Bei einer öffentlichen Bauvergabe machen Baufirmen
total überhöhte Angebote, nur damit eine Firma aus ihrer
Mitte als Billigbieter auftreten kann. Diese bezahlt dann
einen Teil ihres Gewinnes an die ausgeschiedenen Firmen.
Hier sind alle Teilnehmer am Absprache – Netzwerk aktive
Korruptionisten und es ist sinnlos von „schwarzen Schafen“
oder von „löblichen Ausnahmen“ zu sprechen. Die Firmen
bilden ein geschlossenes System, zu dem dann auch die
öffentliche Hand gehört, die genau weiß, warum die Preise so
hoch sind, und die dennoch den „Billigbieter“ akzeptiert
und keine ausländischen Anböte einholt. In einem solchen
Milieu ist jede einzelne Firma gezwungen, zu betrügen und zu
korrumpieren, um überhaupt bestehen zu können, d.h. um aus
dem Markt nicht ausscheiden zu müssen.
Fall Zwei ist ein Hochschulprofessor, dem von der Industrie
für einen Vortrag über ein Allerweltsthema so viel bezahlt wird
wie für ein Forschungsprojekt. Er erhält ein total überhöhtes
Honorar. Als Gegenleistung befindet er an anderer
Stelle, in einem seriösen, wissenschaftlichen Gremium, ein
bedenkliches Pflanzenschutzmittel für „unbedenklich“. Hier
ist der Druck, den ein Einzelner aushalten muss, fast Null,
verglichen mit dem Korruptszwang, der auf der Baufirma
lastet. Der Professor ist nämlich kein Mitglied der Privatwirtschaft,
sondern gehört zum staatlichen System. Er würde sein
Ordinariat nicht verlieren, falls er wissenschaftlich korrekt
entschiede – er würde nur sein Nebeneinkommen durch
die Industrie verlieren.
Fall Drei. Eine Korruption, die nicht punktuell ist und nicht
erzwungen wird, wird trotzdem nicht aufgedeckt, weil
Mitwisser vom Betrug profitieren. Eine Filmfirma entdeckt, dass
bei einer Call – in – Show, die sie für einen Sender produziert,
die anrufenden Zuschauer gutgläubig und langmütig sind.
Die Leute stoßen sich nicht daran, dass jemand ein zweites
Mal gewinnt und sie harren in der Warteschleife für Anrufer
lange aus. Das bringt die Filmfirma auf die Idee, einen
Betrug zu organisieren. Sie lässt Lockvögel, die sich als normale
Zuschauer ausgeben, sämtliche Rätsel gewinnen, und sie sorgt
durch digitale Kennzeichnung der Anrufe, dass nur die Lockvögel
in der Leitung durchkommen. Alle anderen Anrufer werden
blockiert. Jeder Lockvogel erhält 500 Euro Honorar, die vollen
Preise werden nicht ausbezahlt. (Zusätzlicher Gewinn: die
Anrufe sind kostenpflichtig.)
In besagtem Fall ist der Kreis nicht klein. Es braucht die
Lockvögel, die sich über ihre „Preise“ öffentlich freuen,
ferner die Moderatoren, die ignorieren, dass immer dieselben
Leute die Preise gewinnen, und schließlich die Techniker,
die die Anrufe manipulieren. Das würde aber nur den Betrug,
nicht auch die Korruption an der Sache erklären. Hier spielen
Mitwisser eine wichtige Rolle. Gemeint sind die Besitzer des
Studios, die die Räume und die Aufnahmetechnik zur Verfügung
stellen, sowie der Sender, der durch die hohe Einschaltquote
(die Sendung ist sehr beliebt) seine öde Werbezeit vor und
innerhalb der Sendung teuer verkauft.
Die Mitwisser sind es hier, die den Schwindel in einem höheren
Sinn ermöglichen. Diese Leute verhindern außerdem,
wenn der Schwindel auffliegt, dass die Täter lückenlos
verfolgt werden. Die korrupte Mitwisserschaft ist
besonders schwer nachzuweisen, denn der Mitwisser
nimmt an der Korruption nicht direkt teil. Er ist weder ein
Nehmer noch ein Geber in der Ausnutzung der öffentlichen
- oder überlegenen - Position für den privaten Vorteil. Er ist
nur eine Art Zeitzeuge mit Nähe zum Geschehen. Man
kann ihm aus dem indirekten Vorteil keinen Strick drehen –
man müsste ihm nachweisen, dass er die verbotene
Handlung aktiv gefördert hat.
Fall Vier. Ein Betrug, initiiert durch ein extrem persönliches Motiv,
kann wegen eines Korruptmilieus über die Jahre hin nicht
aufgedeckt werden. Der Fall des Zentralbuchhalters Franz Lettmüller,
soll hier näher beschrieben sein. Lettmüller, ein circa vierzigjähriger
Mann mit Handelsakademie – Abschluss verursachte durch
gefälschte Schecks und durch heimliche Kredite von 1981 bis 87
einen Schaden von 220 Mio. öS in einer niederösterreichischen
Papierfabrik. Von dem gestohlenen Geld kaufte er Autos, Immobilien,
Rennpferde, die er bis auf die Pferde, die er sich behielt, zum
größten Teil an andere verschenkte. Er lud auch ständig in
Restaurants, in Nachtklubs und sogar in ein Bordell ein. In
den Genuss kamen Arbeitskollegen, Freundinnen und Trainer
der Pferde dieses extrem dicken Mannes. Das Motiv für
seine absurde Verschwenderei war allgemein bekannt und
sogar der Grund für Spott und Verachtung. „Der blade Franz“
wollte sich die Zuneigung und die Achtung anderer
Menschen erkaufen. Diese schenkten ihm weder Liebe noch
Respekt, sondern rissen ihm nur die Geschenke aus den
Händen.
Den Betrug beging Lettmüller ganz allein. Das war bei der großen
Buchhaltung, in der er wirkte, nicht einfach. Aber er war nie im
Urlaub, er kam als erster und ging als letzter und er nahm den
anderen Buchhaltern einen Teil der Arbeit ab. Zu dem Mythos
des „Arbeitstieres“ gesellte sich der Mythos der Erbschaft.
Eine geringe Erbschaft hatte Lettmüller tatsächlich gemacht.
Als er 1981 die Erbschaft seines Vaters antrat, ließen
ihn Arbeitskollegen durch einen Detektiv überprüfen, der
in die Ämter ging und das Faktum feststellte, ohne die
Höhe der Erbschaft zu eruieren
Ab nun liefen ständige Einladungen und viele, immer
größer werdende Geschenke. Die Herkunft des Geldes
wurde nicht nur durch die Erbschaft, sondern auch durch
Wetten beim Pferderennen erklärt (die freilich selten waren
und bei denen Lettmüller kaum gewann). Die bis zuletzt verwendete
Erklärung waren ominöse Auslandsgeschäfte, über die
sich Lettmüller - klarerweise – nicht näher äußerte. Das
Erstaunliche des ganzen Falles liegt also weniger in den
aktiven Schwindeleien, als im Spiel des vorgetäuschten
Vertrauens der sozialen Umwelt. Die Belegschaft der Fabrik,
die Freizeitfreunde, die Ehefrau (die sich scheiden ließ) und
die unverschämte Freundin des Mannes nahmen den
genialen Geschäftssinn des angestellten Buchhalters nicht
ernst. Woher hatte er dann das viele Geld? Diese Frage
ließen sie alle offen. Sie blieben aber dabei, dass Franz
Lettmüller für einen echten Dealmaker zu weich und zu
nachsichtig war.
Es genügte dem Milieu ganz offenbar, dass der Reichtum
des reichen Mannes nicht für ihn selber, sondern für die
andern sprudelte. Sie nahmen, ignorierten drängende Fragen,
bespöttelten den Geber und schlossen dessen Sturz
nicht aus (den sie andererseits nicht herbei wünschten).
Ein Schmarotzertum wie aus einem österreichischen
Zaubermärchen. Nicht die Absonderlichkeit des Täters,
nicht die mangelnde Kontrolle der Firma, sondern der
durchschnittliche Charakterfehler seiner Umwelt, war hier
der primäre Grund, warum der Betrug solange unentdeckt blieb.
Wenn strikt materiell ausgerichtete Menschen es völlig
ausschließen, dass sie selbst durch eigene Kraft zu
Glück und Wohlstand gelangen, dann werden sie offenbar
total korrupt.
© M.Luksan, April 2021
|