DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
  STARTSEITE


Frei im Kopf sein

Die Unterhaltungs - Nachricht taucht überall und massenhaft auf und will im Gehirn gespeichert sein. Die Unterhaltung hat - im besten Fall – den Wert eines guten Witzes. ZB. lässt sich ein Schlagersänger den Namen seiner Frau über der rechten Augenbraue ins Gesicht stechen. Oder ein junger Premierminister turnt auf dem Schreibtisch wie ein Affe. Oder fünfzig tausend LED Lampen an den Fenstern eines Universitäts – Hochhauses werden eingeschaltet, damit man dort ein bescheidenes Computerspiel öffentlich spielen kann. Oder man sieht und liest von einem Pferd, das in eine Schlucht gestürzt ist und durch einen Spezialkran gerettet wird.

Diese Nachrichten sind gratis, man muss sie nicht kaufen, wie eine Dose Red Bull, allerdings üben sie einen Zwang aus, wie eben der gute Witz. Man ist gezwungen über eine Tätowierung an der Schläfe nachzudenken. Oder man wird dahin gebracht, den Auftrittsstil eines Politikers komisch zu finden. Die Medien hätten auch ernsthafte Information an Stelle des Infotainments bringen können. ZB. die Mitteilung, dass Justin Trudeau derzeit erhebliche Probleme hat, die ihm der amerikanische Präsident geschaffen hat. Oder dass jene amerikanische Region, in der das Pferd seinen Unfall hatte, durch Bodenerosion geschädigt ist. Aber der Boulevard teilt bei den Namen und Ereignissen, die er täglich vermittelt, nur selten das Wichtige und das Relevante mit. Er sucht und betont lieber das Unterhaltsame einer Nachricht. Unterhaltsam sind jene Informationen, die der Empfänger gerne weitererzählt.

Sieht man von den Hauptnachrichten ab, arbeitet der Boulevard eifrig an der Ausbreitung der Spaßkultur. Durch die Nachrichten vom Neuen, vom Sensationellen, vom Spaßigen werden die Realitäten surrealisiert. Und verzerrt. Der Konsument der Nachrichten könnte zB. glauben, dass der Wahn eines jungen Mannes, wie die Plastikfigur „Ken“ auszusehen, auch andere junge Männer schon befallen hat. Oder er könnte glauben, dass die Reise des Papstes zu den Arabern für die Weltlage irgendeine Bedeutung hat. Oder er könnte zu der irrigen Meinung gelangen, dass Plastikhufe bei den Fiakerpferden die Eisenbeschläge irgendwann ersetzen werden. All das trifft nicht zu und Nachrichten wie diese werden bald gelöscht und gänzlich vergessen sein.

In der Fülle der bedeutungslosen Nachrichten bietet der Boulevard aber auch relevante Informationen an, solche die von einem Trend künden. ZB. der Einzelne nimmt sich zu wichtig und will die Allgemeinheit für sein Wohl zahlen lassen. Ein Besucher einer Burg springt von einem Mäuerchen herunter, verknackst sich den Knöchel und verklagt das Land Kärnten auf Schadenersatz. Oder: die in der Öffentlichkeit schamlos gewordene Lust verträgt sich nicht mit dem Streben nach Bequemlichkeit und Sicherheit. In einer U-Bahn-Station wird öffentlich kopuliert, wobei das Paar den Zugang zu den Rolltreppen behindert. Die Verletzung fremder Gefühle regt fast niemanden auf, aber verboten werden solche und ähnliche Aktionen doch, weil sie die Bewegungsfreiheit anderer Personen beeinträchtigen. Die Medien haben hier keine eigene Meinung, sie schließen sich der Meinung der Behörden an. Sie wollen den Konsumenten nicht zeigen, dass solche Sachverhalte konkrete Beispiele für allgemeine Regeln sind. Sie wollen bei Trends, die schon laufen, keine Stellungnahme beziehen respektive eine Kritik, die Orientierung bietet, nicht üben.

Freiwilliges Alleinsein oder Einsamkeit?  Ein bloßes Foto
gibt darauf keine Antwort. Sabine Azema, privat 1985
Freiwilliges Alleinsein oder Einsamkeit?
Ein bloßes Foto gibt darauf keine Antwort. Sabine Azema, privat 1985

Der Sinn von Unterhaltung ist Ablenkung, das was man früher vom Kino gesagt hat, dass der Kinobesucher im dunklen Saal seine Not und seine Alltagssorgen vergisst. Diese Weglenkung vom Wichtigen oder Wichtigeren geschieht bei den Unterhaltungs – Nachrichten, die ja nur Texte und illustrative Bilder sind, anders als seinerzeit im Kino. Dennoch wird jene Ablenkung generell gemacht und man gibt ihr in den Zeitungen, im Fernsehen und im Internet einen immer größeren Raum. Wollte man ihr, wie überhaupt der gesamten Spaßkultur (Werbung, Performance) ausweichen, so könnte man das nicht durch eine bloße Einschränkung der verwendeten Medien tun. Man müsste auch eine sog. Sozial – Askese üben, die sozialen Kontakte einschränken, in denen ungünstige Beziehungen und schlechte Gespräche vorkommen, damit man nicht täglich gezwungen ist, über das Unwichtige ausführlich zu reden. Der ideale und theoretische Zustand, in den sich hier der Einzelne versetzen müsste, ist das freiwillige Allein- und Einsamsein des Mönchs. Der Einzelne müsste das Wechselseitige des menschlichen Verhaltens weitgehend beenden, seine Gestalt vom Gesehenwerden und sein Ich vom Rollenspiel weitgehend befreien, um zu der gewünschten Selbsterkenntnis und inneren Ruhe zu gelangen.

Man denkt das Wichtige und das Unwichtige mit der gleichen Intensität. Erst durch Analyse im Nachhinein erkennt man den Wert eines Gedankens respektive die vergebliche Mühe. Der Normalverbraucher kann sich dafür gar nicht die Zeit nehmen. Er hat für die Berufsarbeit, aber auch für das Sozialkapital so viel gedanklichen Aufwand pro Tag, dass er durch die allgegenwärtige und aufgedrängte Ablenkung leicht gesättigt wird. Mehr kann sein Hirn an einem Tag nicht leisten. Die Bildung und das freie Nachdenken sind dann seine Spielwiese für die Feiertage. Nur die approbierten und die nicht-approbierten Intellektuellen geben sich ständig dem Spiel des Intellekts und des Geistes hin. Der Rest der Bevölkerung speichert, ruft ab und vernetzt neu auf gehabten Pfaden. Er verwendet die Sprache und das Denken nach Regeln, gegen die er nicht verstößt. Aus diesem Grund ist die Verschulung der akademischen Jugend für die Zwecke der Wirtschaft ein wahres Übel. Denn wenn die Lehrstoffe und die Studienabläufe überall restriktiv verändert werden und anschließend die Absolventen unzählige Bewerbungen durchführen müssen, um eine bescheidene Anstellung zu finden, werden die Gehirne der Kommenden schlecht strukturiert sein. Und die Seelen werden eingeschüchtert sein.

© M.Luksan, Februar 2019

zurück