und kein Meisterwerk mehr geben (sogar die sprachlichen Bilder werden sehr reduziert sein). Weil Barthes aber, bei aller Übertreibung und, Absolutsetzung konsequent denkt, stellt er im selben Buch, das das Hohelied des stimmlosen Drauflosschreibens singt, das angekündigte Literaturheil außer Kraft. R.B., zitiert von Frau Samoyault: „Mag der Schriftsteller auch eine freie, sprachlose Ausdrucksweise schaffen, man reicht sie ihm als fabriziertes Produkt wieder zurück, denn Luxus ist niemals unschuldig (…) Es besteht also eine Sackgasse der Schreibweise, es ist die Sackgasse der Gesellschaft selbst.“ (T.S., a.a.O., S. 318 f.)

Durch das Buch „Mythen des Alltags“,1957, das später jeder zweite 2 Staatspräsident gelesen haben will, wird er über die Intellektuellen - Kreise hinaus bekannt. Er ist eine Stimme, die man in Frankreich beachtet. Trotzdem kann er von den Essays nicht leben und eine Professur an der Sorbonne erhält er nicht. Man bringt ihn in ein Amt für Kulturbeziehungen, wo er eine Beratertätigkeit mit Lehrverpflichtungen ausübt. Mit den theoretischen Werken von J.P. Sartre beschäftigt er sich verdeckt, vor allem mit „Was ist Literatur?“ und der Studie über das Imaginäre, wobei er sein sanfteres Temperament, seinen kultivierteren Intellekt, aber auch seine geringere Entschiedenheit und seine größere Selbstbefangenheit im Unterschied zu Sartre herausarbeitet. Er pflegt diesen niemals zu zitieren, um nicht seine eigene Stimme in ein Naheverhältnis zu dem Älteren zu bringen. 1961 ging er zu den Kämpfern auf Distanz, indem er das „Manifest der 121“ (zum Algerienkrieg) nicht mit unterzeichnete, weshalb sich seine Beziehung zu M. Nadeau abkühlte.

In den 1960 er Jahren wirkte Barthes an einer überaus originellen Schule, der Ecole pratique des hautes etudes (in der die Studierenden der Erforschung von Religion, Geschichte und Gesellschaft buchstäblich beiwohnen), und die es in dieser Form nur in Frankreich lange Zeit gab. Barthes fügte seine Lehrtätigkeit gut in sein Leben ein, glich sogar Beruf und Freizeit aneinander an, indem er das Gespräch über seine Forschung in der Freizeit fortsetzte und dadurch eine Kultur des pausenlosen Austausches mit Freunden, Kollegen und Studierenden schuf. Da hinein platzte 1963 die scharfe Kritik an seinem Buch „Literatur oder Geschichte“ (orig: „Sur Racine“), in der die Zunft der Literaturhistoriker sich über seine Lesart von Racine empörte. Der Romanist Raymond Picard versuchte, die Grundlagen des geistvollen Sprachdenkers als intellektuellen Schwindel darzustellen. Das schockierte Barthes aus zweierlei Gründen: Erstens wurde ihm jedweder Rang abgesprochen, und zweitens wurde er, nicht zuletzt wegen seiner ständigen Verkündigung von Neuanfängen, als Revolutionär gehandelt.

Seine gepriesene Subversivität, die zB. den Mythos als jenes Denken entlarvte, das die Entstehungsgeschichte einer Person, einer Institution oder eines Geschehens kappt, um Substanz zu behaupten, übte Barthes nicht als politische Person. Obwohl sie eine politische Wirkung hat. Als Bürger und politische Person war er loyal zur Republik und zur jeweiligen Machtgruppe, mit der es es zu tun hatte (sofern es sich nicht um Kirche und Militär handelte). Denn sein Denken, so definierte er, ging vom eigenen (kranken) Körper aus, vom eigenen Begehren, von den eigenen Nerven, und entdeckte in der Umgangssprache – und in der Sprache der Dichtung – Spielregeln des Sprechens und des Schreibens, die weit über die Gesetze der Linguistik hinausgehen. Dieser Denkgebrauch wurde Barthes von C. Levi-Strauss geneidet, dem seine eigene, für objektiv gehaltene Methode bei den Sprachen der „heißen Gesellschaften“ den Dienst aufkündigte. Er hielt Barthes für keinen Forscher, nur für einen Schriftsteller.

Los des glänzenden Intellekts. Der Kopf behauptet Unabhängigkeit, doch die Person netzwerkt viel und lässt sich von anderen entdecken. Auch ein ungewöhnlicher Karrierismus führt zum Ziel. Im Jänner 1977 hielt Barthes seine Antrittsvorlesung im „College de France“, in das ihn Michel Foucault gebracht hatte und das als Einrichtung des Geistes mehr zählt als die Sorbonne. Die Vorlesung wird gefilmt und von Zeitungen verbreitet. Barthes achtet übertrieben auf seine Autonomie, die offenbar hundertprozentig sein soll, denn er definiert das College als einen „Ort außerhalb der Macht“. Und er will auch am Höhepunkt seiner Karriere wieder eine Novität verkünden. Frau Samoyault schreibt: „trotz der Kritiken, die er wegen des gewagten Satzes Die Sprache ist faschistisch zu hören bekommt (…), genießt Barthes den feierlichen und freundschaftlichen Moment der Anerkennung“ (T.S., a.a.O., S. 763)

1980 wurde Barthes beim Überqueren der Rue des Ecoles in Paris von einem Auto überfahren und starb einen Monat später im Spital. Durch seinen Tod wurde die geistige Welt ausgerechnet um die altersweisen Werke des Autors gebracht. Sie werden durch Bruchstücke aus dem Nachlass angedeutet und hätten das Zusammenspiel von Körper, Sprache und Ich wahrscheinlich genauer präsentiert. Frau Samoyault hat in ihrem Buch auch andere Merkmale seines Lebens, wie seine Reisetätigkeit, seine Homosexualität und seine lebenslange Beziehung zu seiner Mutter ausführlich behandelt.¹ Doch in unserem Text ging es nur um die lustvolle Steigerung von Intellekt, ohne Rücksicht auf Institution, die im Falle des Roland Barthes – ein Fall in Frankreich - nicht zu Vertuschung und Untergrund geführt hatte, sondern zu einem Höhenflug.

   ¹ Das Buch von T. Samoyault hat 870 Seiten und wirkt auf den ersten Blick sprachlich aufgetrieben. Beim zweiten Blick sieht man, dass alle wichtigen Begriffe von Barthes in den dazugehörenden Lebensphasen expliziert und mit den Lebensberichten mitgeliefert sind. Das ist hilfreich – und selten.

© M.Luksan, Oktober 2018

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