Ein Journalist entdeckte die Förderung eines jungen Filmemachers
durch ein Kulturamt und schrieb: „Ferner Subvention an
Petrus van der Let, einen Abfall der Niederlande.“ Er hätte auch
schreiben können: „an einen Filmnovizen mit holländischen
Wurzeln“, aber er wollte den Witz und die Herabwürdigung haben.
Richard Nimmerrichter, genannt „Staberl“, wollte den Spott, der
v.a. bei leidenschaftlicher Ablehnung leicht entsteht, nicht als
Blitz im Text haben, sondern er wollte ihn als Häme zelebrieren.
Er wollte das, was er zufällig entdeckt hatte und was er wie eine
Entlarvung empfand (ein Künstler finanziert seine Produktion
nicht selber), wie einen echten Schadensfall behandeln, über
den man öffentlich spotten darf.
P. van der Let drohte ihm eine Klage an und Nimmerrichter
entschuldigte sich in der nächsten Nummer. Hätte Staberl den
Prozess verloren, hätte ihn sein Chefredakteur und Herausgeber
von Schaden frei gehalten. Hans Dichand war die Staberl-Kolumne
nicht „passiert“, er hatte sie von Anfang an als die tägliche
Pranger – Ecke in der Kronen Zeitung eingerichtet. Ihm
war auch nie die Nachricht das Wichtigste in seiner Zeitung,
sondern die Kronen Zeitung sollte und soll eine „Lebensbegleitung“
sein. Sie will auch heute weniger die Köpfe ihrer Leser und
Leserinnen aktivieren, als deren Emotionen. Sie will das
bescheidene Leben der Leserinnen und Leser durch Sport,
Motor, Adabei, Bezirksgericht, Tierecke, Pfarrer, Pinup Girl
und Politik konkret ansprechen. Das ist zynisch, aber effizient.
In der Vielfalt der Texte und Bilder, die sich immer schon
anboten, fehlten Dichand die Leserbriefe („Die werden immer
gern gelesen und sie kosten uns ja nix“, O Ton H. Dichand) sowie
die souveräne Stimme, die die Gesinnung der Briefe durch
Beispiele verdeutlicht.
Diese Stimme war R. Nimmerrichter. Dichand holte ihn von der
„Wochenpresse“ weg hinein in seine, eben erst gegründete
„Neue Kronen Zeitung“. Er schätzte dessen Eitelkeit und
dessen materiellen Aufstiegswillen richtig ein (als er ihm die
Kolumne nicht dreimal wöchentlich, sondern täglich anbot).
Und er fühlte sich dem andern durch Herkunft und
Kriegserlebnisse verbunden. Dem Chef wie dem Angeheuerten
war außerdem der gleiche, marketinghafte Blick auf die
künftige Leserschaft gemeinsam. Die Leser und Leserinnen
waren hier umfassend gedachte Zielpersonen, weit über die
geistigen Belange hinaus. Dichand war umsichtiger als
Nimmerrichter, denn er hatte als Chef steirischer Regionalzeitungen
und des „Kurier“ Erfahrungen mit vielen Zeitungslesern
schon gemacht.
Sein Hauptgedanke war, den sog. Kleinen Mann mit den sog.
Ehemaligen zu verbinden. Der Arbeiter und der Angestellte
aus dem Niedriglohn – Bereich, ohne parteipolitische Ausrichtung,
der Facharbeiter, der die Hochschulbildung verachtet,
der Selbständige, den die Kammerumlage belastet, sollten
mit einstigen Nazifamilien, die vom „Dritten Reich“ nichts
mehr hören wollten, eine Gemeinde bilden. Auch galten
alle Besser – Gestellten, die nur durch Bildung bessere Berufe
hatten, alle Bonzen und Bürokraten, alle Subventionsnehmer
und Kulturmodernen als zweifelhaft. Unter diesen Vorgaben
formte Hans Dichand, der die Gabe hatte, alle Strömungen im
Land von 1960 bis zum Ausländer – Volksbegehren richtig
einzuschätzen, seine große und halb gebildete Gemeinde.
Trotz seiner Erfahrungen und seines zupackenden Verstandes,
verriet er in seinen „Cato“-Kommentaren immer wieder, dass
sein Horizont nicht weiter aufgespannt war als von
Staberl. Er betonte aber den Selfmademan, der er war,
nicht so stark wie Nimmerrichter, der das nicht war. Dieser
führte seinen journalistischer Erfolg auf eigene Tatkraft
und eigene Geistesgaben zurück. 2001 trennten sich
die Wege der beiden Journalisten. Nimmerrichter war damals
entschlossen, Schüssels „kleine Koalition“ (ÖVP/FPÖ) zu
bejubeln und die Immo – Geschäfte von Ariel Muzicant ganz
schlecht zu finden. Diese Art von Konfrontation wollte Dichand
nicht haben, sie hätte der Zeitung geschadet, also hielt er
weiterhin die Kronen Zeitung in Opposition zur bestehenden
Regierung. Er sah, dass Schüssels Regierung gegen den
Willen der Bevölkerungsmehrheit gebildet worden war (ein
Teil der ÖVP war dagegen).
Für seine Kolumne musste Nimmerrichter nicht strategisch
denken, er musste aber wissen, was die Themen und Botschaften
der Stammtische waren. Das war ihm möglich. 1992 und 93
hat die Kronen Zeitung ganz massiv den Kurs von Jörg Haider
unterstützt. Das strategische Denken von Dichand hat damals
so gut funktioniert, dass Staberl einen Tabubruch wagte
(und von Dichand nicht zurückgepfiffen wurde), der 1974, zur
Zeit der Juden – Serie von Viktor Reimann nicht möglich gewesen
wäre. Nimmerrichter relativierte die durch das „Dritte Reich“
ermordeten, sechs Millionen Juden. Nur wenige seien
durch die Gaskammern, die meisten anders – und „banaler“ -
ausgelöscht worden (R. N., Methoden des Massenmordes,
In: Kr.Ztg., 10. März 1992)
Gerhard Botz hat diesen Artikel juristisch untersucht und ihn
als Verstoß gegen das Verbotsgesetz qualifiziert (G.B., In:
Handbuch des österr. Rechtsextremismus, 2. Aufl., Wien 1993,
514 ff.) Man muss dazusagen, dass Nimmerrichter nicht
primär das Nazitum verteidigte, sondern versuchte, den
Leserkreis der Zeitung zu erweitern. Der Artikel war einer
seiner Beiträge zur Versöhnung des Kleinen Mannes mit den
Ehemaligen. Die Kronen Zeitung war längst zweideutig
dadurch, dass sie behauptete, dem Volk aufs Maul zu
schauen, während sie in Wahrheit ihre eigene Sprache
entwickelte. Sie schuf sich ein „eigenes Volk“. Die gewisse
„Verbundenheit“ mit Unterschichten wurde hier nicht durch
sprachliche Annäherung erreicht, sondern durch eine inhaltliche
Anbiederung (die eigene Meinung wurde zurückgestellt
zum Beispiel bei der Ausländerfrage und bei der Frage
nach der Gerechtigkeit). R. Nimmerrichter stellte seine
eigene Meinung zurück, als er die Teil-Leugnung der
Gaskammern in der auflagenstärksten Zeitung Österreichs
gegen alle Forschung vertrat. Darüber hinaus wollte
sein Artikel als Nachweis gelten, dass nur die Kronen Zeitung
eine unabhängige Zeitung war und kein Denkverbot
akzeptierte.
Was den Selfmademan von R. Nimmerrichter betrifft,
so war er um 1950 ein Nachkriegsmythos. Ein junger Mann,
der keine Ausbildung gehabt hatte, weil er in den Krieg geschickt
worden war, kehrte als „Unzerstörbarer“ in die Zivilisation zurück
(es gab auch die, die als „Zerstörbare“ wieder kamen). Er
ließ nun weder linke Erklärungen noch überhaupt Intellekt
an sich heran, sondern krempelte die Ärmeln hoch und
stürzte sich ins Aufbauleben. R. Nimmerrichter ging dorthin,
wo die Sieger waren, er arbeitete für Pressedienste der
Alliierten. Da er sportlich war und die Studierstube floh,
fühlte er sich für Sport zuständig. Sein Bruder Alfred, der wie
er als Sportjournalist begann, stellte die Gefallsucht von
Richard in der Männerwelt fest. Auch den Frauen gefiel
dieser hübsche und drahtige Mann, der da bildungsarm,
aber selbstbewusst in der Boulevardzeitung über Sport
berichtete.
R. Nimmerrichter und J. Haider - Ins
Ohr der Kronen Zeitung gesprochen.
R. Nimmerrichter, Sohn eines Arbeiters, hat sich nie in ein
Projekt oder in ein Unternehmen Hals über Kopf vertieft und
dadurch seine Umwelt vernachlässigt. Er hat aber wie ein
vorsichtiger Kleinbürger auf Absicherung durch Anstellung stets
geachtet. Als Journalist, Vertreter eines Faches, für das
es eigentlich keine Ausbildung gibt, war er lange Zeit
nur mit Sport beschäftigt, ehe er sich als Anhänger von
Margret Thatcher entdeckte und den autonomen Wirtschafts-
treibenden vertrat, den ein starker Staat angeblich
nur behindert. Der junge Haider schien ihm den gleichen
Weg zu gehen, den Nimmerrichter glaubte, gegangen zu
sein. Er übersah, dass Haider ein Großerbe und geförderter
Landesrat war, weil ihm im Grunde nur Idealität interessierte.
Der ideale Mensch trat stark und arbeitsfroh aus dem Nichts
hervor und baute ein Land auf oder führte es aus der Krise.
Haider und Nimmerrichter - sie wollten eine österreichische
„silent majority“ vor dem Denken der „eggheads“ schützen.
In den Staberl – Kolumnen ging es zB. um einen Ämter – Multi,
der vom eigenen Parteivorstand gerügt wurde, weil er in einem
seiner Ämter nie gesehen worden war. Diese Rüge war der
Schaden für den Politiker und der Anlass für den Artikel.
Oder es ging um einen „Staatskünstler“, der sich über die
Spießigkeit der Leute beklagte, die ihn nach einem Interview
beschimpft hatten. Jeden dieser Vorfälle beschrieb
Nimmerrichter auf sarkastische Art, so als hätte man ihn täglich
erwarten dürfen, weil die Person allen Durchblickenden
und Rechtschaffenen im Land längst zweifelhaft gewesen
war.
Die Kolumnen waren gut gebaut. Wenn ein Artikel zu Ende war,
war durch die Verächtlich-Machung der Person immer
auch die linke Ideologie diskreditiert, die die beschriebene
Person vertrat. Staberl stellte die Wahrheit einer fremden
Ideologie durch eine argumentative Beweisführung kaum je
in Frage, sondern er „widerlegte“ sie durch die Mängel der
Person. Wahrscheinlich sah er darin die “lebenspraktische“
Widerlegung. Ungeachtet dessen schrieb er sich nie in
einen Wirbel, sondern kontrollierte seine kurzen Texte, die
mehr gesprochen als geschrieben waren, durch Logik und
Rhetorik gut. Angeblich legt er heute keinen Wert darauf,
als guter Journalist zu gelten, wie er Thomas Frank in einem
Interview vor Jahren mitteilte.
Was ihm aber bis heute wichtig ist, ist der Schein von
Autonomie. Ein Mann sein, der sich alles aus eigener
Kraft schafft und dabei immer integer bleibt und bedürfnislos
dazu – mit diesem Schein spiegelte er Conny Bischofberger
im Interview an (C.B., Wie war Ihr Jahrhundert,
Herr Nimmerrichter?, In: Kronen Zeitung, 20.12.2020).
Er hält an der irrigen Annahme fest, dass er sich sein
Leben ohne große Anpassung selbst verdankt. Dieser
Glaube hängt hier mit dem schönen und fitten Körper
zusammen, den er in der Tat hat. Doch Nimmerrichter
unterschlägt, dass sein Körper die längste Zeit sein
höchster Wert und sein letzter Sinn gewesen ist.
Diese Botschaft hätte er als Staberl nicht verkünden
können. Auch muss der schöne und fitte Körper, wie
es der Fall Haider zeigt, von schnöder Berufsarbeit
tagsüber frei gestellt sein, weil man sonst am Abend
nicht gelockert und geschönt in der Fernsehshow auftreten
kann. Diese Bedingung des narzisstischen Politikers – und
des narzisstischen Journalisten – bedeutet aber, dass der
Betreffende nicht gegen den Strom schwimmt, sondern
privilegiert lebt und sich Moral nur anmaßt.
© M. Luksan, Jänner 2021
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