Die Ideologen der Digi-Kultur wollen die Siegerspezies
rasend agil machen. Die „Digitale Transformation“ soll nicht
nur die neue Technik durchsetzen, sondern auch den
Menschen verändern. Der „neue Mensch“ soll zunächst nur
deshalb entstehen, damit wir die neuen Geräte im Schlaf
bedienen können. Die Veränderungen der Lebenswelt sind
nicht nur positiv. An drei typische Veränderungen sei erinnert:
Jeder Anruf, jedes E-Mail, jeder Klick im Internet wird irgendwo
gespeichert. Wofür soll das gut sein? Für ein Kundenprofil
oder für eine Schwarze Liste? Zweitens, der Einzelmensch
verzichtet auf sein Privatleben und tritt im Internet als Influencer
auf. Dort kommentiert er permanent seine Bilder und sich
selber. Und schließlich, die Einzelnen schauen ihre Umwelt
nicht mehr an, sondern sitzen und fahren, in ihr Smartphon
ganz vertieft.
Das sind Veränderungen der Lebenswelt. Durch die Datensammlerei
wird nun die Identität auf eine effizientere Art geschwächt als
durch den Influencer und durch die Smartphone-Attitüde.
Wenn nämlich ein Dritter Daten über mich sammelt, um sie
später gegen mich zu verwenden, habe ich dabei nicht aktiv
mitgewirkt. Anders ist das in Fall 2, wenn ich täglich das
Privatleben eines anderen beobachte, weil mich das voyeuristisch
anregt. Und schuldig werde ich auch in Fall 3, wenn ich auf
dem Weg ins Büro unablässig auf mein Smartphone starre.
Es ist hier die gleiche Unehrlichkeit mit im Spiel, die
vor Jahren beim öffentlichen Telefonieren gegeben war. Zwei
von drei Personen auf der Straße oder im öffentlichen
Verkehrsmittel haben laut telefoniert. Wo sind diese Leute heute?
Sie schauen in ihr Smartphone.
Schaltkarte eines frühen PC
In „Der Weg nach vorn“ schreibt Bill Gates, dass die Menschen
nicht mehr zur Arbeit fahren werden, sondern diese über ein
Netzwerk nach Hause geschickt bekommen werden. Das
schrieb Gates 1995. Die Firmen, schrieb er, werden Arbeiter nur
noch einstellen, wenn sie akuten Bedarf haben. Er empfiehlt
Unselbständigen, mehrere Berufe zu erlernen. Weil diese Arbeit
auch am Land verrichtet werden kann, werden viele Leute
aufs Land gehen und von dort aus arbeiten. Durch die Stadtflucht
werden die Mietpreise in den Städten sinken. Die meisten
Menschen werden flexibler, agiler und kreativer sein. Dann
ist Gates aufgewacht. Er hat jedoch die technische Entwicklung
richtig eingeschätzt. Denn das Home-Office, die Automatisierung
des Marketings, der Online-Handel und die Video-Konferenz sind bereits Realität.
Für Peter Thiel geht der Kapitalismus zu wenig schnell. Er
ist der Meinung, dass die kapitalistische Disruption vor den Lebenswelten abbremst. Er ist nicht so menschenfreundlich
wie Bill Gates und macht die Linken dafür verantwortlich.
Dieser Mann hat von den österreichischen Sozis noch nichts
gehört. Viktor Klima hat einst als Bundeskanzler jeden Österreicher
mit dem Internet verbinden wollen. Und Michael Ludwig will
heute als Bürgermeister den Wienern und Wienerinnen ein
schnelleres Internet verschaffen. Das Internet ist heute
ein Programmpunkt der politischen Linken.
Die primären Wegbereiter der Digi-Kultur sind heute
alt und wollen noch eine Zeitlang leben. Sie „versuchen, den
menschlichen Geist in einen Roboterkörper zu transformieren“
(Manfred Stangl). Ja, und sie betonen dabei ihre Autonomie
und Genialität so sehr, dass dadurch ein Widerspruch, der
immer schon vorhanden war, obszön hervortritt. Die
Identität des Einzelmenschen soll aufgelöst werden (damit
die Menschheit eine Chance hat), aber nicht bei allen,
nicht bei den „excellent few“. Diese sehen sich als die
Menschheitsspitze, die sich zeitgleich mit der KI entwickelt hat.
Diese paar Leute im Silicon Valley und anderswo waren und sind
geistig so schnell, dass sie selber nicht angepasst werden
müssen, sondern die Menschheit anpassen dürfen. Sie sind
bereits der „Homo Deus“, auch wenn sie noch kein stählernes
Skelett und noch keinen Chip im Gehirn haben.
Diese Verrücktheit ist mit Demokratie unvereinbar, deshalb
ist sie öffentlich kein Thema. Ungeachtet dessen hat
sich der mathematisch-technische Bereich über die
Lebensbereiche des Menschen hoch erhoben. Wer eine
Lösung für eine mathematische Aufgabe findet und sie für die Konstruktion der Genkanone (bereits veraltet)
oder eines neuen Mikroprozessors anwendet, hat total
gewonnen. Seine Ergebnisse werden ähnlich positiv
aufgenommen wie ein Tor in einem Weltcupspiel.
Wenn einem Techniker so etwas mehrmals gelingt, kann
er leicht auf den Gedanken kommen, dass sein Denken und
seine ganze Person auch in anderen Bereichen erfolgreich
sein müssen. Er verachtet dann die Kulturwissenschaften
und die herkömmliche Politik. Bill Gates wurde von einem
amerikanischen Richter in einem Prozess gerügt, dass er
rechtliche Sachverhalte wegen seiner Erfolgsverwöhntheit
nicht klar sehen könne.
Unsere Kultur kritisiert die Wirtschaft, die Industrie, die
Wissenschaft und die Technik überhaupt nicht, obwohl sie als
Kultur für das Heil des ganzen Menschen zuständig wäre.
Niemand sagt dem Erfolgreichen, wer aller für seinen Erfolg
„bezahlt“, niemand dem Werkschöpfer, wie kurzlebig
sein Werk sein wird, niemand dem Ich, dass es sterblich ist.
Das machen Religion und Esoterik, „abgesunkene
Kulturen“. ZB. ein Denker der Spiritualität, U.G.Krishnamurti,
kritisierte die Grundlagen westlicher Philosophie. Überschießend,
aber interessant. Die echte Wandlung, lehrte er, geht nicht vom
Geist, sondern vom Körper aus, das reine Denken ist nichts
Persönliches, sondern eine Sphäre, und das Ich ist nichts
Natürliches, sondern eine Konstruktion.
Krishnamurti kritisierte das Selbstbewusstsein, das seine Grenzen
nicht kennt. ZB. jemand wie Thiel wird auf die Frage: Warum sind
Sie so gut?, die stolze Antwort geben: Weil ich Peter Thiel bin
und niemand sonst! - Dabei hat gerade sein Selbstbewusstsein
in der Digi-Kultur nirgendwo eine Quelle. In die Spiritualität tritt
der Einzelne gern ein, um eine Abschwächung seines Ich und
eine Verstärkung seiner Gefühle zu erleben. Das erlebt er nun
in dieser Sphäre, auch wenn er nicht wie Teilhard von Chardin im
Mittelpunkt des Ganzen zu stehen kommt. Die spirituelle Welt
ist jedoch versteckt, unangekündigt, unbeworben, im Unterschied
zur digitalen Welt, die propagiert, aufgedrängt und vorgeschrieben
ist. Von Weltwirtschaft getragen.
Es wäre schön, könnte man Spiritualität und Esoterik nicht nur
als Vertiefung von Sci-Fi und Fantasy erleben, sondern auch als
Korrektiv oder natürliche Grenze gegen die Ausbreitung von
Digi anwenden. Das Verlangen nach Spiritualität, nach Zeitlosigkeit
und nach Weiterleben nach dem Tod, ist ein nachwachsendes
Bedürfnis. Aber Digi hat die Funktion von Werkzeug total
gesprengt und flutet gerade jeden Bereich des Menschen
ohne Plan und Sorgfalt, um ihn zu verändern. Die Entwicklung
war so rasch, dass heute sogar McLuhan veraltet
da steht, wenn man liest, wie er Digi als Unterform der
elektronischen Medien abhandelt. Zwar sind die Grundlagen
von Digi lebensfeindlich (strikt formal, hoch abstrakt,
völlig unsinnlich), aber die Anwendung von Digitalität ist
grenzenlos, drängt sich jeder Kommunikation und Operation
auf. Allein die Bedienung der immer neuen Geräte drängt
das herkömmliche Denken zurück. Die Ideologen schwafeln
schon von der restlosen Einformung des Menschen in die
neue Kultur, damit seine Überforderung endlich aufhört.
Doch längerfristig wird der Mensch ohnehin nicht mehr
existieren und es wird neue Überforderungen für die
Erdbevölkerung geben, von denen die Zukunftsforscher noch
nichts wissen.
© M.Luksan, September 2021
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