DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Korrupte Milieus

Bei einer öffentlichen Bauvergabe machen Baufirmen total überhöhte Angebote, nur damit eine Firma aus ihrer Mitte als Billigbieter auftreten kann. Diese bezahlt dann einen Teil ihres Gewinnes an die ausgeschiedenen Firmen. Hier sind alle Teilnehmer am Absprache – Netzwerk aktive Korruptionisten und es ist sinnlos von „schwarzen Schafen“ oder von „löblichen Ausnahmen“ zu sprechen. Die Firmen bilden ein geschlossenes System, zu dem dann auch die öffentliche Hand gehört, die genau weiß, warum die Preise so hoch sind, und die dennoch den „Billigbieter“ akzeptiert und keine ausländischen Anböte einholt. In einem solchen Milieu ist jede einzelne Firma gezwungen, zu betrügen und zu korrumpieren, um überhaupt bestehen zu können, d.h. um aus dem Markt nicht ausscheiden zu müssen.

Fall Zwei ist ein Hochschulprofessor, dem von der Industrie für einen Vortrag über ein Allerweltsthema so viel bezahlt wird wie für ein Forschungsprojekt. Er erhält ein total überhöhtes Honorar. Als Gegenleistung befindet er an anderer Stelle, in einem seriösen, wissenschaftlichen Gremium, ein bedenkliches Pflanzenschutzmittel für „unbedenklich“. Hier ist der Druck, den ein Einzelner aushalten muss, fast Null, verglichen mit dem Korruptszwang, der auf der Baufirma lastet. Der Professor ist nämlich kein Mitglied der Privatwirtschaft, sondern gehört zum staatlichen System. Er würde sein Ordinariat nicht verlieren, falls er wissenschaftlich korrekt entschiede – er würde nur sein Nebeneinkommen durch die Industrie verlieren.

Fall Drei. Eine Korruption, die nicht punktuell ist und nicht erzwungen wird, wird trotzdem nicht aufgedeckt, weil Mitwisser vom Betrug profitieren. Eine Filmfirma entdeckt, dass bei einer Call – in – Show, die sie für einen Sender produziert, die anrufenden Zuschauer gutgläubig und langmütig sind. Die Leute stoßen sich nicht daran, dass jemand ein zweites Mal gewinnt und sie harren in der Warteschleife für Anrufer lange aus. Das bringt die Filmfirma auf die Idee, einen Betrug zu organisieren. Sie lässt Lockvögel, die sich als normale Zuschauer ausgeben, sämtliche Rätsel gewinnen, und sie sorgt durch digitale Kennzeichnung der Anrufe, dass nur die Lockvögel in der Leitung durchkommen. Alle anderen Anrufer werden blockiert. Jeder Lockvogel erhält 500 Euro Honorar, die vollen Preise werden nicht ausbezahlt. (Zusätzlicher Gewinn: die Anrufe sind kostenpflichtig.)

In besagtem Fall ist der Kreis nicht klein. Es braucht die Lockvögel, die sich über ihre „Preise“ öffentlich freuen, ferner die Moderatoren, die ignorieren, dass immer dieselben Leute die Preise gewinnen, und schließlich die Techniker, die die Anrufe manipulieren. Das würde aber nur den Betrug, nicht auch die Korruption an der Sache erklären. Hier spielen Mitwisser eine wichtige Rolle. Gemeint sind die Besitzer des Studios, die die Räume und die Aufnahmetechnik zur Verfügung stellen, sowie der Sender, der durch die hohe Einschaltquote (die Sendung ist sehr beliebt) seine öde Werbezeit vor und innerhalb der Sendung teuer verkauft.

Die Mitwisser sind es hier, die den Schwindel in einem höheren Sinn ermöglichen. Diese Leute verhindern außerdem, wenn der Schwindel auffliegt, dass die Täter lückenlos verfolgt werden. Die korrupte Mitwisserschaft ist besonders schwer nachzuweisen, denn der Mitwisser nimmt an der Korruption nicht direkt teil. Er ist weder ein Nehmer noch ein Geber in der Ausnutzung der öffentlichen - oder überlegenen - Position für den privaten Vorteil. Er ist nur eine Art Zeitzeuge mit Nähe zum Geschehen. Man kann ihm aus dem indirekten Vorteil keinen Strick drehen – man müsste ihm nachweisen, dass er die verbotene Handlung aktiv gefördert hat.

Franz Lettmüller

Fall Vier. Ein Betrug, initiiert durch ein extrem persönliches Motiv, kann wegen eines Korruptmilieus über die Jahre hin nicht aufgedeckt werden. Der Fall des Zentralbuchhalters Franz Lettmüller, soll hier näher beschrieben sein. Lettmüller, ein circa vierzigjähriger Mann mit Handelsakademie – Abschluss verursachte durch gefälschte Schecks und durch heimliche Kredite von 1981 bis 87 einen Schaden von 220 Mio. öS in einer niederösterreichischen Papierfabrik. Von dem gestohlenen Geld kaufte er Autos, Immobilien, Rennpferde, die er bis auf die Pferde, die er sich behielt, zum größten Teil an andere verschenkte. Er lud auch ständig in Restaurants, in Nachtklubs und sogar in ein Bordell ein. In den Genuss kamen Arbeitskollegen, Freundinnen und Trainer der Pferde dieses extrem dicken Mannes. Das Motiv für seine absurde Verschwenderei war allgemein bekannt und sogar der Grund für Spott und Verachtung. „Der blade Franz“ wollte sich die Zuneigung und die Achtung anderer Menschen erkaufen. Diese schenkten ihm weder Liebe noch Respekt, sondern rissen ihm nur die Geschenke aus den Händen.

Den Betrug beging Lettmüller ganz allein. Das war bei der großen Buchhaltung, in der er wirkte, nicht einfach. Aber er war nie im Urlaub, er kam als erster und ging als letzter und er nahm den anderen Buchhaltern einen Teil der Arbeit ab. Zu dem Mythos des „Arbeitstieres“ gesellte sich der Mythos der Erbschaft. Eine geringe Erbschaft hatte Lettmüller tatsächlich gemacht. Als er 1981 die Erbschaft seines Vaters antrat, ließen ihn Arbeitskollegen durch einen Detektiv überprüfen, der in die Ämter ging und das Faktum feststellte, ohne die Höhe der Erbschaft zu eruieren

Ab nun liefen ständige Einladungen und viele, immer größer werdende Geschenke. Die Herkunft des Geldes wurde nicht nur durch die Erbschaft, sondern auch durch Wetten beim Pferderennen erklärt (die freilich selten waren und bei denen Lettmüller kaum gewann). Die bis zuletzt verwendete Erklärung waren ominöse Auslandsgeschäfte, über die sich Lettmüller - klarerweise – nicht näher äußerte. Das Erstaunliche des ganzen Falles liegt also weniger in den aktiven Schwindeleien, als im Spiel des vorgetäuschten Vertrauens der sozialen Umwelt. Die Belegschaft der Fabrik, die Freizeitfreunde, die Ehefrau (die sich scheiden ließ) und die unverschämte Freundin des Mannes nahmen den genialen Geschäftssinn des angestellten Buchhalters nicht ernst. Woher hatte er dann das viele Geld? Diese Frage ließen sie alle offen. Sie blieben aber dabei, dass Franz Lettmüller für einen echten Dealmaker zu weich und zu nachsichtig war.

Es genügte dem Milieu ganz offenbar, dass der Reichtum des reichen Mannes nicht für ihn selber, sondern für die andern sprudelte. Sie nahmen, ignorierten drängende Fragen, bespöttelten den Geber und schlossen dessen Sturz nicht aus (den sie andererseits nicht herbei wünschten). Ein Schmarotzertum wie aus einem österreichischen Zaubermärchen. Nicht die Absonderlichkeit des Täters, nicht die mangelnde Kontrolle der Firma, sondern der durchschnittliche Charakterfehler seiner Umwelt, war hier der primäre Grund, warum der Betrug solange unentdeckt blieb. Wenn strikt materiell ausgerichtete Menschen es völlig ausschließen, dass sie selbst durch eigene Kraft zu Glück und Wohlstand gelangen, dann werden sie offenbar total korrupt.

© M.Luksan, April 2021

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