Eine Agenturfrau vermittelt Personal an reiche Villen- und Yachtbesitzer in Süd- und Mitteleuropa und klopft sich selber auf die
Schulter, weil sich kaum jemand weigert, ihr die 20 Prozent der
Jahresbruttogage als Vermittlungsprovision zu bezahlen. Und
sie ist nicht nur auf ihren Geschäftssinn stolz, sie trauert auch den
alten Zeiten nach. Gute Diener sind heute generell schwerer zu
finden als früher, „weil das Dienen nicht mehr in den Menschen
drin ist wie noch im letzten Jahrhundert“ (zitiert von Bert
Rebhandl in seinem Artikel „Den Reichen dienen“, Der
Standard, 15., 16. Mai 2021)
Durch die Frage nach der Verfügungsgewalt kann man den Beruf
des Dieners (Kammerdiener, Hausdame, Stubenmädchen,
Köchin, Chauffeur, Leibwächter, Gärtner etc.) von den uralten
Formen der Untertänigkeit wie Sklave, Leibeigener, Schuldknecht etc.
klar abtrennen. Die heutigen Formen des Dienens beruhen auf
Freiwilligkeit beim Untergebenen und auf Grenzen der Macht beim
Dienstherrn. In Wahrheit bleibt aber das Verhältnis zwischen
Herrn und Knecht heikel (auch wenn es durch das Erklärungsraster
des Hegel total hindurch fällt).
Ein Haus für einen Butler, in Fürth.
Der Reiche kauft nämlich mit den Fähigkeiten des Dieners
auch verschiedene Eigenschaften der Person mit ein. Genauer:
er verlangt vom Diener, dass ihm dieser bestimmte,
persönliche Eigenschaften vorspiegelt. Der Diener muss
höflich sein, aufrichtig sein, treu sein, gehorsam sein, diskret
sein. Bei der Diskretion genügt meist ein einfaches Versprechen
nicht. Der künftige Diener muss eine Verschwiegenheits-Vereinbarung
unterschreiben, die den Dienstherrn für die Zeit danach
privatrechtlich absichert. Elisabeth II. hat einen solchen
Vertrag mit ihrem Kammerdiener gemacht, der dann nur
verschwiegene Erinnerungsbücher publizierte, wohingegen
der Leibdiener von Hitler nach dem Krieg als Kriegsgefangener
von Stalins Schergen zur genauen Erinnerung gezwungen
wurde.
Der klassische Kammerdiener erbringt eine Menge körpernaher
Dienstleistungen, die die körperlichen und die psychischen
Mängel des Dienstherrn verraten. Trotzdem nimmt er sich zurück,
betont keine Souveränität und kennt kein Besser – Wissen
im Umgang mit dem reichen Mann. Ja er lässt sich von diesem
sogar demütigen, nur damit der andere die psychische
Dominanz behält. Dann behauptet er sich plötzlich, nur um
zu zeigen, dass er kein Sklave ist. Dieses im Grunde lächerliche
Spiel trieb Harold Pinter in dem Film „Der Diener“ (zu dem er
das Drehbuch schrieb, Joseph Losey machte die Regie)
so weit, dass er zeigen konnte, wie leicht das heikle
Verhältnis kippt, wenn der adelige Herr in der Ego – Frage
nicht ganz fest ist.
Der Diener im besagten Film von Pinter/Losey war ein
Angestellter zur persönlichen Verwendung in einem demokratischen
Milieu (soweit man das Kastensystem der Engländer 1963
„demokratisch“ nennen kann). Er hatte die Möglichkeit,
zu kündigen oder zu Gericht zu gehen, falls die Übergriffe
des Herrn gegen seine Person ein bestimmtes Maß überschritten.
Doch Übergriffe waren und sind in der Diener – Welt gar
nicht zu verhindern. Der normale Reiche hat seit langem
schon, schon seit der Adelsstand abgesunken war,
das Selbstverständnis des Aristokraten übernommen.
Dass er sich auf die Art des Aristokraten überlegen fühlt, ist
hier nur eine Hypothese, weil – trotz aller Reichtums - Forschung -
das Ich des reichen Mannes noch nicht erforscht ist.
Gruppe von Reichen in Sankt Moritz.
Es deutet aber Einiges darauf hin, dass der Reiche durch seine
Lebensweise nicht dazu gezwungen wird, über das Wechselseitige
des sozialen Lebens nachzudenken, unabhängig davon, ob er
empathiefähig ist oder nicht. Zufolge des Geldes, das er in
der Regel geerbt hat, hält er sich für besser als seine
soziale Umwelt. Das Geld, das man in punkto Vermittlungskraft
gar nicht überschätzen kann (die Miete eines Reichen
kann man kaum kündigen, den Pass eines Reichen
kann man kaum entziehen, gegen einen Reichen kann man
gerichtlich kaum gewinnen usw.) spielt hier die Rolle der
machtvollen und unantastbaren Herkunft. Der Reiche ist
quasi von Geburt über seine Umwelt gestellt, und zwar auch
dann, wenn diese schöner, klüger, stärker und gebildeter
ist als er (lauter Eigenschaften, die er in der Gestalt des
Dieners mit einkaufen kann).
Der moderne Reiche, wie ihn etwa Scott Fitzgerald darstellte,
besitzt und genießt früh, „was ihn dort weich macht, wo
wir hart sind, und dort zynisch, wo wir ängstlich oder
optimistisch sind“ (Fitzgerald, In: Junger Mann aus reichem Haus,
frei zitiert). Und er hält sich für etwas Besseres als die
materiell Minder Ausgestatteten. Er fühlt sich kompetent
für unkonventionelles Verhalten. W. Ullrich beschrieb in
„Siegerkunst“ moderne Reiche, die beliebige Kunstobjekte
nur durch den Preis, den sie für diese bezahlen, zu Spitzenwerken
erklären. Sie handeln in der Regel als halbe Kunstkenner –
und Halbgebildete. Ihre Verachtung für den Mittelstand
und für das Gros der Menschheit sollte man einmal mit der
Verachtung der Berufsverbrecher für alle gesetzeskonformen
Menschen vergleichen. Der Verbrecher verachtet wegen seines
Mutes, der Reiche wegen seines Geldes.
Für den modernen Diener muss die schöne Gage für die
befristete Dienstzeit kein primäres Motiv sein. Es kann
auch sein, dass der Diener über seinen Beruf seine
angestammte Welt verlassen und als Person in die Welt des
Herrn eintreten möchte. Reduktion der Lebensangst durch
den Geldpolster ist denkbar. Vermehrung der Durchschlagskraft
durch die Geldspritze detto. Das wäre dann ein Diener,
der sich für das Leben eines Herrn geeignet hält. Ein solches
Begehren ist genau genommen gar nicht heutig, wenn man
an Figuren des französischen und italienischen Theaters
im 17. Jahrhundert denkt. Henry Morgan, ein walisischer
Bauernsohn, ging als Arbeitsverpflichteter freiwillig auf ein
englisches Schiff, nur damit er nach Jamaika zu einem
Silberschmied kam, dem er dann als Lohnknecht diente,
bis die Knechtschaft abgelaufen war. Anschließend raubte
er - als extrem grausamer Freibeuter - die Silber- und
Gold – Gegenstände spanischer Siedler in der Karibik.
Als Lohn dafür wurde er Gouverneur von Jamaika. England
verzieh ihm seine Gräueltaten.
Der moderne Diener ist angeblich ein Quereinsteiger, der eher
aus der Hotellerie - und der Touristik – Branche kommt als
aus dem Butler – Kurs. Wie auch immer. Tatsache ist, dass
sich die Superreichen auf der ganzen Welt vermehren und
dass immer mehr junge Leute wieder Diener sein wollen. Nach
dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg ging diese Art von
materieller Absicherung stark zurück. Heute ist sie wieder da.
Rebhandl schreibt, in Anlehnung an seine Agentursfrau:
„heute brauche man keine Leute mehr, die die Kleidung
rauslegen, sondern solche, die mit dem i Pad die Vorhänge
oder die Bewässerungsanlagen programmieren“ (B. R., a.a.O.)
Ungut bleibt, dass die Jungen ihre Fähigkeiten nicht in
einem sachlichen Kontext, sondern kombiniert mit der
Untertänigkeit anbieten müssen. Und sie wollen das wirklich
tun, andernfalls würden sie nicht 20 Prozent vom Jahresbrutto
an die Agentur bezahlen.
Das andere sind die reichen Herren, die offenbar durch das
Ausmaß ihres Reichtums im Kopf abgehoben haben. Sie
halten sich nicht nur für Reiche aus eigener Kraft, obwohl die
meisten von ihnen als Erben großer Vermögen geboren wurden.
Sie missdeuten auch den Zweck und den Sinn von Staat,
wenn sie frei nach A.F. von Hayek Eigentum als Basiswert
und als Basis für Freiheit betrachten, obwohl der Staat ihr
Eigentum schützen muss (bloße Leibwächter würden das
nicht schaffen). All diese Missverständnisse fördern offenbar
den Rückgriff auf überholt geglaubte Berufe. Die Reichen
wollen erwachsene und aufgeklärte Reiche sein, aber nicht
selber auf Leib und Gesundheit achten – und deshalb
einen Leibdiener benötigen.
Lukas Resetarits hat unlängst mehr als witzig gesagt, dass
die Corona – Pandemie drei bestimmte, verloren geglaubte
Berufe wieder in die Höhe gebracht habe: den Butler, den
Sänftenträger und den Botengänger.
© M.Luksan, Juni 2021
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