DAS IST DIE HOMEPAGE VON MARTIN LUKSAN UND DES VEREINS FÜR RHETORIK UND BILD

 
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Gedanken zu Russland

Der Zerfall der Sowjetunion, sagte Putin 2004 vor der Nation, sei eine „Tragödie“. Russland müsse nunmehr seinen eigenen Weg zur alten Größe und zum alten Ruhm wieder finden. Damit sprach er als Mythomane, er konkretisierte diese Größe und diesen Ruhm nicht. Die Frage ist: Welches Jahr hatte er vor Augen? An Iwan den Schreckliche dachte Putin nicht. Zar Peter wird ihm auch nicht vorgeschwebt sein. Dieser hatte westliche Technologie und westliche Logik nach Russland gebracht, ansonsten aber Blut gesoffen. Zum Beispiel küsste er den abgeschlagenen Kopf seiner ehemaligen Mätresse. Bleibt Stalin, der den Vaterländischen Krieg mit Hilfe der USA gewonnen, jedoch die russische Bevölkerung in jedem (!) Dezennium seiner Herrschaft dezimiert hatte. War auch diese Zeit nicht gemeint, so meinte Putin vielleicht die Breschnew–Ära. In dieser kam Putin zum KGB und das geschwächte und gereizte Russland war bereit, in jedes seiner Satelliten–Länder einzufallen.

Im Russland der 1990 er Jahre wurden riesige Fehler gemacht. Die Transformation der einst so mächtigen Sowjetunion in das Russland nach der Wende geschah auf die gleiche Art und Weise wie in Polen. Man „liberalisierte“ Russland auf brutale und destruktive Art. Warum diese Anpassungen stets übereilt geschehen, wollen heutige Wissenschaften nicht klar und ausführlich erklären (die Th. Veblen und G. Mosca haben das einst getan). Der Kapitalismus liebt Eldorado-Situationen, in denen jedweder Staat fehlt und die Glücksritter maßlos reich werden. Das ist das Thema der Oligarchen. Die Oligarchen der Jelzin-Zeit hat Jelzin persönlich gefördert und geschützt. Sie nahmen Schlüsselbereiche der Wirtschaft an sich und monopolisierten diese, noch ehe der Rest der Gesellschaft die neue Wirtschaftslage voll erfasst hatte. Die Mehrheit der Russen rechnet es Putin heute hoch an, dass er diese Personen in ihre Schranken wies und entmachtete. Sie haben keine Ähnlichkeit mit den amerikanischen Großunternehmern in der Zeit von 1865 bis 1910. Die Besitzer von Postkutschen, Eisenbahnen, Bergwerken, Stahlhütten, Ölfeldern usw. fanden keine Infrastruktur vor und natürlich keine still gelegten Staatsbetriebe.

Wie man jetzt liest und wovon in den 1990 er Jahren nichts zu lesen war, wurde unter Jelzin das Staatseigentum in speziellen Anteilscheinen auf den Markt gebracht. Dort waren diese Aktien nicht für jedermann käuflich, sondern Makler kauften sie und verkauften sie in Absprache mit der Politik an bestimmte Oligarchen sowie an hohe Angestellte der ehemaligen Staatsbetriebe. Die Käufer hatten in der Regel nicht genügend Geld, deshalb bekamen sie Kredite von russischen Banken, in Übereinstimmung mit der Politik. Nicht wenige Oligarchen, nunmehr im Teilbesitz ehemaliger Staatsbetriebe, gingen mit den Aktien als Wertsicherung zu westlichen Banken und holten sich von ihnen noch viel höhere Kredite. Sie zahlten die russischen Banken aus und waren in Russland in erhöhtem Maße handlungsfähig.

Die zwischen Politik und Wirtschaft praktizierte Korruption in Russland ist aber nicht der Ausverkauf Russlands an den Westen, sondern der Betrug der russischen Eliten am russischen Volk. Hätte man z.B. die Aktien für Ölfelder in Erdölgebieten Russlands zum Verkauf angeboten, so hätten Städte oder andere Kollektive diese Aktien privat kaufen und die einstige Staatsindustrie genossenschaftlich hoch fahren und fortsetzen können. So aber wanderte der Besitz des Volkes in die Hände von Turbokapitalisten, die schon von Jelzin und noch mehr von Putin auf ihre Verpflichtung gegenüber der Politiker-Kaste hingewiesen wurden. Die wirtschaftliche Erschließung Osteuropas, von der auch in Österreich viel geschwätzt wurde, hatte nur die Zahlungskraft der Eliten, nicht aber auch die der Bevölkerungen im Auge. Die wundersame Erschließung z.B. durch österreichische Banken brach total zusammen.

In der Ära Jelzin wurde nicht die Wirtschaft entfesselt, sondern sackte die Produktion ab und halbierte sich das BIP. Die Bevölkerung stand vor leeren Regalen. Die Lebenserwartung der Russen nahm ab und in den Straßen von Moskau gab es Straßenkinder. In der gleichen Zeit stieg z.B. Roman Abramowitsch wirtschaftlich unaufhaltsam in die Höhe. Sein Partner Boris Beresowski war ein enger Freund von Jelzin. Abramowitsch kaufte Teile von Sibneft (Ölkonzern), von Evraz (Stahlkonzern) und auch von Aeroflot (Fluglinie). Der nur drei Jahre ältere Michail Chodorkowski (Jahrgang 1963) trat, noch ehe er der Hauptbesitzer von Yukos (Ölkonzern) war, als Stellvertretender Energie-Minister in die Politik ein. Gerade er, der sich augenzwinkernd „Räuberbaron“ nannte, organisierte später die finanzielle Seite der Wiederwahl von Boris Jelzin.

Vladimir Putin
Foto für die Öffentlichkeit – Abramowitsch mit Putin am Verhandlungs-Tischchen

Mit dem Auftritt von Putin als politischen Führer änderte sich schlagartig die Situation für die Oligarchen. Die Kompetenz für Gewaltlösungen, die durch kein Recht gedeckt ist, aber in Russland besonders wichtig ist, war der Regierung wieder gegeben. Gib der Politik die Hälfte von dem zurück, sagte Putin zu den Jelzin-Oligarchen, was sie dir geschenkt hat! - Diesen Rat hat man mehrheitlich befolgt. ZB. Abramowitsch verkaufte seinen Anteil an Aeroflot an den russischen Staat und seinen Anteil an Sibneft an die staatliche Gazprom. Nur Chodorkowski, der zu diesem Zeitpunkt soziale und bildungsmäßige Reformen laufen hatte, widersetzte sich in Überschätzung der Weltöffentlichkeit und in Unterschätzung der Macht Putins. Er wurde durch Scheinprozesse entmachtet, in der Folge enteignet und inhaftiert. Er lebt heute in der Schweiz und unterstützt von dort aus die Ukraine, schon seit geraumer Zeit.

Die Sanktionen der EU gegen russische Oligarchen sind wahrscheinlich nicht sehr effizient. Sie treffen die Politik und die Wirtschaft Russlands nicht im Kern. Das Eigentum vor allem in England, in Frankreich und in Deutschland , das jetzt eingefroren ist, war dem russischen Staat immer schon entzogen. Es begründet eigentlich nur die Kreditwürdigkeit dieser Neureichen im Westen. Diese wird durch die Sanktionen beendet. Schlösser, Häuser, Penthäuser, Wälder, Gestüte, Yachten, Jets und Konten gehören Leuten, die weder sichere Gefolgsleute von Putin sind noch zur Beendigung des Ukraine-Krieges in Russland beitragen können.

Besonders gern erwarben russische Oligarchen Eigentum in Österreich. Hier spielen die schöne Landschaft, die gute Infrastruktur und die verschwiegenen Banken eine große Rolle. Ein Oligarch besitzt z.B. ein Jagdrevier mit Schloss in Rohr im Gebirge, ein anderer ein Waldschloss mit Seegrund am Attersee. Die Frau eines ehemaligen Bürgermeisters von Moskau hat sich eine Residenz in Kitzbühel geschaffen. Der einst reichste Mann von Russland (Oleg Deripaska) ist an der Strabag beteiligt und hat in Österreich schon mehrere Hotels gekauft. In Wien sind Prunkhäuser und Palais im Besitz von russischen Oligarchen. Laut „Format“ (44/ 2011) konnte man den Besitzern respektive ihren Kinder in den Lokalen „Fabios“ und „Steirereck“ beim Essen und Trinken zuschauen. 2011 ist freilich schon eine Zeitlang her.

Nachdem die russische Föderation eine Verfassung erhalten hatte (1993), wollte man in Russland auch die stalinistischen Verbrechen erforschen. Die Büros von Jelzin stellten aber fest, dass das arbeitslose, mittellose, hungernde Volk eine Staatsausgabe wie diese Forschung total ablehnte. Da wurde das Ganze nicht fertig gestellt und auch in Teilen nicht publiziert. Die entbehrungsfeste, russische Bevölkerung war an der lückenlosen Aufarbeitung der nationalen Vergangenheit nicht interessiert. Aber auch die russischen Oligarchen verlangten nicht nach einem neuen, nationalen Selbstverständnis. Das alles ist im Sinne Putins (Russland bleibt verschleiert). Oligarchen, die der Tendenz nach Globalisten sind, wollen den Begriff der Nation nirgendwo verbessern. Sie wollen einfach nur die Übereilung. Durch die übereilte Vereinheitlichung der Welt können sich auf der ganze Welt die Superreichen weiter bereichern. Putin's wahnsinniger Krieg wird den rapiden Gang der Staaten zur Weltgesellschaft, zum Weltstaat und zur Weltregierung nicht verzögern.

© M.Luksan, August 2022

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