DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Seestadt Wien

Das fehlende Grün der Seestadt haben große Medien kleinlich eingemahnt, so als wäre es vorher dort gewesen oder als hätte es die Stadt schon vor der Bautätigkeit auf den Rollfeld - Gründen einpflanzen können. Das Viertel steht auf dem ehedem einzigen Flugplatz Wiens. Der war schon da, noch bevor Herrmann Göring den Fliegerhorst Schwechat durch einen Spatenstich initiiert hat. Trotzdem wird die neue, kleine Stadt, die die Gemeinde in der Marchfeld – Pampa auf diesem Billiggrund gerade fertig stellt, von den Journalisten ohne jedes Wohlwollen gesehen. „Weshalb echte Wiener nicht in die Südstadt ziehen würden“ beantwortet die FAZ durch das Argument, dass die U-Bahn-Fahrt von der City bis zur Seestadt eine halbe Stunde dauert. Und die Kronen Zeitung kann einen „Spaziergang durch die Hitze Hölle“ gar nicht machen, ohne dass sie ein Laser-Temperatur-Messgerät gegen Steinbänke und Glasfenster hält.

So besucht man selber das Viertel und will - innerhalb von zwei Stunden - sehen, wie es auf den normalen Betrachter wirkt. Menschenleer, aber nicht schlecht. Die meisten Leute findet man im Lokal „Portobello“ - und in der Hundezone am See. In diese gelangt man, nachdem man bei der Umfahrungsstraße geparkt hat und dann den kürzesten Weg zum Wasser nimmt. Das zentrale Wasser – ist ein länglicher Teich, der durch aufgestiegenes Grundwasser, durch Verbreiterung der Löcher und durch Schotterung entstanden ist. Jetzt ist es so klar wie der Fuschl See, ohne dass es derzeit gesäubert wird. Als man die Hundezone verlässt, kommt man mit einem farbigen Buben ins Gespräch, der gerade aus dem Wasser kommt und sich beim Sprechen abtrocknet. Die Temperatur des Wassers, sagt er, sei jetzt ideal, es seien Fische drin, doch Geräte, die das Wasser reinigen, habe er noch nicht entdeckt.

Seestadt Wien

„Frauen bauen“ steht auf einer niedrigen Mauer entlang des nördlichen Seeufers und man versteht nicht gleich. Dieses Wort will nicht sagen, dass Frauen auf den Baustellen der Seestadt Nord arbeiten, sondern nur, dass das Gros der Straßen und Plätze der beiden Seestadt-Teile nach prominenten Frauen benannt ist. Der Werbesprech der Planer ist also doll und man muss hier den Spielverderber spielen. Der See der Seestadt wird nicht an den „See im Central Park“ erinnern, die „Waterfront“ nicht an New York oder an Chicago, die Häuser am Nordufer werden keine „Piers“ sein, und die überdachte Promenade am See wird nicht aussehen wie die „Alsterarkade“ in Hamburg.

Man erkennt aber jetzt das Raffinement der Häuser und der ganzen Anlage. Beim Umgehen der südlichen Seestadt zeigen sich keine zwei Häuser in punkto Fenster und Balkone einander gleich. Und zwischen den Häusern hat man überall Durchblicke und Durchgänge in die andern Höfe. Dieses schon am Reißbrett beachtete Prinzip, dass es in der Seestadt keine Plattenbau-Fronten und keine geschlossenen Höfe geben darf, macht die Anlage schon jetzt lebendig und vielfältig, noch bevor das Grün der „Superhöfe“ ins Auge springen wird.

In den Häusern der originellen Stadt wird man nachhaltig wohnen – und arbeiten. Durch Fotovoltaik, Wärmepumpen, Regenwassernutzung, Energiewiederverwertung und Fernwärme (kein Erdgas). Franz Pöltl, er hat die ersten Mieter und Käufer von Seestadt – Immobilien vermittelt, will eine listige Durchmischung von Wohnen und Arbeiten erreichen und sprach sich deshalb gegen den Zwang aus, in der Seestadt schnellen Profit zu machen. Und Gerhard Schuster, der die Entwicklung der Seestadt im Auftrag der Gemeinde leitet, will auf kein Marktwunder warten, sondern schon jetzt eingreifen, um die Straßen später zu beleben und um später keinen großen Autoverkehr zu haben.

Wer aber kann sich die Wohnung in der Seestadt leisten? Denn auch eine geförderte kommt hier teurer als anderswo in einem Großbezirk. Hier hilft einem ein zweites Gespräch weiter. Am Ende des fertig gebauten Südteiles der Stadt kommen wir zwischen Rasenflächen und Gemüsebeeten mit einer jungen Familie ins Gespräch, die sich dafür entschuldigt, dass ihr Hund frei läuft. Kein Grund zur Rechtfertigung. Sie wohnt seit drei Jahren da und erlebt den Fortschritt der Großbaustelle Seestadt als eine deutlich anwachsende Verdichtung. Auf die Frage nach dem Beruf des Mannes erfährt man, dass er ein Bankangestellter in der Leopoldstadt ist und ihn die U2 mit seinem Arbeitsplatz ideal verbindet. Prima. Und man hört auch, dass er ein Wirtschaftsstudium wegen Mathematik abgebrochen hat. Deswegen teilt man jetzt die Vermutung mit, dass der Bildungsdurchschnitt des Seestädters höher liegt als der des Donaustädters. Das freut die Familie: Ja das kann sein!

Die Fehler der Seestadt sind nicht endgültig, wenn eine junge Familie alles, was sie braucht, bereits vorfindet, jedoch nur vereinzelt, nicht gehäuft. Zu wenige Geschäfte. Zu wenige Lokale. Zu wenige Bäume. Zu wenige Menschen. Auf einer Bank sitzend beobachtet man eine Ampel-Anlage. Drei Passanten, die hintereinander auf die grüne Ampel warten, und ein Lieferauto, das einmal die Kreuzung quert, wirken wie Vorgänge im Verkehrslabor. So beginnt aber die geklotzte Welt. Auch die Donauinsel hatte einst einen schütteren Rasen, niedrige Bäumchen und frisch asphaltierte Wege, auf denen man nicht viele Menschen fand. Heute ist sie voll grün, dicht besucht und als Freizeitraum geschätzt.

Am Lokal „Portobello“ führt kein Weg vorbei. Die Kellner hört man schon von weitem auf dem Platz: Haben Sie bei uns reserviert? Nein? Dann macht´ s auch nichts. Aber GGG muss sein! - Sie sind hier die Masters of War, obwohl die Terrasse unter der Markise halb leer ist. Sie dröhnen über ihre Gäste hinweg, nicht für Bomben, aber für Schmäh zuständig. Ungeachtet dessen schmeckt das Tiramisu vorzüglich. Man kann sich vorstellen, wie der Hannah-Arendt-Platz 2030 mit Bäumen aussehen wird, wenn über zwanzigtausend Menschen hier wohnen werden. Gib der Stadt Zeit!, sagt ein Kellner, der Künstler in der Seestadt erlebt hat, als sie hier auf einem Platz Kunst performten. Ihre Attitüde – oder Körpersprache - hat ihm nicht gefallen. Wir tun es zwar, schienen sie zu sagen, aber ihr werdet es nicht verstehen! - Dieser Kritik schließt man sich jetzt an, denn bei gebildeten Menschen geht man davon aus, dass sie von der Wichtigkeit von Kunst und Kultur wissen.

Ja, dieser Stadtteil wird eines Tages attraktiv und belebt sein. Er wird das reale Gegenstück zu einer Trabantenstadt sein. Schon jetzt hat er, dank der „Superhöfe“, die Kraft eines Ganzen. Er hat auch schon die Kraft des Originellen, dank seiner Straßen, Plätze, Promenaden, Häuser. Da bedarf es der rhetorischen Frage nicht, ob in der Zeit von Homeoffice und Online – Shopping Einkaufsstraßen noch geplant werden sollen. Sie sollen, wenn´ s so gemacht wird wie in der Seestadt. - Über eine Einkaufsstraße, in der man noch nicht einkaufen kann, gelangt man zum See zurück. Dort sind jetzt um 18 Uhr die meisten Menschen. Bis 20 Uhr dürfen sie dort baden, und ab 22 Uhr passen junge Security-Leute darauf auf, dass sich überhaupt niemand mehr dort aufhält.

Die Polizei fährt Streife in der Seestadt, aber es gibt noch keine Kriminalität, keine Jugendbanden, keine Verkehrsdelikte. Das ist natürlich nicht der staatlichen Macht geschuldet, die man in so einer neuen und durchdachten Stadt wahrscheinlich herunterschalten kann. Wer sich hier ansiedelt, dem sind die Goodies der Stadtregierung nicht wichtig, der hat sich was gedacht. Und die neue Stadt braucht eigentlich das wohlwollende Verstehen und die freudige Teilnahme jedes einzelnen Bewohners, egal wie originell und gut sie ist. Das hat man sich gedacht. Das denkt man sich... Und man sieht am Schluss aus großer Entfernung, weil an dieser Stelle noch überhaupt nichts steht, das Kleinauto, mit dem man kam, klein und silbrig am Horizont.

© M.Luksan, August 2021

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