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Der Kunstkritiker, er hat's nicht leicht
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Ein Kunstkritiker ist die Hauptfigur in Daniel Kehlmanns Buch „Ich
und Kaminski“. Diesen eitlen Menschen, der die Biografie
eines berühmten Malers schreibt und dabei innerhalb der
eigenen Zunft mit den Ellbogen um sich stößt, beschreibt
Markus Gasser mit satirischem Witz. „Zöllner schiebt, stößt und
tritt, was ihm den Weg zu versperren scheint, denn die Welt
ist ihm etwas schuldig, sie weiß es nur noch nicht. Da sitzt er nun
und macht sich im Vollbesitz seines Hochmuts daran, Bahrings
Braque-Biografie nieder zu rezensieren (…), Dass ihm das weniger
Spaß bereitet als erwartet, hat einen guten Grund: er sieht, wie
sein Gegenüber im Waggon ausgerechnet ein Buch von Bahring
liest. Einen Bahnhof später glotzen ihn Bahrings Werke zu Picasso
und Rembrandt von einem Drehständer aus an, als wollten
sie sagen: Und was machst du jetzt?“ (M.G., Das Königreich
im Meer, Reinbek 2013, S. 80)
In der Kunstmoderne war der Kritiker immer abgehoben,
weil ja das Publikum die moderne Kunst nicht verstand.
Siehe Clement Greenberg, den Nuala O‘Faolain verewigte
(Nur nicht unsichtbar werden, 1. Aufl. 1996 Dublin, 24. Auflage
2010 Reinbek). Doch nun, da die Moderne durchgesetzt ist,
ist der Kritiker abgehoben und wirr zugleich. Seine große
Unklarheit besteht nur für den Leser, für ihn selber nicht.
Schon Th. Wolfe beschrieb mit der Figur des Dr. Turner einen
amerikanischen Kritiker, den es wirklich gab. Er nannte den
„Ulisses“ 1923, als er in den USA verboten war, eine
„Enzyklopädie des Schmutzes“, feierte ihn aber zehn Jahre später,
als das Buch für den Halbkontinent frei gegeben war, einen
„Triumph über die Mächte der Bigotterie und Intoleranz“
(Th. Wolfe, Porträt eines Literaturkritikers, 1939, In: Sämtliche
Erzählungen, Reinbek 1978, S. 210). Besagter Turner wollte
das Gras wachsen hören, aber auch der Macht niemals
widersprechen. Herauskam eine Art von Trickserei, die vor allem Rekruten anschaulich vor Augen haben. „So brachte es
Dr. Turner immer wieder fertig, wenn er einmal falschen
Tritt hatte, den Schritt zu wechseln, bevor der Unteroffizier
es gemerkt hatte.“ (Th. W., a.a.O., S. 211)
Warum hörte Turner damit auf, in einem singulären Werk
den Anteil von Kunst festzustellen? Weil diese Kernaufgabe
undankbar ist und weil sie die Überlegenheit des Künstlers bestätigt.
Ein Wendehals wie Turner lenkt – umgekehrt – halb von der
Kunst ab und deutet das Werk im Zusammenhang mit Nation.
Wenn der höchste Zensor den „Ulisses“ als schädlich
für die Nation bezeichnet, dann ist das für Turner die primäre
Lesart seiner Kritik, für die er die Gesamtform überall
vernachlässigt. Er ähnelt damit den französischen Kritikern
nach 1945, über die Jean Paul Sartre in „Temps Modernes“
schrieb: „Aus Furcht und aus dem Streben nach allgemeiner
Anerkennung liest der Kritiker heutzutage ein Werk so,
wie man es gewöhnlich zum zweiten Mal liest.“ (J.P.S.,
Die Nationalisierung der Literatur, In: Der Mensch und die
Dinge, Reinbek 1978, S. 178) Mit dieser neuen Haltung
beschrieb Sartre einen erstaunlichen Wandel. Um 1925
erfasste die französische Kritik primär die persönlichen
Vorzüge oder Schwächen eines Autors, während sie 1945
in erster Linie nach der nationalen Bedeutung eines
Werkes fragte. Diese allgemeine Veränderung im Kopf fand
in nur zwanzig Jahren statt.
Der Kritiker ist also nicht bescheiden. Er ignoriert, dass er
vom normalen Kunstbetrachter nur durch einen – meist
geringen – Wissens- und Bildungsvorsprung getrennt ist.
Er fühlt sich durch das Medium der Kritik privilegiert, doch
auch mit Hilfe von Zeitung, Rundfunk usw. kann er
das Werk so wenig objektiv erfassen wie der normale
Betrachter. Diese Einschränkung bei der Wahrheitsfindung,
die der Wissenschaftler nicht hat, ignoriert er und
tritt stattdessen die Flucht nach vorne an. Er tritt in eine
Geschmackselite ein, die sich mit Hilfe von Betrieb zu
einer sozialen Elite verfestigt. Für seinen Sebastian Zöllner
fand D. Kehlmann ein pralles Vorbild in der Realität:
Nicholas Fox Weber, der dem Maler Balthus eine brutale,
zeitungshafte Biografie gewidmet hat.
Wenn der Kunstkritiker ein schroffes Urteil spricht, so ist
das seine kesse Subjektivität, die man ertragen kann.
Nicht erträglich sind jedoch die Zeichen seiner Zugehörigkeit
zu einer erlesenen Gemeinschaft der Wissenden und der
Liebenden, die es nicht gibt. Manche Kunstkritiker
und Kunstvermittler holen sich zum Beispiel einen großen
Künstler mit den Worten „Er und ich werden heute Ihre
Fragen beantworten. Ich habe ihn gleich mitgebracht“
auf die Bühne. Daniel Kehlmann hat einen solchen Typus
2009 offenbar kennen gelernt. M. Gasser schreibt dazu:
„Als Daniel Kehlmann in seiner Eröffnungsrede zu den
Salzburger Festspielen eine ästhetische Position attackierte,
die den Regisseur eines Stückes als den eigentlichen
Künstler über dem Autor thronen ließ, konterte
der Theatermacher Nicolas Stemann, Kehlmann solle
sich doch einmal „Produktionen wie meine Inszenierung
von Elfriede Jelinek“ zu Gemüte führen, um zu erkennen,
welche „Vielzahl fruchtbarer Allianzen“ es gäbe (…) wie die
zwischen Elfriede Jelinek und mir“. (M.G., a.a.O., S. 85 f.)
Die Ebenbürtigkeit von Kritiker und Künstler ist an sich falsch,
weil der Kritiker kein originärer Schöpfer ist. Sie ist aber in
Österreich, wo die Kunstmoderne bis 1945 niemandem, auch einer
Elite nicht, bekannt war, nicht ganz unvernünftig. Ein Kritiker
wie z.B. Otto Mauer war nicht nur ein Kommentierer und Deuter
der Werke anderer, er hat auch – ohne jeden Kapitalismus -
deren Existenz mehrfach ermöglicht. Das ändert nichts daran,
dass er eine große, innere Gefügtheit letztlich nicht erreicht
hat. Wenn er nämlich Alfred Kubin vorwarf, dass er seine Kunst
persönlichen Teufeln widmete, und dann etwa zehn Jahre
später mit Ab Ex (Abstract Expressionism) den mit Tod und
Teufeln ringenden Künstler zur Norm erhob. Er wusste von
der Kunstmoderne zunächst nichts, nichts während des
Bundes Neuland und nichts während des Dritten Reiches, doch
er entdeckte sie um 1950 und führte sie beschleunigt ein. An
Stelle der Nation wollte er bestimmte Kunsteigenschaften im Werk
unbedingt vorfinden, die man gerade wegen der Kunstfreiheit
nicht allgemein verordnen kann.
Otto Mauer im Atelier von Karl Prantl, 1972,
mit österreichischen Malern.
Warum der Kunstkritiker in seine heutige, bisher größte Krise
gelangte, hat Hanno Rauterberg klar und schön erklärt. Durch
mehrere Rollen im Kunstbetrieb, die einander ausschließen,
hat sich der Kritiker in die Sphäre des Ungefähren und
Vorläufigen begeben. Seine Urteile haben keine Ähnlichkeit
mehr mit denen von Dr. Turner. Er macht aber auch dessen Fehler
nicht mehr. Doch der Betrachter hat sich auch verändert.
Und gerade, weil er sich heute ein eigenes Urteil bildet,
ist er an der Entschiedenheit des Kritikers interessiert.
„Gefragt ist der Kritiker, der sich zu seiner eigenen Wahrnehmung
bekennt. Nur ein solcher kann die Streitpunkte benennen, die
Thesen formulieren, die Themen eingrenzen, und Katalysator
sein.“ (H. Rauterberg, In: ZEITONLINE)
© M.Luksan, März 2020
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