DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Für Digi gibt es kein Korrektiv

Die Ideologen der Digi-Kultur wollen die Siegerspezies rasend agil machen. Die „Digitale Transformation“ soll nicht nur die neue Technik durchsetzen, sondern auch den Menschen verändern. Der „neue Mensch“ soll zunächst nur deshalb entstehen, damit wir die neuen Geräte im Schlaf bedienen können. Die Veränderungen der Lebenswelt sind nicht nur positiv. An drei typische Veränderungen sei erinnert: Jeder Anruf, jedes E-Mail, jeder Klick im Internet wird irgendwo gespeichert. Wofür soll das gut sein? Für ein Kundenprofil oder für eine Schwarze Liste? Zweitens, der Einzelmensch verzichtet auf sein Privatleben und tritt im Internet als Influencer auf. Dort kommentiert er permanent seine Bilder und sich selber. Und schließlich, die Einzelnen schauen ihre Umwelt nicht mehr an, sondern sitzen und fahren, in ihr Smartphon ganz vertieft.

Das sind Veränderungen der Lebenswelt. Durch die Datensammlerei wird nun die Identität auf eine effizientere Art geschwächt als durch den Influencer und durch die Smartphone-Attitüde. Wenn nämlich ein Dritter Daten über mich sammelt, um sie später gegen mich zu verwenden, habe ich dabei nicht aktiv mitgewirkt. Anders ist das in Fall 2, wenn ich täglich das Privatleben eines anderen beobachte, weil mich das voyeuristisch anregt. Und schuldig werde ich auch in Fall 3, wenn ich auf dem Weg ins Büro unablässig auf mein Smartphone starre. Es ist hier die gleiche Unehrlichkeit mit im Spiel, die vor Jahren beim öffentlichen Telefonieren gegeben war. Zwei von drei Personen auf der Straße oder im öffentlichen Verkehrsmittel haben laut telefoniert. Wo sind diese Leute heute? Sie schauen in ihr Smartphone.

Schaltkarte eines frühen PC
Schaltkarte eines frühen PC

In „Der Weg nach vorn“ schreibt Bill Gates, dass die Menschen nicht mehr zur Arbeit fahren werden, sondern diese über ein Netzwerk nach Hause geschickt bekommen werden. Das schrieb Gates 1995. Die Firmen, schrieb er, werden Arbeiter nur noch einstellen, wenn sie akuten Bedarf haben. Er empfiehlt Unselbständigen, mehrere Berufe zu erlernen. Weil diese Arbeit auch am Land verrichtet werden kann, werden viele Leute aufs Land gehen und von dort aus arbeiten. Durch die Stadtflucht werden die Mietpreise in den Städten sinken. Die meisten Menschen werden flexibler, agiler und kreativer sein. Dann ist Gates aufgewacht. Er hat jedoch die technische Entwicklung richtig eingeschätzt. Denn das Home-Office, die Automatisierung des Marketings, der Online-Handel und die Video-Konferenz sind bereits Realität.

Für Peter Thiel geht der Kapitalismus zu wenig schnell. Er ist der Meinung, dass die kapitalistische Disruption vor den Lebenswelten abbremst. Er ist nicht so menschenfreundlich wie Bill Gates und macht die Linken dafür verantwortlich. Dieser Mann hat von den österreichischen Sozis noch nichts gehört. Viktor Klima hat einst als Bundeskanzler jeden Österreicher mit dem Internet verbinden wollen. Und Michael Ludwig will heute als Bürgermeister den Wienern und Wienerinnen ein schnelleres Internet verschaffen. Das Internet ist heute ein Programmpunkt der politischen Linken.

Die primären Wegbereiter der Digi-Kultur sind heute alt und wollen noch eine Zeitlang leben. Sie „versuchen, den menschlichen Geist in einen Roboterkörper zu transformieren“ (Manfred Stangl). Ja, und sie betonen dabei ihre Autonomie und Genialität so sehr, dass dadurch ein Widerspruch, der immer schon vorhanden war, obszön hervortritt. Die Identität des Einzelmenschen soll aufgelöst werden (damit die Menschheit eine Chance hat), aber nicht bei allen, nicht bei den „excellent few“. Diese sehen sich als die Menschheitsspitze, die sich zeitgleich mit der KI entwickelt hat. Diese paar Leute im Silicon Valley und anderswo waren und sind geistig so schnell, dass sie selber nicht angepasst werden müssen, sondern die Menschheit anpassen dürfen. Sie sind bereits der „Homo Deus“, auch wenn sie noch kein stählernes Skelett und noch keinen Chip im Gehirn haben.

Diese Verrücktheit ist mit Demokratie unvereinbar, deshalb ist sie öffentlich kein Thema. Ungeachtet dessen hat sich der mathematisch-technische Bereich über die Lebensbereiche des Menschen hoch erhoben. Wer eine Lösung für eine mathematische Aufgabe findet und sie für die Konstruktion der Genkanone (bereits veraltet) oder eines neuen Mikroprozessors anwendet, hat total gewonnen. Seine Ergebnisse werden ähnlich positiv aufgenommen wie ein Tor in einem Weltcupspiel. Wenn einem Techniker so etwas mehrmals gelingt, kann er leicht auf den Gedanken kommen, dass sein Denken und seine ganze Person auch in anderen Bereichen erfolgreich sein müssen. Er verachtet dann die Kulturwissenschaften und die herkömmliche Politik. Bill Gates wurde von einem amerikanischen Richter in einem Prozess gerügt, dass er rechtliche Sachverhalte wegen seiner Erfolgsverwöhntheit nicht klar sehen könne.

Unsere Kultur kritisiert die Wirtschaft, die Industrie, die Wissenschaft und die Technik überhaupt nicht, obwohl sie als Kultur für das Heil des ganzen Menschen zuständig wäre. Niemand sagt dem Erfolgreichen, wer aller für seinen Erfolg „bezahlt“, niemand dem Werkschöpfer, wie kurzlebig sein Werk sein wird, niemand dem Ich, dass es sterblich ist. Das machen Religion und Esoterik, „abgesunkene Kulturen“. ZB. ein Denker der Spiritualität, U.G.Krishnamurti, kritisierte die Grundlagen westlicher Philosophie. Überschießend, aber interessant. Die echte Wandlung, lehrte er, geht nicht vom Geist, sondern vom Körper aus, das reine Denken ist nichts Persönliches, sondern eine Sphäre, und das Ich ist nichts Natürliches, sondern eine Konstruktion.

Krishnamurti kritisierte das Selbstbewusstsein, das seine Grenzen nicht kennt. ZB. jemand wie Thiel wird auf die Frage: Warum sind Sie so gut?, die stolze Antwort geben: Weil ich Peter Thiel bin und niemand sonst! - Dabei hat gerade sein Selbstbewusstsein in der Digi-Kultur nirgendwo eine Quelle. In die Spiritualität tritt der Einzelne gern ein, um eine Abschwächung seines Ich und eine Verstärkung seiner Gefühle zu erleben. Das erlebt er nun in dieser Sphäre, auch wenn er nicht wie Teilhard von Chardin im Mittelpunkt des Ganzen zu stehen kommt. Die spirituelle Welt ist jedoch versteckt, unangekündigt, unbeworben, im Unterschied zur digitalen Welt, die propagiert, aufgedrängt und vorgeschrieben ist. Von Weltwirtschaft getragen.

Es wäre schön, könnte man Spiritualität und Esoterik nicht nur als Vertiefung von Sci-Fi und Fantasy erleben, sondern auch als Korrektiv oder natürliche Grenze gegen die Ausbreitung von Digi anwenden. Das Verlangen nach Spiritualität, nach Zeitlosigkeit und nach Weiterleben nach dem Tod, ist ein nachwachsendes Bedürfnis. Aber Digi hat die Funktion von Werkzeug total gesprengt und flutet gerade jeden Bereich des Menschen ohne Plan und Sorgfalt, um ihn zu verändern. Die Entwicklung war so rasch, dass heute sogar McLuhan veraltet da steht, wenn man liest, wie er Digi als Unterform der elektronischen Medien abhandelt. Zwar sind die Grundlagen von Digi lebensfeindlich (strikt formal, hoch abstrakt, völlig unsinnlich), aber die Anwendung von Digitalität ist grenzenlos, drängt sich jeder Kommunikation und Operation auf. Allein die Bedienung der immer neuen Geräte drängt das herkömmliche Denken zurück. Die Ideologen schwafeln schon von der restlosen Einformung des Menschen in die neue Kultur, damit seine Überforderung endlich aufhört. Doch längerfristig wird der Mensch ohnehin nicht mehr existieren und es wird neue Überforderungen für die Erdbevölkerung geben, von denen die Zukunftsforscher noch nichts wissen.

© M.Luksan, September 2021

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