DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Fiktionale Gewalt

Sensation im Film. Chaplin watschelt eine Straße daher, er geht mit anderen im Gänsemarsch, er trägt eine Leiter, mit der er, wenn er sich umdreht, den Nachfolgenden zu Boden wirft. Irgendwann lauerte ihm ein Mann mit Knüppel hinter einer Straßenecke auf. Totschlag und Mord als Höhepunkte des frühen Films. (Und auch des heutigen Films.) Die Kulturwissenschaften haben noch kaum erforscht, dass physische Gewalt die bewegten Bilder auflädt, ihnen eine zusätzliche Bindung gibt, sodass im Film eine Figur nur deshalb ihr Leben lässt, damit beim Zuschauen eine größere Aufmerksamkeit entsteht. Diese Art von Gespanntheit gilt als banal, ist aber schon aus künstlerischem Grund nicht harmlos. Sie macht den Zuschauenden oberflächlich und lässt ihn feinere Bildreize übersehen.

In dem Film „The Great Train Robbery“, 1903, (angeblich der erste Spielfilm überhaupt) war´ s eine Sensation, dass Leute mit Revolver fuchtelten, schossen und erschossen wurden. Die Darsteller krümmten sich, warfen sich wie Schlangen am Boden herum und lagen dann so still wie das Opfer von Charlies Leiter. Für die Handlung, also auch für den Zuschauer, war der Umgeworfene abgehakt, vergessen. Dann hat der Film einen Teil seiner Figuren psychologisiert. Das geschah durch Kostüm, Maske und Bewegung. Aber erst der Dialog des Tonfilmes konnte in der Welt der Äußerlichkeiten die Innenwelten eindeutig unterscheiden. ZB. vor einem Kampf gab´ s einen Dialog, der die Duellanten zusätzlich charakterisierte, dann kam das Duell und als Resultat des Ganzen wurden kleine Schauwerte geboten: Schusswunden im Körper, ein Gesicht in Agonie, eine Blutlache. Der Film „High Noon“, 1952, bietet diese Schauwerte noch nicht, aber der Film „Ride the high country“, 1962, liefert Schauwerte-Details sogar in Farbe.

In „Ride the high country“ kehren die Guten in ein Farmhaus zurück und finden dort den Farmer gefoltert und tot wieder. Dieses Opfer zeigt Peckinpah nur als Blitzbild, ansonsten das allgemeine Erschrecken. Ein erwachsenes und intelligentes Publikum ist mit dieser künstlerisch passenden Wirkung voll zufrieden. Dem neuen Western genügt das nicht. Er ist technisch ungeheuer verbessert, und verzichtet auf Glaubwürdigkeit und Sinn. Er beachtet nicht, dass Glaubwürdigkeit und Sinn im Film Kunsteffekte sind, sondern setzt ganz auf neue Grausamkeiten, neue Effekte, neue Schauwerte. Er walzt die Schauwerte des Grässlichen aus. In einem der Western nach 2010, die Zombies, Aliens und Cowboys in einer einzigen Handlung vereinen, wird jemand skalpiert, mit der Axt verstümmelt und kriecht noch etwa sechzig Sekunden am Boden herum. Das ist toll 1 aufgenommen und durch Zwischenschnitte konsumierbar gemacht. Dem Zuschauenden wird etwas gezeigt, das er im normalen Leben nicht sehen kann. Die Angehörigen des Opfers verstecken sich während der Bluttat im Busch und treten dann als Zombie – bleiche Rächer in die grüne Prärie hinaus.

Ein Film wie der obige stellt das bekannte Bild der alten Pionierzeit in eine neue Form, die nun keineswegs den wahren Wilden Westen zeigt. Der Gestalter hat nur eine neue Ästhetik geschaffen, das Gleichgewicht zwischen Form und Inhalt ist ihm egal. Qu. Tarantino ist ein solcher lustvoller Manierist. Mit weniger Intelligenz als S. Peckinpah, aber doch mit Ironie, zelebriert er das Töten und Sterben im Wilden Westen oder in der Unterwelt. Dabei fand er eine Reihe von Kunstmitteln, die die Gewalt im Film, die ja fiktionale Gewalt ist, völlig ästhetisieren. Kunst des Maskenbildners. Hochglanz-Aufnahmen. Brillante Darstellung. Viele Zwischenschnitte. Auf diese schönen Dinge verzichtet M. Haneke in dem Film „Funny Games“, 1997, notgedrungen und bereitwillig zugleich.

In „Funny Games“ dringen Peter und Paul in ein Einfamilienhaus ein und töten dort den Hund, das Kind, den Mann und die Frau. Dann ziehen sie ungestraft weiter. Die beiden Täter scheinen dem absurden Theater zu entstammen, weil sie keinen einzigen Hinweis geben, warum sie diese maßlose Gewalt und Grausamkeit anwenden. Es gibt nur diese Abläufe von Gewaltaktionen, das zynische Geplappere der Täter und das hilflose Gehorchen der Opfer. Das Spiel vor allem der Täter, aber auch der Eltern, ein Schauspieler – Ehepaar aus Deutschland, hält sich in Grenzen. An manchen Stellen scheinen Amateure zu spielen. Die Kamera ist plump. Nur ein Teil der Sequenzen ist sorgfältig gestaltet. Dennoch erschien der Film in Cannes und hat dort Regisseure mit Recht verärgert.

The Good, the 
Bad and the Ugly
Als die fiktionale Gewalt noch witzig war (The Good, the Bad and the Ugly, 1966)

Haneke fühlte sich aus der Kunst ausgestiegen – und wieder in sie eingestiegen. Mit Hilfe seiner Ideologie, bei der der Filmemacher nicht bloß die Ästhetik verändert, sondern gleich eine Hauptregel der Kunst. Diese besteht darin, dass alle Teile eines Werkes gleichermaßen durchgestaltet sein müssen. Er bettete seinen Inhalt in den Herzen der Schocks ein und versuchte eine vollständige Wiedergabe des Realen, was ohnehin nicht möglich ist. So entstanden unfertige Sequenzen, die er mit den fertigen in ein- und demselben Werk verband. Diesen Regelverstoß hat Haneke nie erwähnt. Er und andere schwatzten lieber von der pädagogischen Funktion. Der Film habe gezeigt, dass das Anschauen physischer Gewalt gar nicht erträglich sei. Das ist richtig, löst aber das Kunstproblem nicht. Die Damen und Herren von der Kunstideologie 2 hätten ihre Demonstration in einem Aktionsseminar der Pädagogen machen und filmen sollen. Das hat Haneke nicht gemacht, denn er wollte damit an die Spitze der Kunst.

Forschung hat gezeigt, dass fiktionale Gewalt nicht per se gefällt, aber doch im Rahmen einer Spielhandlung gern gesehen wird. So erklärt sich die Zunahme von brutalen und blutigen Szenen im Film, die dieser nun nicht nur gut rechtfertigen, sondern auch gut zitieren muss. Das ist ein – keineswegs verächtliches – Hollywood- Rezept. Die Intelligenz der Spielhandlung ist für die besten der dortigen Filmemacher genauso wichtig wie die filmtechnische Umsetzung. Der technisch gut gemachte „Rollerball“, 1975, ist nur darum schwächer als „The Purge“, 2013, weil seine fiktionale Handlung schwächer ist. Dass ein Sport, der Mord ist, von utopischen Konzernen zur Ablenkung der Massen benutzt wird, ist eine weniger präzise Dystopie als ein, von der Regierung ausgerufener Tag des Mordes, um die Sozial Schwachen im Land zu dezimieren.

Es wird vermutlich die Intelligenz der guten Filme nicht absinken. Doch es wird der Bereich des Extremen – die Brutalität, die Grausamkeit, die Folter, die Exekution, das Massaker, das Massensterben – als bloßer Schauwert weiter ausgedehnt werden. Nicht in der Art des Künstlers, der aus der Not eine Tugend macht (M. Haneke), sondern kunstvoll. Wird nun diese Vermehrung von Halbwissen für sensation – seekers irgendwas Positives bewirken? Das ist logisch zu verneinen. Denn die Sensation führt nicht zu mehr Wahrheit, nicht zu mehr Empathie und auch nicht zu mehr Härte. Sie führt nirgendwohin, sie verbraucht sich in der billigen Erregung und im Halbwissen, sie erhöht nur den Verkauf.

© M.Luksan, Dezember 2018

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