Der Komödiant steht allein auf einer Bühne ohne Kulisse und führt
dem Publikum die Implikationen des Schlagers „In meiner
Badewanne bin ich Kapitän“ gestisch vor. Er macht Bewegungen,
als ob er sich den Schaum aus den Ohren entfernt. Witzig, aber
billig, so verdient er sein Geld. Werner Schneyder unterschied
diesen Spaßmacher vom wahren Kabarettisten. „Comedians
in der reinen Form haben mit Kabarettisten in der reinen Form
so viel zu tun wie Hans Hinterseer mit Frank Sinatra“ (W.S.,
Manchmal gehen mir meine Meinungen auf die Nerven, München 2011 ,
S. 111). Der Künstler, den Schneyder bevorzugte, hat das Ende der
Stand-Up-Comedy erkannt und weiß jetzt, dass er sich zwischen
Poeten und Schauspieler entscheiden muss. Der Grund dafür sei,
dass es den Beruf des Kabarettisten eigentlich nicht gibt (siehe
a.a.O., S. 106).
Schneyder denkt hier ein wenig zu streng. Wahrscheinlich ist
der gute Kabarettist Poet und Schauspieler in einer Person.
Er hat dann die Bildung, die Formulierungskraft und den Geist
des Poeten und die Stimme und die Lust des Schauspielers.
Deshalb kann er den Badewannen – Kapitän mit passenden,
anderen Themen leicht verbinden. Er oder sie weist zum Beispiel
auf das Auftreten sexueller Regungen im warmen Wasser hin.
Dazu braucht er einen überleitenden Satz vom Wannenbad zum Sex.
Den findet er dank seines Geistes leicht. Der Sex ist ein besonders
Witze – taugliches Thema. Wenn er oder sie dieses mit der Devise
„Make love not war“ beendet, kann er oder sie das neue Kapitel
„Diktator“ aufschlagen. Ein Diktator wie z.B. Putin kann weder über
sich selber lachen noch kann er der Devise der 1968 er Bewegung
folgen. Das Thema des humorlosen Diktators kann schließlich
das gebildete Kabarett mit einer Prägung von Gottfried Benn
beschließen: „Außen Caesar innen Frieda Schanz“.
Der Kabarettist benutzt Kurzformen des Witzes, wie sie im
Schlager, im Werbespruch, im Gedicht vorkommen. Karl
Farkas bediente sich dieser Kurzformen virtuos. Er benötigte
nur ein einziges Wort, um in Verbindung mit andern Wörtern
einen Witz zu fügen, der sich außerdem komisch reimte. Im
Unterschied dazu sagt Josef Hader nicht nur dauernd „Ich“, er
meint auch das Wort „Ich“ intimer als einst Farkas. Er braucht
das Ich, um sich während eines Bühnen-Abends oftmals auf sich
selbst zu beziehen und den Ernst hinter seiner lustigen Rede zu
betonen. Genaugenommen ist das Ich der heutigen Kabarettisten
die innere Form ihrer verschiedenen Aussagen über die Welt.
Wenn die Bekanntheit und die Originalität eines Politikers
wie Figl oder Kreisky wegfallen und man von Erfahrungen reden
muss, die nicht jeder und jede auf die gleiche Art hat, braucht man 1
als Einheit unbedingt das eigene Ich.
Lukas Resetarits hat Erfahrungen mit dem Internet, das ihm nicht
geheuer ist. Alfred Dorfer stellt Autofahren als Einübung in den
Krieg dar. Andreas Vitasek hat Erfahrungen mit seiner Berühmtheit.
Er gibt z.B. eine Dame wieder, die ihn in der Öffentlichkeit erkennt,
ihm aber dennoch seinen Namen verweigert. Das ist existentielles
Kabarett. Die besagten Kabarettisten leben in der Großstadt
Wien und haben hier – analog zum kleinen Spießer – ihre
wichtigsten Bekannten. Das ist nur scheinbar eine Banalität, denn
es bestimmt die Themen. Nur Wien und die weitere Umgebung
zerfällt den Kabarettisten in deutliche Einzeldinge, die Orte der
Fremde sind es nicht. Wenn sie – auf der Bühne – einmal im Flugzeug
sitzen oder im Internet surfen oder in New York über die Straße
gehen, so sind das Sidesteps vom Zentrum ihrer Aufmerksamkeit.
Wie die meisten Menschen können die Kabarettisten nur sehr
wenige Menschengruppen kennen lernen. Wer den andern als
Mitglied einer Gruppe kennen lernen möchte, kann das nur tun,
indem er im Milieu des andern eine Zeitlang verweilt. Regionale
Begegnungen, Gespräche und Interaktionen liegen der Kunst
der Kabarettisten zugrunde. Digitale Musik kann durch jeden besseren
Computer produziert und aufgeführt werden. Lichtkunstwerke
können durch die Lampen und durch die Anordnung überall auf der
Welt aufgestellt werden. Die frontalen Soli der Kabarettisten aber
sind nur dort möglich, wo die dargestellten Menschen leben.
Alfred Dorfer, 2006
Auch die Herkunft des Künstlers aus der Unterschicht ist geeignet,
die produktive Regionalität des Kabarettisten zu erklären. Die Resetarits,
Dorfer, Vitasek kommen aus ärmlichen und unvollständigen Familien.
Dort haben Frauen den Fortschritt der Kinder überwacht und mit seiner
Herkunft konnte der Knabe in der Schule nicht prahlen. Trotzdem
gab es den Stolz, wie auch beim Poeten, der mit der Formulierungsgabe
zusammenhängt und in einem katholischen Milieu unliebsam
ist (als Laster der Adeligen wurde der Stolz nur von den Adeligen
gefördert), sodass ihn der Knabe vor den Mitschülern verstecken
muss. Dennoch wird der Vorwurf „Er hält sich für was Besseres“
irgendwann erhoben und macht jeden Kreativen irgendwann zu
einem virtuellen Mobbing – Opfer.
Das Radio – Porträt von Ernst Weber über Alfred Dorfer betont zwar die ärmliche Familie, nicht aber auch den Stolz des kleinen Fredi. Es macht jedoch die Nachdenklichkeit und die Zähigkeit dieses Kabarettisten klar. Nachdem ihn das Reinhardt – Seminar nicht aufgenommen hatte, bewies er die Hartnäckigkeit des guten Poeten, dessen Schreiben durch Verlags – Absagen nicht beendet wird. A. Dorfer ging zu Herwig Seeböck und lernte von ihm den Beruf des Schauspielers für wenig Geld. Durch
die Schauspielerei kam er mit einer Bühne notwendig in Kontakt
und verlor dort die Weltfremdheit und die Hybris des begabten
Poeten, der durch seinen Elfenbeinturm für lange Zeit fast
behindert ist. Nach der Familie und nach der Gleichaltrigen -
Gruppe kam für Dorfer eine kurze Zeit an der Universität, die
er gleich für eine Bühne, und um sich selber zu erziehen,
wieder verließ.
Auch der Poet wird in der Regel nur durch die Familie und durch
die Schule sozialisiert. Dann hört für ihn der Druck der Anpassung
auf. Die Universität ist ein Laissez – Faire – Bereich für ihn
und die Firmen und das normale Berufsleben lernt er gar nicht
kennen. Auf dem Weg zum Geist (während er die Umgangssprache
bearbeitet) erzieht sich der Poet selber. Der Kabarettist geht eine
Zeitlang den gleichen Weg. Wahrscheinlich ist er früher beim
Geist als der Poet. Er gibt aber die Suche nach den größeren
Zusammenhängen bald auf. Wegen der Bühne. „In Österreich“,
so steht´ s im Internet, „entwickelte sich das Nummern – Kabarett
zur poetischen Erzählung.“ Hier muss man widersprechen.
Der Kabarettist entwickelt keinen erzählerischen Konnex. Es gilt
jedoch für ihn wie für den Poeten: Die Existenz als Tatsache findet
er wichtiger als die Essenz. Mit der Einschränkung: Er stellt
nicht auch die Werte des Lebens und der Welt ausführlich
dar. Er muss, wie einst wie Erich Kästner mit der Frage rechnen:
„Herr Autor, wo bleibt das Positive?“
Bei Alfred Dorfer ist primär der Intellekt der Ursprung seines
Witzes. Beim Intellekt vermutet man vor allem in Österreich das
Motiv Rache. Das ist nicht ganz falsch, aber es ist einseitig gedacht.
Kabarett als Quasi – Rache wegen der erlittenen Zurückweisung
in Jugendjahren. In Wahrheit wird erst durch den Intellekt die
Zuspitzung sprachlicher Bedeutungen möglich. Trotzdem wird
der Intellekt, so ihn nicht der angestellte Jurist und der approbierte
Philosoph praktizieren, in Österreich nicht geachtet. Vor 1945
wurde er für „jüdisch zerstörerisch“ oder „westlich zerstörerisch“
gehalten und nach 1945 galt er als „deutsch“. Der Literaturguru
Hans Weigel und die Radiofrau Traute Foresti haben – angeblich –
viele junge Poeten und Poetinnen sehr gefördert, und beide
misstrauten immer dem Intellekt. Ihre Einflussnahme ist bedenklich.
Ein Kabarettist wie Dorfer ironisiert und verlacht den komischen
Alltag, den er sieht, und das historische Ereignis, das er miterlebt
(einen Opernball vor der Oper, sogar ein Lichtermeer etc.), ohne dass er
durch die Form des Kabaretts gezwungen wäre, auch Zufriedenheit,
Höflichkeit und Zuneigung darzustellen. Das kennt er auch, aber es
ist nicht sein Revier. Echte Werte, auf einer Bühne darstellen, ist
zwar eine echte Kunst, aber zu wenig lustig. Da hinter Dorfers Darstellungen nicht selten Zorn und Empörung stehen, herrscht bei
ihm im Vordergrund der schwarze Humor. Der schwarz – bittere
seltener als der schwarz – zynische (der von Helmut Qualtinger:
„Gestern is mir ein Passant, bevor er gstorbn is, einegrannt“, in:
„Der Papa wird’s schon richten“, oder der von Reinhard Fendrich,
„Weil ein flammendes Inferno schaut ma immer wieder gern o“,
in: „Es lebe der Sport“)
Das österreichische Kabarett, auch „Cabaret“ geschrieben,
erhält hierzulande mehr Aufmerksamkeit als das deutsche
in Deutschland. Es ist hier der einzige Kulturbereich, wo man
scharf und unverblümt über die realen Verhältnissen im Lande
spricht. Journalisten, Dichter, Philosophen, Politiker rühren diese
Sprache nicht an, vielleicht weil sie in Österreichs 1. Republik zur
Herbeiführung von Bürgerkrieg beigetragen hat. So bezahlen
wir heute für die Unreife von Einst mit dem Preis einer Art
von Selbstzensur. In der öffentlichen Sprache dominieren
Verschwommenheit und Indirektheit. Auch hebt man den
Beschwichtigungs-Hofrat, der wichtige Unterschiede „wegmoderiert“,
in höchste Höhen. A. Goubran hat über diesen listig – geistlosen
Zeitgenossen in seinem Buch „Der gelernte Österreicher“
(Wien, 2013) nachgedacht. Das Cabaret ist wirklich eine
Gegenwelt zur Welt der öffentlichen Sprache, und der
österreichische Kabarettist ist der wahre Gegenspieler des
gelernten Österreichers. Leider gibt es ihn nur im Cabaret,
dort wo angeblich die „Kasperln“ wirken respektive
jene Personen, die die Politiker „Kasperln“ nennen, wenn
sie von ihnen kritisiert werden.
© M.Luksan, Jänner 2023
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