Herbert Kuhner´s Geschichte ist die des jüdischen Autors
und Übersetzers, der nach Wien zurückkehrte und vom
Betrieb der Literatur mehr oder weniger „ausgeschlossen“ wurde.
Warum und in welcher Weise ist interessant. Man sollte seine
Geschichte auch dann ernst nehmen, wenn man erkennt, dass
es auch die Lebensgeschichte eines Verkannten ist, der
die Schuld für Misserfolg ausschließlich bei anderen
Menschen sucht. Denn sie beschreibt deutlich das Funktionieren
von Konformismus in einer Welt der Schein – Autonomen und
über den „Betrieb“ hinaus die verspätete Aneignung der
Kunstmoderne in Österreich.
Flucht der Familie 1939 aus der “Ostmark“, mit dem Kind Herbert
Kuhner, das sämtliche Verwandte, die nicht emigrierten,
durch den Holocaust verlor. Herbert wurde Amerikaner, besuchte
ein Elite College bei New York und studierte dann Literatur
an der Columbia Universität in NYC. Seine Mutter war vermögend.
Er fasste sogar den Beruf des Dichters ins Auge, doch seine für
Macmillan Publishers bestimmten Gedichte wurden durch
Zufall, nicht durch Ablehnung, nicht publiziert. In dieser Zeit zwischen
Studium und Remigration hatte er Österreich nicht nur durch den
Holocaust, sondern auch durch „Das österreichische Wort“
vor Augen. Er war ein Schöngeist, von Anfang an, liebte die alte
Penn Station in NYC und kaufte dort die Taschenbücher des
Grazer Stiasny Verlags und las sie in einem Kaffeehaus und in einer
Bibliothek im Obergeschoss des Bahnhofs für die Intercity-Züge
(Die Pennsylvania Station wurde später abgetragen und neu
errichtet). Seine wichtigste Idee war, den einen oder anderen Autor
jenes österreichischen Verlags ins Englische zu übersetzen.
Er hatte die österreichische Gesellschaft falsch vor Augen. Er
stellte sie sich so geradlinig und offenherzig vor wie einen
Konflikt, den er bei Macmillan selber miterlebt hatte. Ein Autor
war gegen seinen Lektor handgreiflich geworden, dieser hatte
ihn aus seinem Büro hinausgezerrt und ihm ein Kleidungsstück
nachgeworfen. Doch in Wien wird die Brutalität psychisch,
nicht physisch gelitten. In der Tat gab es hier höchstens eine –
theaterhafte – Ohrfeige von Käthe Dorsch für Hans Weigel,
und auch das war eine rare Ausnahme gewesen. Sohn und
Mutter Kuhner entschlossen sich, nach Wien zu gehen, wobei
sie naturgemäß Restitution im Auge hatten, denn das Haus der
Familie im 2. Bezirk war weggenommen worden. Aber auch
die Chancen eines Übersetzers, der österreichische Autoren
auswählt und im englischen Sprachraum bekannt macht, spielten
bei der Übersiedlung eine Rolle. Es kam dann anders, die
Restitution konnte nicht gemacht und der hohe Anspruch eines
jungen Übersetzers nicht eingelöst werden. Aber Kuhner
lernte die Vertreter des Wiener Kulturbetriebs eher schnell als
langsam kennen. Vor allem Jeannie Ebner, die in allen Gremien
saß, und Wolfgang Kraus, der die Literaturgesellschaft (ÖGL)
gegründet hatte. Und auch mit Otto Mauer, der die neueste
Avantgarde – Malerei durch religiöse Mystik deutete, wurde er bekannt.
Die 1960 er Jahre waren eine Zeit, in der die Avantgarde schon
sehr rege war, aber keine Öffentlichkeit bekam. Die Zeitungen
und der monopole Rundfunk ignorierten sie fast völlig.
Das heißt, dass vom Wiener Aktionismus und von der Wiener
Gruppe die österreichischen Medien auf vernünftige Weise
nicht berichteten. Man konnte manchmal den einen oder anderen
Namen lesen, ihn aber als Leser ohne Kenntnisse von Moderner
Kunst nur mit dem Bild eines Dilettanten oder Sittenstrolches
verbinden.
Nun hat der konservativ empfindende Herbert Kuhner die
Wiener Avantgarde von Damals nicht auf Herz und Nieren
geprüft. Er ging ihr aus dem Weg und belastete sie auch nicht
durch den Gedanken, der falsch ist und den er später manisch
vertrat, dass sie mitten in der Kunst den NS Geist der
Zerstörung reaktiviert. Das kam später. Ende der 1960 er
war Kuhner noch kein Kämpfer gegen Ungeist und verkappten NS,
sondern nur ein ästhetisch Konservativer, der das Neue
manchmal an sich heran ließ. Andernfalls wäre er nicht nach
Berlin gereist, um die Vertreter des Wiener Aktionismus, die nach
Berlin emigriert waren, zu besuchen. Seine dortigen Begegnungen
waren so desaströs, dass er sie in einem polemischen und
witzigen Text verewigte. In „DA – DA GA – GA KA – KA“,
erschienen – mit zeitlicher Verspätung – in Reinhard Federmann´ s
„Pestsäule“ (Nr. 1, Sept. 1972, S. 69 – 74)
Ab dem Moment, schreibt Kuhner, „war ich in Österreich kein
Unbekannter mehr. Da ich die heiligen Kühe der österreichischen
Kulturszene literarisch abgeschlachtet hatte, war ich als ´Reaktionär
und Faschist´ entlarvt. Sie haben gerade Selbstmord begangen,
erklärte mir der Kulturredakteur des katholischen, intellektuellen
Wochenblattes“ (H.K., Der Ausschluss, Ed. 39, Wien 1988, S. 46)
„Die Pestsäule“ hatte nur eine kleine Auflage, doch alle, die
es anging, und einige, die auch das Neue versuchten, und
alle, die es förderten, lasen den besagten Text. Sie notierten
sich Kuhner auf einer schwarzen Liste, die es vor 1970 gar nicht
gegeben hatte. Doch jetzt war ein „Wandel des Kulturklimas“
passiert und der ästhetische Neuanfang musste absolut gut
gefunden werden, damit das Land Österreich nicht als
Kulturprovinz erschien.
Der Text von Kuhner wurde also kritisiert und in jeder Kritik
der Kritik wurde sein Name weggelassen. Während dem
Außenseiter so die Öffentlichkeit genommen wurde, wurde
sein Name im Fachbereich abwertend verbreitet. Kuhner
erlebte die Distanzierung von seinen Projekten, sei es eine
Anthologie, eine Übersetzung, eine Lesung, die stets
unerwartet und begründungslos erfolgte. ZB. wurde
einem Maler, bei dessen Vernissage er aus seinen Texten
lesen sollte, der Ausschluss aus Galerien sowie das Ende
der Berichterstattung in Kunstzeitschriften angedroht. Das
könnte man heute rechtlich verfolgen, wenn die Drohung
etwa durch einen Brief geschah, doch in den 1970 ern
gab´ s nichts dagegen. Konformismus hat etwas Teuflisches
an sich, weil er auf dem freien Willen mehrerer oder
vieler Einzelner beruht, die sich konform verhalten und
gleichzeitig den Druck leugnen.
1975/76 wollte Wolfgang Kraus die Teilnahme von Herbert
Kuhner an einem australischen Poesie–Festival verhindern.
Er war damals nicht nur Präsident der ÖGL, sondern
auch Kultur – Koordinator im Außenamt. Durch ein
„literarisches Gutachten“ kappte er die Entsendung Kuhners
nach Adelaide. Das Wort „ungeeignet als Künstler, Österreich
zu vertreten“ wog schwerer als die Nichtbezahlung der
Reisespesen. „Die Regierung Ihres Heimatlandes“, schrieb
die Festival–Leitung in Adelaide, „hat es abgelehnt, Sie nach A.
zu senden. Sie scheinen bei denen recht unbeliebt zu sein.“
So fuhr der Außenseiter auf eigene Kosten. In Australien
hatte er mehrere Lesungen und außerdem Kontakt zu der
Zeitschrift“ Index“, in der er dann die Machenschaften von
Kraus auflistete.
W. Kraus hat einem Autor geschadet, nur weil dieser die
wilden Aktionisten kritisierte? Kaum zu glauben, aber so war
es. Der konservative Wolfgang Kraus, der zB. die „Alte Schmiede“
als Konkurrentin der ÖGL missverstand, wollte der ihm fremden
„roten Macht“ offenbar einen Dienst erweisen. Jemandem
helfen, der Hilfe nicht braucht, in der Hoffnung, dass sich dieser
positiv revanchieren wird, - ist die ekelhafte, aber effiziente
Art des Karrieristen. Und dieser umtriebige Kulturfunktionär
mit dem eingepflanzten Lächeln und den fabelhaft betitelten
Sachbüchern, die ganz langweilig zu lesen sind, setzte seine
eigene Rolle über alles andere (die Zeitgeschichte wird ihn
vielleicht noch als Thema erkennen, so wie den Radiodirektor
Rudolf Henz).
Die Kritik an Kraus in einer ausländischen Zeitung aktivierte
ein ganzes Ministerium. Der Einzelne kritisierte hier den Fehler
einer einzelnen Person und hatte auf einmal die ganze
Institution gegen sich. Kuhner erhielt eine Einladung ins Außenamt,
um dort die Sache, die so groß nicht war, durch ein Gespräch
zu bereinigen. Das glückte nicht und in einer zweiten Sitzung,
in der wieder Kraus fehlte, sollte Kuhner einfach ein Schuldgeständnis
unterschreiben. Der Tapfere stand auf und ging und Tage
später kam ein anonymer Anruf: „Herr Kuhner, wenn Sie Ihre
Sache nicht einstellen, werden wir den Amtsarzt schicken.“
Kuhner wurde als „Psychopath“ verleumdet. Er, der bereits als
„Provokateur“ und „schlechter Autor“ gehandelt wurde, musste
jetzt Autoren und sonstige Mitarbeiter bei seinen Lyrik-Anthologien
von der seelischen Geradlinigkeit seines Charakters überzeugen.
Das ist wohl stets gelungen. Doch in einem Punkt hatte sich
seine Weltsicht verengt. Er sammelte Material über die
Kunstavantgarde und deutete sie einseitig und schwarz. Gerade
damals traten die Vertreter der besagten Moderne in den
internationalen Galeriebetrieb ein und wurden also auch in
Österreich akzeptiert. Nicht von der Bevölkerung, von den
Maßgeblichen. Von den Leuten, auf die es in einem Betrieb
ankommt. Eben noch ignorierte und geächtete Künstler tauchten
im Kunstverständnis der Großparteien auf (A. Rainer und
H. Nitsch bei ÖVP, P. Weibel und O. Mühl bei SPÖ).
Heute sieht Kuhner die symbolische Gewalt in der Kunst
nicht als Bruch im Werk oder als Austritt aus der Ästhetik,
sondern als Zerstörung des Geistes schlechthin. Dabei klammert
er sich an O. Mühl, der Tiere auf der Bühne schlachtete und
die ärgsten Sprüche von sich gab, aber auch an V. Export,
die einen Vogel mit heißem Wachs begoss. In der Regel
waren die Aktionen der Schock – Künstler auf symbolische
Gewalt beschränkt. Kuhner aber, der Zeugnisse für
symbolische (und echte) Gewalt fanatisch sammelt, will
im Aktionismus nicht Unfug und Schwindel festgestellt wissen,
sondern Gewaltlust und Nazigeist. „Die Sache läuft blendend“,
schreibt er, „Die Aktionisten agieren als Antifaschisten/ Und
haben als Künstler internationale Anerkennung errungen/
Und du kommst her und versuchst, alles zu vermiesen. /
Kein Wunder, dass sie den Kritiker ausschalten wollen.“ (H.K.,
In: Die Nachwirkungen vergangener Tage) Was tatsächlich
geschah, war komplizierter als Kuhner denkt. Die Mühl
und Nitsch bezeichneten ihre Kritiker als „Nazis“, als „Nazispießer“
und als „Ehemalige“. Das war für Kuhner, der die Nazis
schockhaft erlebt hatte, die wahre Provokation. „Ich habe das
Dritte Reich“, schreibt er, in sehr jungen Jahren erfahren/ Und
bin jetzt dabei, Nachkriegsösterreich als Remigrant zu erleben. /
Vielleicht kann ich dadurch manches schärfer erleben.“ (a.a.O.)
Im Nebel der Nazi - Metapher wird aber alles unklar. Vielleicht
ausgenommen Otto Mühl, der eine Zeitlang Krüppel erschießen
wollte, hatte das Schwatzen und Agieren der Aktionisten mit
typischer Nazi – Gewalt nichts zu tun. Ihre Forderung nach
Freiheit der Kunst war ein Ärgernis, aber das Schlachten
von Tieren, das Verspritzen von Blut und Eingeweiden, der
sexuelle Missbrauch und das Sich-Wälzen-im-Kot waren nicht
typisch für Nazigewalt. Gewalt ist hier mit Orgie und Libertinage
bildhaft verknüpft. Sie ist nicht verknüpft mit der Gaskammer
und dem SS Mann, der sich vor dem Leichenberg übergibt.
Leider hält Kuhner an der Nazi – Metapher fest und der eine
oder andere Philosoph gibt ihm recht: „ich glaube tatsächlich,
dass in der gesamten Kunstszene eine Nachfolge dieses Regimes
(Hitler – Regime, Anm. M.L.) gegeben ist, denn sie ist die einzige
erlaubte Diktatur in diesem Land.“ (H. Kohlenberger in dem Film
„Das Meisterspiel“ von Lutz Dammböck). So wird auch die Freiheit
der Kunst unzulässig strapaziert, sie soll echte Diktatur ermöglichen.
In seiner Klage gegen das Unrecht erkundigte sich Kuhner,
„ob ich meinen Fall internationalisieren könnte. Man erklärte mir,
dass dies nur möglich sei, wenn der Fall vorher vom Österreichischen
VGH behandelt worden sei. Dr. Starr meinte, dass ein solches
Verfahren Jahre dauern könnte (…) Während die Travestie des
Außenamtes ihren Lauf nahm, schrumpfte die Zahl meiner
Autoren-Freunde. Schließlich konnte ich sie an einem Finger
abzählen.“ (H.K., Die Ausschließung, S. 88) Der offenbar letzte
Freund diskutierte die Sache gut und gern. Er war in einer „Liga
für Menschenrechte“ tätig und brachte dennoch den Fall
Kraus/Kuhner in seinem Verein nicht zur Sprache. Er hielt ihn für
ein Missverständnis. Für die Mischung aus Missverständnis
und Gemeinheit bezahlte Kuhner mit viel Zeit, Geld und
Leid.
Der sture und unbelehrbare Herbert Kuhner ist in eine
Sackgasse geraten, aus der man nur durch Nachdenken
herauskommt. Er hat zu viel Pech und Unrecht erlitten. Er hat
die Kunstavantgarde in dem Moment kritisiert, als sie in Österreich -
politisch – aufgewertet wurde. Ein leerer Karrierist, der nur
seine Macht zeigen wollte, hat Kuhner aus der Bahn gedrängt.
Und ein Milieu freiberuflicher Autoren, bei denen man echte
Autonomie vermuten würde, hat ihn durch Konformismus
zusätzlich isoliert. Nur da und dort, nicht in jedem Buch,
stieß Kuhner zur Poesie durch. Sein Übersetzen konnte er
nicht im großen Ausmaß betreiben. Er wäre der Richtige dafür
gewesen, eine gute, unbekannte, europäische Lyrik im englischen
Sprachraum zu verbreiten. Leider kam es anders.
© M.Luksan, Oktober 2019
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