Das fehlende Grün der Seestadt haben große Medien kleinlich
eingemahnt, so als wäre es vorher dort gewesen oder als hätte
es die Stadt schon vor der Bautätigkeit auf den Rollfeld - Gründen einpflanzen können. Das Viertel steht auf dem ehedem einzigen Flugplatz Wiens. Der war schon da, noch bevor Herrmann Göring den Fliegerhorst Schwechat durch einen
Spatenstich initiiert hat. Trotzdem wird die neue, kleine Stadt,
die die Gemeinde in der Marchfeld – Pampa auf diesem
Billiggrund gerade fertig stellt, von den Journalisten ohne jedes
Wohlwollen gesehen. „Weshalb echte Wiener nicht in die Südstadt
ziehen würden“ beantwortet die FAZ durch das Argument, dass
die U-Bahn-Fahrt von der City bis zur Seestadt eine halbe
Stunde dauert. Und die Kronen Zeitung kann einen „Spaziergang
durch die Hitze Hölle“ gar nicht machen, ohne dass sie ein
Laser-Temperatur-Messgerät gegen Steinbänke und Glasfenster
hält.
So besucht man selber das Viertel und will - innerhalb von zwei
Stunden - sehen, wie es auf den normalen Betrachter wirkt.
Menschenleer, aber nicht schlecht. Die meisten Leute findet
man im Lokal „Portobello“ - und in der Hundezone am See.
In diese gelangt man, nachdem man bei der Umfahrungsstraße
geparkt hat und dann den kürzesten Weg zum Wasser nimmt.
Das zentrale Wasser – ist ein länglicher Teich, der durch
aufgestiegenes Grundwasser, durch Verbreiterung der Löcher
und durch Schotterung entstanden ist. Jetzt ist es so klar
wie der Fuschl See, ohne dass es derzeit gesäubert wird.
Als man die Hundezone verlässt, kommt man mit einem
farbigen Buben ins Gespräch, der gerade aus dem Wasser
kommt und sich beim Sprechen abtrocknet. Die Temperatur des
Wassers, sagt er, sei jetzt ideal, es seien Fische drin, doch Geräte,
die das Wasser reinigen, habe er noch nicht entdeckt.
„Frauen bauen“ steht auf einer niedrigen Mauer entlang des
nördlichen Seeufers und man versteht nicht gleich. Dieses
Wort will nicht sagen, dass Frauen auf den Baustellen der
Seestadt Nord arbeiten, sondern nur, dass das Gros der Straßen
und Plätze der beiden Seestadt-Teile nach prominenten
Frauen benannt ist. Der Werbesprech der Planer ist also
doll und man muss hier den Spielverderber spielen. Der See
der Seestadt wird nicht an den „See im Central Park“ erinnern,
die „Waterfront“ nicht an New York oder an Chicago, die Häuser
am Nordufer werden keine „Piers“ sein, und die überdachte
Promenade am See wird nicht aussehen wie die „Alsterarkade“
in Hamburg.
Man erkennt aber jetzt das Raffinement der Häuser und der
ganzen Anlage. Beim Umgehen der südlichen Seestadt
zeigen sich keine zwei Häuser in punkto Fenster und Balkone
einander gleich. Und zwischen den Häusern hat man überall
Durchblicke und Durchgänge in die andern Höfe. Dieses
schon am Reißbrett beachtete Prinzip, dass es in der Seestadt
keine Plattenbau-Fronten und keine geschlossenen Höfe
geben darf, macht die Anlage schon jetzt lebendig und
vielfältig, noch bevor das Grün der „Superhöfe“ ins Auge
springen wird.
In den Häusern der originellen Stadt wird man nachhaltig
wohnen – und arbeiten. Durch Fotovoltaik, Wärmepumpen, Regenwassernutzung, Energiewiederverwertung und Fernwärme
(kein Erdgas). Franz Pöltl, er hat die ersten Mieter und Käufer
von Seestadt – Immobilien vermittelt, will eine listige
Durchmischung von Wohnen und Arbeiten erreichen und
sprach sich deshalb gegen den Zwang aus, in der Seestadt
schnellen Profit zu machen. Und Gerhard Schuster, der die
Entwicklung der Seestadt im Auftrag der Gemeinde leitet, will
auf kein Marktwunder warten, sondern schon jetzt eingreifen,
um die Straßen später zu beleben und um später keinen
großen Autoverkehr zu haben.
Wer aber kann sich die Wohnung in der Seestadt leisten?
Denn auch eine geförderte kommt hier teurer als anderswo
in einem Großbezirk. Hier hilft einem ein zweites Gespräch
weiter. Am Ende des fertig gebauten Südteiles der Stadt kommen
wir zwischen Rasenflächen und Gemüsebeeten mit einer
jungen Familie ins Gespräch, die sich dafür entschuldigt, dass
ihr Hund frei läuft. Kein Grund zur Rechtfertigung. Sie
wohnt seit drei Jahren da und erlebt den Fortschritt der
Großbaustelle Seestadt als eine deutlich anwachsende
Verdichtung. Auf die Frage nach dem Beruf des Mannes erfährt
man, dass er ein Bankangestellter in der Leopoldstadt ist
und ihn die U2 mit seinem Arbeitsplatz ideal verbindet.
Prima. Und man hört auch, dass er ein Wirtschaftsstudium
wegen Mathematik abgebrochen hat. Deswegen teilt
man jetzt die Vermutung mit, dass der Bildungsdurchschnitt
des Seestädters höher liegt als der des Donaustädters.
Das freut die Familie: Ja das kann sein!
Die Fehler der Seestadt sind nicht endgültig, wenn eine
junge Familie alles, was sie braucht, bereits vorfindet, jedoch
nur vereinzelt, nicht gehäuft. Zu wenige Geschäfte. Zu wenige
Lokale. Zu wenige Bäume. Zu wenige Menschen. Auf einer Bank
sitzend beobachtet man eine Ampel-Anlage. Drei Passanten,
die hintereinander auf die grüne Ampel warten, und ein Lieferauto,
das einmal die Kreuzung quert, wirken wie Vorgänge im
Verkehrslabor. So beginnt aber die geklotzte Welt. Auch die
Donauinsel hatte einst einen schütteren Rasen, niedrige
Bäumchen und frisch asphaltierte Wege, auf denen man nicht
viele Menschen fand. Heute ist sie voll grün, dicht besucht und
als Freizeitraum geschätzt.
Am Lokal „Portobello“ führt kein Weg vorbei. Die Kellner
hört man schon von weitem auf dem Platz: Haben Sie bei uns
reserviert? Nein? Dann macht´ s auch nichts. Aber GGG
muss sein! - Sie sind hier die Masters of War, obwohl die Terrasse
unter der Markise halb leer ist. Sie dröhnen über ihre Gäste
hinweg, nicht für Bomben, aber für Schmäh zuständig. Ungeachtet
dessen schmeckt das Tiramisu vorzüglich. Man kann sich
vorstellen, wie der Hannah-Arendt-Platz 2030 mit Bäumen
aussehen wird, wenn über zwanzigtausend Menschen hier
wohnen werden. Gib der Stadt Zeit!, sagt ein Kellner, der
Künstler in der Seestadt erlebt hat, als sie hier auf einem
Platz Kunst performten. Ihre Attitüde – oder Körpersprache -
hat ihm nicht gefallen. Wir tun es zwar, schienen sie zu sagen,
aber ihr werdet es nicht verstehen! - Dieser Kritik schließt
man sich jetzt an, denn bei gebildeten Menschen geht man
davon aus, dass sie von der Wichtigkeit von Kunst und Kultur
wissen.
Ja, dieser Stadtteil wird eines Tages attraktiv und belebt sein.
Er wird das reale Gegenstück zu einer Trabantenstadt sein.
Schon jetzt hat er, dank der „Superhöfe“, die Kraft eines Ganzen.
Er hat auch schon die Kraft des Originellen, dank seiner
Straßen, Plätze, Promenaden, Häuser. Da bedarf es der
rhetorischen Frage nicht, ob in der Zeit von Homeoffice und
Online – Shopping Einkaufsstraßen noch geplant werden sollen.
Sie sollen, wenn´ s so gemacht wird wie in der Seestadt. -
Über eine Einkaufsstraße, in der man noch nicht einkaufen
kann, gelangt man zum See zurück. Dort sind jetzt um 18 Uhr
die meisten Menschen. Bis 20 Uhr dürfen sie dort baden, und
ab 22 Uhr passen junge Security-Leute darauf auf, dass
sich überhaupt niemand mehr dort aufhält.
Die Polizei fährt Streife in der Seestadt, aber es gibt noch keine
Kriminalität, keine Jugendbanden, keine Verkehrsdelikte.
Das ist natürlich nicht der staatlichen Macht geschuldet, die man
in so einer neuen und durchdachten Stadt wahrscheinlich
herunterschalten kann. Wer sich hier ansiedelt, dem sind
die Goodies der Stadtregierung nicht wichtig, der hat sich was
gedacht. Und die neue Stadt braucht eigentlich das wohlwollende
Verstehen und die freudige Teilnahme jedes einzelnen
Bewohners, egal wie originell und gut sie ist. Das hat man sich
gedacht. Das denkt man sich... Und man sieht am Schluss aus
großer Entfernung, weil an dieser Stelle noch überhaupt nichts
steht, das Kleinauto, mit dem man kam, klein und silbrig am
Horizont.
© M.Luksan, August 2021
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