DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Mythen und Halbwahrheiten, am Beispiel Amerikas

Horkheimer/Adorno haben einst den Hollywoodfilm einseitig bewertet. Sie sahen offenbar keine Filme, die ein gegebenes Schema glatt sprengten oder zu einem Nachdenken verleiteten, das vorher beim Zuschauer nicht gegeben war. Keine Rede davon, dass jeder dieser Unterhaltungsfilme dem Zuschauer die eigene Fantasie und die eigenen Gedanken raubt. ZB. hat A. Hitchcock die Realität nicht nachstellen, sondern über sie hinausgehen wollen, indem er zB. die Hoffnungen des Publikums in punkto Liebe und Erfolg erforschte und sie dann im Film mit der Realität von Liebe und Erfolg schockhaft konfrontierte.

Die USA waren (und sind) in Europa trotz Buch, Film, Show, Design, Musik und Lebensstil ein unbekanntes Land. Wer hat vor der Wahl von D. Trump schon gewusst, dass in den USA ein völlig undemokratisches Prinzip die Wahl des Präsidenten beeinflusst? Trump hat, sofern er überhaupt mit Sieg gerechnet hatte, nicht auf die meisten Wählerstimmen, sondern auf die meisten Wahlmänner gezielt. Die europäische Öffentlichkeit wurde nicht darüber informiert, dass man für einen Wahlmann in Arizona mehr Stimmen braucht als für einen im Mittelwesten. So sind die Wählerstimmen in den armen Staaten herab gewertet, weil am Ende nicht die Wähler, nur die Wahlmänner den Präsidenten wählen. Wir wissen nicht, warum unsere Medien dieses Wahlsystem bisher nicht kritisierten.

Eine Halbwahrheit liefern auch jene Historiker, die die nationale Mentalität der Amerikaner mit dem Blutkessel des Civil War beginnen lassen und den Einfluss der Bürgerväter weitgehend ignorieren. Diese einseitige Betonung wirkt, als wollten sie den Griffith Film „Birth of a Nation“ mit seinem Ku-Klux-Klan – artigen Reitern unbedingt bestätigen. Sie nehmen nur die Jahre nach dem Bürgerkrieg ernst. Trotzdem ist 1865 – in einem traurigen Sinne - nicht ganz falsch. Durch den Bürgerkrieg wurden große Teile der amerikanischen Bevölkerung barbarisiert. Zur Mentalität gehörte von nun an das Jetzt oder Nie. Die sieghafte Ungeduld. In den besiegten Dixie Ländern und in den neuen Ländern des Westens explodierten die Korruption und die Gewalttätigkeit. Die Landnahme des Westens und die Verbreitung der neuen Technik geschahen überstürzt (globalisiert) und in großen Stücken außerhalb von Recht und Ordnung.

Dass der Durchschnittsamerikaner kollektivistische Lösungen nicht mag, ist auch ein Mythos. Durch ihn begründet man das Fehlen von Linksparteien in den USA. In der Zeit von 1880 bis zum Ersten Weltkrieg hatte es den amerikanischen Sozialismus sehr wohl gegeben. Als die großen Firmen mit großer Brutalität die verschiedenen Marktmonopole durch reine Ausbeutung erreichen wollten, war er schnell entstanden. Die Reaktion waren soziale Konflikte im ganzen Land. Proteste und Streiks gegen Bergbaukonzerne, Ölkonzerne, Agrarkonzerne, Stahlhütten – Betreiber usw. Hier wurde der US Staat schuldig, dadurch, dass er gemeinsam mit dem vigilantenhaften Teil der Bevölkerung die Konflikte nachhaltig unterdrückte. Der Erste Weltkrieg hat die Klassenfeinde zwangsnationalisiert. Mitte der 1920 er Jahre schieden dann die Helden und Frontfiguren der amerikanischen Linken aus dem Leben (Gene Debs, Bob Lafolette) und die großen, die Nation zerreißenden Konflikte verlagerten sich vom Rein – Ökonomischen ins Soziokulturelle.

Daniel Bell schrieb darüber, dass Bewegungen wie die Anhänger der Prohibition oder des Senators Mac Carthy von den Wirtschafts- und Arbeitskonflikten in den USA ablenkten und über kulturelle Fragen die Nation vereinheitlichen wollten (über die allgemeine Enthaltsamkeit, über eine einheitliche politische Moral). Die zwei Parteien bündelten möglichst viele Themen. Die Frage der Arbeiterklasse verschwand im Themenkatalog der Demokratischen Partei, die sich mit Lohngerechtigkeit in der Metallbranche, mit der Aufhebung der Prohibition, mit Frauenrechten usw. befasste und damit als Partei der Moderne der Partei der Tradition (den Republikanern) gegenüber stand.

Jack Unterweger

Der amerikanische Traum wurde in den 1930 er Jahren von den Gangstern bewitzelt, die mit Recht sagten, dass man vom Tellerwäscher höchstens zum Lokalbesitzer gelangen kann. Und der amerikanische Adam, der nichts neben sich und über sich fürchtet, bis er „es geschafft“ hat, wurde in Hollywoodfilmen der 1950 er Jahre trefflich verspottet. Zum Beispiel in „Sirene in Blond“, 1957. Obwohl also diese Ideale nicht mehr geglaubt werden, hat der Mythos der amerikanischen Familie noch Kraft. Der Mann, der die Familie unterhält, und die Frau, die die Erziehung der Kinder, die Bildung und die Wohlfahrt managt, werden von der Werbung und von der Republikanischen Partei weiterhin beschworen. Sie sind mehr als eine Halbwahrheit, die man ergänzen kann, sie sind ein Mythos, der einlullt, sodass man keine Fragen stellt.

Verglichen mit Amerika nach dem Krieg, die 1950er und 60 er Jahre, die ja auch Krisen hatten (Mac Carthy, Black Panther usw.), sind die USA von heute ein gespaltenes Land. Das wird von großen und weltweiten Medien durchaus betont, doch sie unterlassen den Vergleich mit dem Stichjahr 1910 oder 1914. Dadurch bleibt es offen, ob die Drogengerichte, die Zahnarzt-Scheunen und die Zeltstädte von heute so arg sind wie die Seuchenkranken, die Landstreicher – Horden und die Riesenstreiks von 1914. Wahrscheinlich nicht. Aber der reale Zustand dieses hoch entwickelten Industrielandes, dieses Halbkontinents mit unerschöpflichen Ressourcen und dieser stärksten Militärmacht der Welt ist für Europäer unklar. Amerika leistet sich zur Zeit regionale Zusammenbrüche seines Sozialsystems und unsere Korrespondenten wollen nicht sagen, in welchen Gebieten die USA bereits ein Schwellenland sind.

In europäischen Medien wird auch ständig unterschlagen, dass das Bild der männlichen Identität in den USA ein anderes ist als in Europa. Für den Kriegsgewinner Amerika gab es keinen Grund, Mut, Härte und Heldentum in Frage zu stellen, was umgekehrt in Deutschland und in Österreich opportun und wohl auch pädagogisch nötig war. Nicht die Literaturzeitung, aber doch der Hollywoodfilm hat für das amerikanische „Volk der Kinogeher“ (Christopher Lasch) das Bild eines unrealistisch gesehenen Mannes, der wehrhaft ist ohne Polizei, flächendeckend verbreitet. Diese Kinokultur ist jetzt vorbei, hat vielleicht bis 1990 gedauert. Jetzt kommen die Bilder über andere Medien in die Köpfe.

Stars des 1950 er Jahre – Kinos werden von unseren Reportern auf ihr Rollen – Image reduziert. ZB. Barbara Supp verglich James Stewart mit Robert Mitchum in einem Artikel (In: spiegel.de/spiegel/print; ursprüngl. in: Der Spiegel 28/97). Der eine war ein Vorzugschüler, der als hoher Militär und Biedermann endete (Stewart), der andere ein Ausreißer, der lebenslang den sozialen Zyniker spielte (Mitchum). Ein Politiker, der die billigsten Reaktionen für die stärksten hält (Bill Clinton) erwähnte in seiner Rede nur das Ableben von Stewart, nicht auch das von Mitchum, obwohl beide fast am gleichen Tag 1997 verstorben waren. Diese Einseitigkeit von Clinton verwendete Frau Supp mit Recht als Aufhänger für ihren Artikel. Sie blieb jedoch am unterschiedlichen Rollen – Image hängen und leitete davon einen unterschiedlichen Fuckability – Faktor ab. Mitchum sexy, Stewart fade. Doch Mitchum spielte manchmal rührend hilflose und sexuell nicht anziehende Personen und Stewart waren besessene und düstere Charaktere nicht ganz fremd. So kann man nicht einmal bei Stars sagen, wer sie wirklich waren, weil jahrzehntelange Werbung den Einblick ganz verdeckt.

© M.Luksan, Juli 2019

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